Homberg unterm Hakenkreuz

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Ein Projekt des Freundeskreis Historisches Homberg e.V.

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Weshalb wird dieses Projekt konzipiert?

Homberg unterm Hakenkreuz

Der Freundeskreis Historisches Homberg e.V. wurde 1985 gegründet, um u.a. „die geistige Auseinandersetzung mit der Geschichte des Gebietes der ehemaligen Stadt Homberg zu pflegen und möglichst vielen Mitbürgern und Interessenten zugänglich“ zu machen. Als Quelle für die nach der Gründung publizierten Aufsätze und Schriften sowie für öffentliche Vorträge über historisch Ereignisse und Entwicklungen in Homberg, Hochheide und Essenberg dienten: die Publikationen der Chronisten der Homberger Stadtgeschichte ( insbes. Mohr, Mast und Teelen), die umfangreichen Sammlungen von Aufsätzen, Urkunden und sonstigen schriftlichen Archivalien und zahlreiche dokumentierte Beiträge von Zeitzeugen. Nach Sichtung und Neuordnung des gesamten Archivs (2013) wurde erschreckenderweise deutlich: Unterlagen, Berichte und Veröffentlichungen über die Barbareien der Willkürherrschaft der Nationalsozialisten Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) unter Adolf Hitler in der Zeit von 1933 bis 1945 in Homberg sind im Archiv unseres Vereins nicht existent. Um diesem eklatanten Mangel zu begegnen, hat der Vorstand beschlossen, das Projekt „Homberg unterm Hakenkreuz“ zu erforschen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Für die Projektleitung ist Dirk Lachmann, stellvertr. Vorsitzender, verantwortlich.


Was sieht das pädagogische Konzept vor?'

Die Bearbeitung des Projektes ist offen. Das heißt, jeder kann mitmachen. Die Untersuchungen zu diesem Projekt müssen sich im Wesentlichen auf das Gebiet der Stadt Homberg in der Zeit von 1933 bis 1945 beziehen. (Geschichte vor Ort) Die Jugendlichen von heute sind aufgerufen, - ob als Einzelne oder im Klassenverband - nach dem Motto „Jugend forscht“ erste wissenschaftliche Schritte zu erproben. Vor allem aber wird die Mitarbeit der älteren Generation gesucht, die evtl. noch in der Lage ist, als historisch Interessierte authentische Beiträge zu erbringen. Wichtig wären auch Informationen, Fotos und Geschichten aus der eigenen Familie. Auf der Grundlage von über 50 Befragungen von Zeitzeugen aus Homberg, sowie nach dem Studium unterschiedlichster Archiv-Quellen, wurde eine (vorläufige) konzeptionelle Gliederung erarbeitet, die in ihren Gliederungspunkten bereits eine Vielzahl von Informationen, Fakten und Ergebnissen liefert. Das Konzept sieht vor, dass alle Gliederungspunkte im Internet auf einer Informations- und Lernplattform veröffentlicht werden. Mit der Einrichtung der Internet-Plattform soll gezielt darauf abgehoben werden, neue, überprüfbare Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Auf diese Weise generiert die pädagogische Internet-Plattform zur Klammer zwischen Lernenden und Forschenden. Für die Veröffentlichung im Internet müssen natürlich Zugangsvoraussetzungen erfüllt werden: Auskünfte erteilt Dirk Lachmann (s. Impressum).


„Nicht das Wegsehen, sondern das Hinsehen macht die Seele frei.“ Theodor Litt (Pädagoge, 1880 bis 1962)


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das „vergessene“ Kapitel der Homberger Stadtgeschichte: Homberg unterm Hakenkreuz 1933 bis 1945

Die Stadthistoriker Paul Mast („Homberg, die Stadt im Grünen“) und Karl Teelen („Blick vom Hebeturm“) haben mit ihren Publikationen wichtige Beiträge zur Stadtgeschichte Hombergs in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts verfasst. Jedoch war es Theodor Mohr vorbehalten, als erster die „Geschichte der Stadt Homberg“ zu erforschen und aufzuschreiben. Das war im Jahr 1967. Obgleich alle drei Chronisten den Aufstieg der NSDAP und die Diktatur Adolf Hitlers als Zeitzeugen miterlebt hatten, blenden sie die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Nationalsozialisten in ihren historischen Studien zur Stadtgeschichte Hombergs total aus.

Die Gräueltaten der Nazis, welche bereits direkt nach dem Ende des 2. WK offengelegt und publiziert worden waren, zeigten unzweifelhaft auf, welche Verbrechen gegen Juden, kranke und behinderte Menschen (Euthanasie), Homosexuelle und Zwangsarbeiter auch in Homberg begangen wurden. Wer diese Tatbestände leugnet oder verdrängt, stellt sich moralisch ins Abseits.

Zur Geschichte der Juden in Homberg bis 1933

Wer über die Anfänge jüdischer Siedler in Homberg [1] berichten will, sieht sich mit einer äußerst begrenzten Quellenlage konfrontiert. Deshalb kann meist nur im Analogieschluss beschrieben werden, wie die gesellschaftspolitische Realität für die Juden in Homberg seit dem 17. Jahrhundert ausgesehen haben könnte. Die Gemeinde Homberg war Teil der Grafschaft Moers [2], die wiederum über Jahrhunderte durch die wechselnde Zugehörigkeit zu Preußen und Frankreich in ihrer Judenpolitik von diesen Staaten abhängig war. Anders verhält es sich mit der Quellenlage über Homberger Juden ab 1900. Hierzu liegen Forschungsergebnisse des Duisburger Stadtarchivs [3] vor, die einen Einblick in Zahl, Herkunft, Familienstand und Beruf der in Homberg sesshaften Juden geben. Die teilweise Erforschung ihrer Schicksale in der Zeit des Nationalsozialismus ist dabei von besonderer Bedeutung. Mit der schicksalhaften Deportation am 11. Dezember 1941 von Homberger Mitbürgern jüdischen Glaubens (Juden) in einem Sammeltransport in ein Konzentrationslager nach Riga/Lettland, wo letztendlich ihre physische Vernichtung stattfand, endet faktisch die Geschichte der Juden in Homberg. Homberg war Ende 1941 nach nationalsozialistischem Sprachgebrauch „judenfrei“.

Juden in Homberg vor 1900

Von der Regulierung zur Emanzipation

Den bis dato ersten Hinweis über frühe Juden in Homberg gibt es als Anmerkung im „Verwaltungsbericht Homberg - Niederrhein 1901 bis 1909“ [4]:

Dort heißt es: „Für eine gewisse Bedeutung von Homberg spricht auch die Ansiedlung von Juden, schon im 16. Jahrhundert.“

Aus der Grafenstadt Moers wird von einem konkreten Fall berichtet:

„Bereits 1613 hatte die Stadt Moers bei einem jüdischen Mann Geld geliehen, das zur Befestigung der Stadt verwandt wurde.“ [5]

Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 war wohl der Religionsfrieden zwischen Protestanten und Katholiken besiegelt worden, jedoch wurde keine einvernehmliche Haltung gegenüber den Juden in Deutschland vereinbart. Die Juden wurden den Landesfürsten unterstellt, die mit oft sehr unterschiedlichen „Judenordnungen“ (Regulierungen) das Zusammenleben in der Stadt und auf dem Land regelten. Dabei war den Landesfürsten der Aspekt der Emanzipation und Integration der Juden in die heimische Gemeinschaft eher fremd. Vielmehr ließen sich weltliche und geistliche Herren, wie schon in den Jahrhunderten zuvor, davon leiten, ihre fiskalischen Interessen durchzusetzen, indem sie von den Juden den Kauf von immer neuen „Geleitrechten“ (Schutzrechten) verlangten.

Die Regulierungen der Landesherren griffen tief in die private Sphäre der Juden ein. Üblich waren Bestimmungen wie: Wahl der Niederlassung, Höhe des Eigenkapitals, Verbot des Erwerbs von Liegenschaften, Zahl der Kinder und vor allem starke Beschränkungen für das Erwerbsleben als Landwirt (Ackerbau), beim Handwerk und im Hausierhandel. [6] [7]

Für die Grafschaft Moers gibt es diesbezüglich folgenden Bericht: [8]

„In einem Reglement von 1678 wurde die Zahl der Juden strikt begrenzt. Es hieß, daß nicht mehr als sechs Juden in der Grafschaft Moers leben durften. Von diesen sechs Juden sollten drei in Moers, einer in Krefeld und zwei in Friemersheim und Budberg wohnen. Wenn einer starb, wurde nur ein relativ vermögender Jude an dessen Stelle zugelassen. In beruflicher Hinsicht erlaubte die Obrigkeit den Juden lediglich das Metzger- und Fleischergewerbe. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Anm.: Seit 1702 gehörte die zum Fürstentum erhobene Grafschaft Moers zu Preußen) wurde zwanzig jüdischen Familien der Aufenthalt gestattet. Die Obrigkeit achtete streng darauf, daß die Zahl der Juden nicht zu sehr anstieg. So wurde z. B. den erwachsenen Kindern einer Familie oft nicht erlaubt, wie ihre Eltern in Moers zu leben, weil dadurch die Zahl der Juden zu groß wäre.“[9]

„1715 erhalten im Fürstentum Moers zwanzig Familien und deren Gesinde ein Geleit- und Schutzpatent für zwanzig Jahre.“ [10]

Inwieweit das Dorf Homberg von diesen Reglements betroffen war, ist nicht annähernd einzuschätzen. Wenn aber unterstellt werden kann, dass Juden zu diesem Zeitpunkt bereits in Homberg Fuß gefasst hatten, ist, bei Fortbestand einer jüdischen Familie, ein Wechsel in andere Dörfer und Gemeinden wegen der aufgezeigten Bedingungen nur schwer möglich gewesen.

Mit dem Leitgedanken der Französischen Revolution (1789 bis 1798) - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - siegte das Bürgertum über das absolutistische „Ancien Regime“ [11] und schuf damit eine neues Bewusstsein für eine emanzipatorische Gestaltungsfreiheit eines jeden Menschen. Das galt zunächst für Frankreich, griff dann aber sprunghaft auf die Länder Europas über und darüber hinaus. Bereits 1791 waren die französischen Juden durch die Aufhebung aller Judenordnungen und durch das Erlangen der allgemeinen Bürgerrechte emanzipiert. Sie waren freie Bürger geworden.

Als 1801 das Moerser Fürstentum aufgrund der Eroberungen durch Napoleon französisches Staatsgebiet wurde, galten für die hiesigen Juden dieselben Emanzipationsrechte. Allerdings dauerte dieser Zustand nicht lange an. In den ländlichen Gebieten des Bezirks Köln und in den Eifelgegenden klagten unter anderem die Bauern, die Kleinkredite von den Juden nahmen, gegen die „Bewucherung“ durch die in Handelsgeschäften versierten Juden. Bereits 1808 führten die französischen Behörden einige Beschränkungen wieder ein, wie das Hausieren und die Gewerbepatente (Ausübung nur mit Genehmigung). [12]

Nach Napoleons Abdankung und spätere Verbannung erlangte Preußen nach dem Wiener Kongress von 1815 wieder seine Souveränität über die Rheinlande (Rheinprovinz).

Die Rechte der Juden blieben zum Teil eingeschränkt. Erst durch die Preußischen Judengesetze vom 23. Juli 1847 („Gesetz über die Verhältnisse der Juden“) verbesserte sich die Stellung der Juden in Preußen. „Die eigentliche Emanzipation der Juden am Niederrhein wurde endgültig durch das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. 7. 1869 manifestiert. Darin heißt es: „Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben“.“ [13] Durch die Reformgesetzgebung des Norddeutschen Bundes war somit jeder Jude ein gleichgestellter Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten gegenüber der Verfassung.

So hatte er z. B. Zugang zu allen Berufen, konnte studieren, besaß das aktive und passive Wahlrecht und musste Dienst mit der Waffe leisten. Damit war der Weg für alle Juden offen, sich in die deutsche Gesellschaft zu „akkulturieren“ (anzupassen), d.h. Deutscher zu werden und Jude zu bleiben. Sie betrachteten sich als Bestandteil der deutschen Nation, während ihre jüdische Identität immer stärker auf den Privatbereich des religiösen Bekenntnisses beschränkt blieb. [14] [15]

Jüdische Familien in Essenberg und Homberg

1861 wurden in Homberg und Essenberg neun jüdische Mitbürger registriert. [16]

1890 lebten 10 Juden in Homberg und Essenberg (Fam. Coppel 7 Pers., Fam. Vasen 3 Pers.) „Der Name Coppel ist abgeleitet von Jakob“. (Hans-Peter Baum, s. 6a)

1895 16 Juden 1900 15 Juden [17]

Durch die Forschungen des Duisburger Stadtarchivs sind Namen von Juden benannt worden, die bereits im 19. Jahrhundert in Homberg lebten.

In Essenberg wurde die Jüdin Katharine (Käthchen) Vasen am 19. 4. 1858 geboren. Ihre Eltern waren Marcus Vasen und Sibylle, geb. Kappel. Die Wohnadresse in Essenberg ist nicht bekannt.

Katharina Vasen wohnte 1925 auf der Duisburger Straße 219 und später auf der Kirchstraße 155. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Näherin. Sie meldete sich am 28. 10. 1937 nach Köln ab, wo sie im März 1939 im Altersheim lebte. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. [18]

Die Duisburger Forschungen benennen einen Juden, der am 12. 6. 1835 in Homberg, Rheinstraße 27, geboren wurde. Es handelt sich um Moses Coppel. Über seine Eltern ist nichts bekannt. Er heiratete Johanna Gornsann und hatte vier Kinder mit ihr. [19] Moses Coppels Beruf war „Kaufmann“. Im Verwaltungsbericht Homberg 1901 bis 1909 (S. 25) wird seine Erwerbstätigkeit mit „Viehhändler“ konkreter bezeichnet. Im selben Haus wurde auch sein sieben Jahre jüngerer Bruder Salomon (8. 11. 1842) geboren. Auch er war von Beruf „Kaufmann“. Er arbeitete als Viehhändler im Familienunternehmen mit. Das wird durch den Firmenamen „Gebr. Coppel“ belegt. Salomon Coppel blieb unverheiratet.

Da insbesondere die Viehwirtschaft auch am Anfang des 19. Jahrhunderts eine erlaubte berufliche Option für Juden war, darf daraus geschlossen werden, dass die Eltern der beiden Coppel-Söhne ebenfalls schon in dieser Branche ihren Lebensunterhalt verdient hatten. Wahrscheinlich folgten sie damit sogar einer langen Familientradition.

So ist der Familienname Coppel in der Grafschaft Moers schon seit ca. 200 Jahren beurkundet.

Bei Brigitte Wirsbitzki liest man Folgendes: „Um die Mitte des 17. Jahrhunderts haben bereits mehrere jüdische Familien in Moers gelebt. Das Urkundenbuch der Stadt und Herrlichkeit Krefeld und der Grafschaft Moers nennt u.a. die Namen Isaak Nathan, Elias Benedict, Wolff Abrahams, Levi Josef, Lazarus Cerckel.“ [20]

Und weiter heißt es: „1660 Juli 24 – Coppel, hebräischer Herkunft, wird gestattet, 12 Jahre in der Grafschaft Mörs zu wohnen“. [21] „Die Familie Coppel gehört damit nachweislich zu den ältesten jüdischen Familien von Moers. Vorfahren der Familie sollen bereits seit der Zeit um 1000 im Moerser Raum ansässig gewesen sein, wie es in der Familie überliefert ist.“ [22]

Dass die Angehörigen der Großfamilie Coppel durch die Moerser Grafen auf möglicherweise mehrere Dörfer und Gemeinden verteilt worden sind, liegt auf der Hand, legte doch der Landesherr grundsätzlich die Zahl der Niederlassungsberechtigten auf bestimmte Orte fest.

Seit wann die Eltern von Moses und Salomon Coppel in der Rheinstraße in Homberg wohnten, ist noch zu klären. Die Ansiedlung der Familie Coppel in dieser Straße, und zwar mit Wohnhaus, Stallungen und Weiden, ist insofern auffällig, weil die Rheinstraße zu den ältesten Straßen des historischen Homberg gehört und wohl der erste Siedlungsmittelpunkt des Dorfes war. Ob die Coppels sich schon vor Jahrhunderten dort niedergelassen haben oder viel später sich niederlassen durften, ist unbekannt.

Während des Betrachtungszeitraumes hat Moses Coppel es jedenfalls zu Wohlstand gebracht. Er besaß oder pachtete auf Homberger Gebiet mehrere Weiden für sein Vieh. Von der Coppelschen Weide an der Friedhofallee ist von einem Zeitzeugen berichtet worden, dass „sie noch in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts wirtschaftlich genutzt wurde“. [23]

Moses Coppel muss in Homberg ein angesehener Mann gewesen sein. Er zahlte nicht nur einen hohen Steuersatz, sondern er wollte auch Verantwortung für Gemeinde und Bürger übernehmen. Er fühlte sich als deutscher Bürger mit jüdischem Glauben in Staat und Gesellschaft voll integriert. So kandidierte er bereits 1877 bei den Gemeinderatswahlen und wurde nach dem Preußischen Dreiklassenwahlrecht in der Abteilung I (Anm.: Abt. der Wohlhabenderen) in den Gemeinderat für die Wahlperiode 1878 bis 1883 gewählt. Auch in den folgenden Ratsperioden war er Gemeinderatsmitglied in der Bürgermeisterei Homberg bis 1904. [24] Moses Coppel starb am 18. oder 22. 11. 1922 in Homberg.

Als Arbeitshypothese für weitere Untersuchungen kann zz. festgehalten werden, dass die Familie Vasen aus Essenberg und die Familie Coppel aus Homberg die ersten jüdischen Familiennamen im 19. Jahrhundert sind, welche durch Quellenfunde belegt werden können.


Erläuterungen:

(1) Homberg wird ab dem 9. Jh. als „Hohonberg“ urkundlich genannt. Gleiches gilt für „Ascmeri“, das sich sprachlich zu Essenberg entwickelte. Etwa im 11. Jh. tauchte in Moers ein Geschlecht auf, aus dem die späteren Grafen von Moers hervorgingen. Homberg und Essenberg waren über Jahrhunderte Bauernschaften (Honnenschaften) der Grafschaft Moers. (Vergl. Theodor Mohr, Geschichte der Stadt Homberg, S. 20 ff) 1807 wurden die Dörfer Homberg und Essenberg in ihrer Zugehörigkeit zu Frankreich (Besatzungszeit 1801 bis 1815) „zu einer selbständigen Bürgermeisterei erhoben“ (Bestand 22 Homberg, S. 2, Stadtarchiv Duisburg)

Am 1. Jan. 1907 entstand die Gemeinde Homberg, bestehend aus den Ortsteilen Homberg, Essenberg und Hochheide. ie Stadtrechte wurden der Gemeinde Homberg am 12. Febr. 1921 verliehen. (Adressbuch 1925)Am 1. Januar 1975 wurde Homberg mit Ruhrort und Baerl ein Stadtbezirk der Stadt Duisburg.


(2) Grafschaft Moers, siehe auch (1).1594 erwarb durch Schenkung von der letzten Gräfin Walpurgis ihr Neffe Prinz Maurits (Moritz) von Oranien, Regent der Niederlande, die Grafschaft Moers. Am 25. 3. 1702 wurde die Grafschaft Moers preußisch. ( Homberger Verw.-bericht 1901 bis 1909, S. 5) König Friederich I. von Preußen erhob die Grafschaft zum Fürstentum.

1801 bis 1815 Franzosenherrschaft. „Moers gehörte in dieser Zeit zum Departement Roer. Im Arrondissement (Unterpräfektur) Krefeld war Moers Hauptort des Kantons Moers, der den größten Teil der alten Grafschaft umfasste (vgl. 675 Jahre Moers, Festvortrag, 1975). Der Kreis Moers wurde erst am 3. Dez. 1857 als eigenes politisches Verwaltungsgebiet aus dem Kreis Geldern herausgelöst.Mit der Gebietsreform von 1975 ging der Kreis Moers im Kreis Wesel auf.

Von den dörflichen Gemeinden zum Industriestandort Homberg

Erste Verwaltungsstrukturen der Dörfer Homberg, Essenberg und Hochheide

Während der französischen Besatzungszeit (1801 bis 1815) war der linke Niederrhein französisches Staatsgebiet. In dieser Zeit erhielten die Dörfer Homberg und Essenberg verwaltungsrechtliche Strukturen: Sie wurden Bürgermeistereien. Als 1815 das Rheinland wieder zu Preußen gehörte, blieb diese „kommunale Gliederung“ bestehen. Dem Weiler Hochheide, der hinter dem Homberger Busch lag (s. Plan von Katastergeometer Hurzthaler, 1830 – Archiv FHH), wurde zunächst eine Gemeindefläche zugestanden. Später kam es dann auch zur Bildung einer Vertretungskörperschaft in Form der Bürgermeisterei. [25] 1818 zählte man in Homberg 669 Einwohner, in Essenberg 371 und im Weiler Hochheide 93. Die Bevölkerung nahm in den drei dörflichen Gemeinden nur langsam zu. In Homberg wohnten 1834 980 Personen, in Essenberg 456 und in Hochheide 115. Auch von zwei jüdischen Einwohnern in Homberg wird berichtet. [26] Diese beiden Homberger Juden müssen die Eltern von Moses Coppel gewesen sein, denn erst im Folgejahr (1835) war die Familie Coppel durch die Geburt ihres Sohnes Moses Coppel (s.o.) in Homberg zu dritt. Dass der Bevölkerungszuwachs bis Ende des Jahrhunderts - insbesondere in Hochheide – rasant anstieg, dafür sollte ein Ruhrorter Bürger verantwortlich sein.

Franz Haniel - Begründer des Kohlebergbaus am linken Niederrhein

Der Industrielle Franz Haniel aus Ruhrort war Anfang des 19. Jh. bereits ein erfolgreicher Unternehmer u.a. auch im Kohle- und Eisenhüttengeschäft. Um sein Montanunternehmen zu stärken, entschloss er sich als Erster, auf linksrheinischem Gebiet Schachtanlagen abteufen zu lassen, weil er davon überzeugt war, dass er dort durch Tiefenbohrungen (Schachtanlagen) auf Fettkohle stoßen würde, die er, zu Kokskohle verarbeitet, für seine Hochöfen benötigte. [27] Vom Pioniergeist beseelt, erwarb er Ländereien am linken Niederrhein. 1828 ersteigerte er den Homberger Busch. In den Folgejahren ließ er ihn teilweise roden und errichtete 1837 einen Gutshof an der Aktienstraße (den heute denkmalgeschützten Hanielschen Hof an der Moerser Straße). Erst 1851 erhielt Franz Haniel die Konzession zum Abteufen der Schachtanlagen I, II (Malakow-Architektur) und (danach) der Schachtanlage III (1891 Fertigstellung). 1857 stieß man auf erste Kohleflöze. Nach der notwendigen Entwicklung neuer bergbautechnischer Verfahren konnte schließlich das „Steinkohlenbergwerk Rheinpreußen“ in den Siebzigerjahren in Betrieb gehen. [28] Von Anfang an stand das Werk vor dem Problem, genügend qualifizierte Arbeitnehmer und Anlernkräfte zu rekrutieren. „Doch allzu bald war das hiesige Reservoir erschöpft, so daß es galt, allerorten die Werbetrommel zu rühren. Bei dem Versprechen eines guten Lohnes setzte ein Zuzug von Arbeitswilligen aus allen Ländern Europas ein. Holländer, Belgier, Schweizer, Italiener, Österreicher, Jugoslawen, Ungarn, Rumänen, Tschechen, Slowaken und Polen kamen teils mit, teils ohne Familie, um hier Arbeit und Brot zu finden.“ [29] Dieser Schmelztiegel von Menschen mit unterschiedlichen Sprachen und kulturellen Hintergründen war damals für das Zusammenleben kein Problem. Denn die Bergleute waren sich einig, dass sie nur gemeinsam die harte und gefährliche Arbeit unter Tage bewältigen können. Dazu war aber bedingungsloses Vertrauen und gegenseitige Verlässlichkeit unabdingbar. Das Bewusstsein des gegenseitigen Für- und Miteinanders wurde von den Kumpels auch über Tage gepflegt.

Arbeiterstatistik

Jahr Arbeiter
1870 42
1880 711
1890 1103
1901 3024
1905 4638[30]

Durch den starken Zuwanderungsstrom wuchs für Rheinpreußen die unumgängliche Frage der Wohnraumbeschaffung. Durch die Abholzung des Homberger Busches verfügte Rheinpreußen seit Jahren über eine ausgedehnte Siedlungsfläche, um viele Tausende von Arbeitskräften mit ihren Familien anzusiedeln. Dabei wurde die Rheinpreußenstraße als Siedlungsachse zugrunde gelegt. 1889 begann man mit dem Bau der Siedlungshäuschen, die in Doppelhausform errichtet und mit reichlich Gartenfläche bedacht wurden.“ (Anm.: Teile der Siedlung stehen unter Denkmalschutz.) [31]

Homberg wird Industriestandort

Die Entscheidung von Franz Haniel linksrheinisch mit dem Kohlebergbau zu beginnen, war unstreitigdie Initialzündung für den beginnenden Strukturwandel im hiesigen Wirtschaftsraum. Gleichzeitig hatten auch andere Unternehmer die wirtschaftliche Qualität des Standortes Homberg und Essenberg erkannt. Das im Aufbau befindliches Schienennetz (z.B. Rheinbrücke Rheinhausen 1873) sowie die Nutzung des Rheins als Verkehrsader waren ausschlaggebende Faktoren für ihre Unternehmensgründungen. So wurden ab den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts in Homberg die Mühlenwerke von Joh. Küppers Söhne und die Dampfwalzmühle von Stock und Hausmann, das Chemiewerk Sachtleben in Essenberg (1892), Unternehmen und Betriebe wie das Stellawerk (feuerfeste Produkte, 1890) und die Maschinenfabrik Schmitz Söhne (1872) errichtet. Aber nicht nur in den größeren Betrieben wurden Arbeitskräfte nachgefragt. Gleichermaßen etablierte sich über die Jahrhundertwende hinaus eine Vielzahl von weiteren klein- und mittelständischen Unternehmen im Schifffahrtsgewerbe, im Textilbereich, in der Holzverarbeitung, bei der Fleischverarbeitung, im Buchdruck und bei den Ziegeleibetrieben, die nicht zuletzt Zulieferer für die zahlreichen Bauunternehmer waren. Die Zuwanderungen vor und nach der Jahrhundertwende lassen sich in der Bevölkerungsstatistik nachlesen. Dabei ist ab 1900 der Trend zu erkennen, dass die Zahl der Einwohner in Hochheide die Zahl der Einwohner in Homberg in den Folgejahren übertreffen wird.

Zuwanderung nach Homberg

Jahr Homberg Hochheide Essenberg Insgesamt
1880 4631 1359 1152 7142
1890 5257 1597 1180 8034
1900 6704 5874 1826 14404
1905 8555 12509 2624 23688
1906 9352 13571 2860 25783[32]


Am 1. Januar 1907 wurden die drei Bürgermeistereien zur Landgemeinde Homberg zusammengelegt (Vereinigungsvertrag). Das Steueraufkommen floss nun zum ersten Mal in eine Gemeindekasse. Die Gemeinde Homberg trat verstärkt als kommunaler Investor auf. Der Straßen- und Kanalbau wurde forciert, es wurden Schulen gebaut und neue Bildungsgänge angeboten, die nun auch die höhere Bildung (Oberrealschule – heute FHG) sowie berufliche Fortbildung umfassten. [33]


Das Leitbild der „Stadt im Grünen“, von BM Wendel (Amtszeit 1903 bis 1934) angestoßen, nahm Zug um Zug deutlichere Konturen an. Die Eröffnung der Brücke über den Rhein nach Ruhrort im Jahr 1907 war ein glanzvoller Höhepunkt kommunaler Politik.

Landgemeinde
Homberg
Einwohner
1907 24733
1910 25486
1913 27129
1914 26091 [34][35]


Mit der Wirtschaftskraft der Zeche Rheinpreußen als Basis und im Verbund mit der gemischten Unternehmensstruktur in Homberg hatte sich ein kontinuierlich wachsender, stabiler Industriestandort entwickelt, der seine Attraktivität bis zum Beginn des 1. Weltkrieges 1914 ausbaute.

Theodor Mohr beschrieb diese Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs mit den Worten:

„Diese Zeit kurz vor und nach 1900 war für Homberg wahrhaft eine Zeit des Wirtschaftswunders.“ [36]

Zu- und Abwanderungen von Juden in Homberg

Zuwanderungen in den 1890er Jahren

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Wie dargelegt wurde, lebten im Jahr 1890 in Homberg und Essenberg 10 Juden. Sie rekrutierten sich aus den Mitgliedern der Familien Coppel und Vasen. 1895 wurden zum ersten Mal in Homberg und Essenberg 16 jüdische Mitbürger gezählt. Die Einwohnerstatistik von 1900 weist 15 Juden aus, von denen 11 in Homberg lebten und 4 in Hochheide. In Essenberg wohnte zu diesem Zeitpunkt kein jüdischer Mitbürger mehr. Der erste Zuwanderer mit jüdischem Glauben war Paul Gutmann aus Bremen. Er kam im Jahr 1898 nach Homberg. [37] Er war wohl weniger interessiert an einem Arbeitsplatz bei Rheinpreußen oder in einem Homberger gewerblichen Unternehmen. Paul Gutmann zog in das Haus der Familie Coppel in der Rheinstraße ein. Er war wie Moses Coppel Viehhändler und wurde bald Schwiegersohn der Familie, da er die Tochter Betty ehelichte. Er führte den Viehhandel von Moses Coppel nach dessen Ableben (1922) fort. Die Duisburger Forschungen geben zu weiteren Zuwanderungen zwischen 1885 und 1900 keine präzisen Hinweise. Es heißt lediglich: „Vor 1901 ist der Jude Abraham Gerson mit Ehefrau Rosa, geb. Haas, aus Rheinberg in Homberg, Moerser Straße 89, zugezogen.“ Abraham Gerson war von Beruf Kaufmann. Die Gersons hatten fünf Kinder, die aber nicht alle mit den Eltern nach Homberg umgezogen waren. denn vom Sohn Karl (geb. 6. 6. 1878) wird berichtet, dass er erst „vor 1902“ in Homberg“ wohnte, und zwar auf der Moerser Str. 169. [38] Weiterhin wird der jüdischen Kaufmann Ludwig Gerson (geb. 1877), ebenfalls aus Rheinberg, genannt. Sein Zuzugsdatum in Homberg ist nicht bekannt. Er wohnte aber zunächst mit seiner Frau Sophia, geb. Bach, in Hochheide, Moerser Straße 169, also im Haus des Karl Gerson. Erst 1906 zog er zur Moerser Straße 325 um. Alle weiteren Zuwanderungen sind nach den Duisburger Forschungen eindeutig nach 1900 erfolgt. Demnach sind es also drei jüdische Familien, die sich bis 1900 im Raum Homberg, Essenberg und Hochheide niedergelassen hatten:


Die Familien

  • Moses Coppel (mit Paul Gutmann als Schwiegersohn)
  • Marcus Vasen und
  • Abraham Gerson (erste Zuwanderung).


Besonders ab 1900 übte das prosperierende Homberg eine Sogwirkung nicht nur auf Tausende von Arbeitnehmern aus, die sich Beschäftigung im Bergbau, in der Industrie oder im Handel versprachen, sondern es waren auch Kaufleute aus dem Einzelhandel oder aus dem Diestleistungssektor, die eine unternehmerische Chance sahen, Geld zu verdienen. Denn Homberg hatte als Gesamt-Gemeinde ab 1907 über 25.000 Einwohner und damit auch über 25.000 Konsumenten. Die stabile wirtschaftliche Weiterentwicklung Hombergs zog natürlich auch Juden aus der unmittelbaren Umgebung, aus dem Rheinland, dem Ruhrgebiet und darüber hinaus an.

Zuwanderungen von jüdischen Familien bis 1925

  • 1898 von Bremen, Gutmann, Paul, Kfm. – Viehhändler, Rheinstr. 27 (Einzelperson)
  • 1900 (oder davor) von Rheinberg, Gerson, Abraham, Kfm., Moerser Str. 89
  • 1900 (oder davor) von Rheinberg, Gerson, Ludwig, Kfm., Moerser Str. 169
  • 1903 von Dortmund, Geib, Abraham, Arbeiter, Kirchstr. 95
  • 1905 von Ahlen, Spiegel, Nathan, Kfm., Moerser Str. 52
  • 1905 von Dortmund, Strauß, Isaak, Kfm. - Kaufhaus-, Moerser Str. 323
  • 1906 von Hamm, Löwenthal, Max, ? , Moerser Str. 46, 1910 Fam. nach Wuppertal
  • 1906 von Diedenhofen (Frankr.), Leib, Gustav, Kfm., Moerser Str, 132, 1909 Fam. nach Düsseldorf
  • 1906 von Remscheid, Dannenberg, Artur, Kfm., Moerser str. 218
  • 1908 von Groningen/NL, Bleekroode, Samuel, Bergmann/Lampenputzer, Kirchstr. 156
  • 1908 von Moers, Vasen, Hugo, Kfm. – Viehhändler/Metzger, Schützenstr. 87 (Saarstraße)
  • 1909 von Soldau (Ostpreußen), Seelig, Leopold, Kfm., Moerser Str. 228
  • 1910 von Neuwied, Witwe Juliane Krämer heiratet Abraham Geib, o. B., Breite Str. 15, erneut Witwe seit 1918, sie hatte insgesamt fünf Kinder. Sie eröffnete 1925 ein Lebensmittelgeschäft. Ihre Söhne Lothar (Lotharius), geb. 1900, und Peter, geb. 1904, aus erster Ehe, waren Bergleute, 1933 lebte sie auf der Poststr. 75.
  • 1914 von Moers, Nathan, Samuel, Arbeiter, Franzstr. 112, Prinzenstr. 79 (1934)
  • 1915 von Moers, Nathan Richard, Bergmann, Metzger, Prinzenstr. 79 (1938)
  • 1918 von Metz/Frankreich, Jablonski, Georgette, ? , Friedenstr. 19 (Schwester v. Gaston Jablonski)
  • 1919 von Schlochau (Westpreußen), Abraham, Betty, Verkäuferin, Moerser Str. 283, 1925 nach Meiderich
  • 1919 von Rheinhausen, Abraham, Leo, Kfm., Moerser Str. 283
  • 1920 Grenzmark Posen/Westpreußen, Abraham, Adolf, Kfm., Poststr. 17, 1925 nach Duisburg
  • 1920 (um) von Schalbach/Saarburg (Frankr.) Jablonski, Gaston, Kfm., Friedenstr. 19
  • 1920 von Rheinhausen, Abraham, Adolf, Kfm., Poststr. 1
  • 1923 von Viersen, Karten, Israel, Kfm., Moerser Str. 327
  • 1924 von Aachen, Spiegel, Benjamin, Kfm., Poststr. 19
  • 1924 von Moers, Holthausen, Klara, geb. Vasen, (Eltern Benjamin Vasen und Sara, geb. Coppel, heiratete Johann Holthausen (Nichtjude aus Homberg), Bergarbeiter, Rheinpreußenstr. 57.

Zwischen 1903 und 1913 waren in Homberg - neben den drei jüdischen Familien Coppel, Vasen und Gerson - weitere neun jüdische Familie sesshaft geworden. Obgleich sich einige der zugezogenen Familie nach ein paar Jahren wieder nach anderen Gemeinden abmeldeten (s.o.), stieg die Zahl der jüdischen Bevölkerung, vor allem auch durch Geburten in den Familien, bis 1913 auf 46 Personen an. Der erwartete schnelle Sieg zu Beginn des 1. Weltkrieges im Jahr 1914 trat nicht ein. Er dauerte bis November 1918 und endete mit der Kapitulation. Durch die Seeblockade der alliierten Streitkräfte gleich zu Beginn des Krieges war Deutschland von den Weltmärkten abgeschlossen. Die Ernährungslage der Bevölkerung begann sich umgehend und dramatisch zu verschlechtern. Bereits ab 1915 wurde Brot durch die Gemeindeverwaltung auf Karten (täglich 250 Gramm pro Kopf) ausgegeben. Im Folgejahr erstreckte sich diese Zwangsrationierungen auf Kartoffeln, Fleisch, Milch, Butter, Fett, Zucker, Eier und Seife. Für Bekleidungsstücke und Schuhe mussten ebenfalls stadtseitig Bezugsscheine ausgegeben werden. [39]

Trotz dieser äußerst schwierigen Lebensumstände während des Krieges, trotz der nachfolgenden Hyperinflation im Jahr 1923 mit zeitweiser hoher Arbeitslosigkeit und trotz der Besetzung des Rheinlandes durch belgische und französische Truppen (Homberg bis Ende Januar 1926), riss der Zuzug jüdischer Familien nach Homberg nicht ab. Bis 1925 ließen sich weitere neun jüdische Familien in Homberg nieder. Die Bevölkerungsstatistik von 1925 weist den höchsten Anteil jüdischer Mitbürger in Homberg aus (Grafik): 85 Juden von 26.649 Einwohnern. Das ist ein Bevölkerungsanteil von 0,32 Prozent oder 1 Jude auf 313 Nichtjuden.

Berufsstruktur der jüdischen Zuwanderer

Wenn man nun die Berufsstruktur der jüdischen Mitbürger in Homberg betrachtet, so zeigt sich, dass die jüdischen Zuwanderer keinem Beruf mit akademischer Ausbildung nachgingen oder in irgendeiner Weise dem Finanz- oder Großbürgertum angehörten.

Eine Ausnahme in dieser Kategorie war der Sohn der alteingesessenen Familie Coppel von der Rheinstraße. Der erstgeborene Sohn, Julius Coppel (geb. 1880), hatte nicht nur das Gymnasium (wahrscheinlich das Adolfinum in Moers) besucht, sonder auch Tiermedizin studiert. Aber Dr. Julius Coppel verließ Homberg bereits 1908 und übte seinen Beruf in Moers aus.

Zu den typischen jüdischen Berufen gehörten unter anderem die des Viehhändlers und des Metzgers.

Diese Berufe für Juden konnten bereits ausgeübt werden in der Zeit der regulierten Berufswahlmöglichkeiten unter der Aufsicht der Landesherren (s.o.). Auch am Anfang des 20. Jahrhunderts betätigte man sich traditionell in dieser Erwerbsbranche. Die Viehhändler kauften oder züchteten Schlachtvieh, um es an die zahlreichen Metzgereien zu verkaufen. Die Homberger Hugo Vasen (Viehmakler) und die Familie Coppel waren solche Viehhändler.

In einem Zeitungsinserat machten die Gebrüder Coppel auf ihr Geschäft aufmerksam:

„Wir erhalten am Montag, dem 27. Dezember einen Transport hochtragender und frischmelkender K ü h e. Gebr. Coppel, Homberg - Niedrh., Rheinstraße 27, Telefon Dsbg.- Nord 43963“ [40]

Die bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfassungsrechtlich garantierte freie Berufswahl der Juden in Deutschland hatte mit der Zeit eine Reihe von branchenspezifischen Erwerbstätigkeiten im Einzelhandelsbereich hervorgebracht, die typisch für Juden waren.

Die ab 1900 in Homberg zugezogenen Juden werden in überwiegender Zahl als Kaufleute ausgewiesen (s.o.). Die meisten von ihnen hatten bereits vor ihrer Zuwanderung ein Wareneinzelhandelsgeschäft im Familienbesitz besessen, in denen Ehefrau und Kinder in der Regel mitarbeiteten.

Mit über 25.000 Einwohnern gehörte Homberg zu den drei größten Gemeinden im Kreis Moers und war dadurch ein vielversprechender Absatzmarkt.

Um eine optimal Erreichbarkeit für ihre potenziellen Kunden zu erlangen, bevorzugten die jüdischen Geschäftsleute als Standort für ihre Unternehmen die Moerser Straße in Homberg und Hochheide. Entlang dieser Geschäftsstraße (bis zur Grenze nach Moers) wurden dem Kunden neben Artikeln des täglichen Bedarfs auch mittel- und langfristig zu nutzende Waren angeboten:

Lebensmittelgeschäfte, Metzgereien, Obst- und Gemüse-Läden, Süßwaren-Großhandel, Manufakturwarenhäuser, die über ein Gemischtwarenangebot aus Textilien und Waren für Haushalt und Familie, insbesondere Eisenwaren, Haus- und Küchengeräte bis zu Möbeln verfügten, Geschäfte für Damen- und Herrenausstattung sowie Schneiderateliers für Damen und Herren und Schuhgeschäfte. [41]

Diese Palette von Warenangeboten in jüdischen Geschäften ergänzte beziehungsweise konkurrierte mit den Warenangeboten der alteingesessenen Homberger Einzelhändler. Einerseits bot die in relativ kurzer Zeit stark angewachsene Bevölkerungszahl in Homberg allen Gewerbetreibenden eine ausreichend ökonomische Basis, andererseits war die Zahl der jüdischen Geschäfte im Verhältnis zu nichtjüdischen Geschäften derart gering, dass eine Konkurrenzsituation nicht wirklich zustande kam.

Bei der Befragung von Zeitzeugen ist nie auf Probleme mit jüdischen Händlern hingewiesen worden. Das Gegenteil war der Fall: Von der Jüdin Henriette (Henny) Coppel, die auf der Rheinstraße ein Manufakturwarengeschäft führte, wurde berichtet, dass „sie kranken Kindern aus der Nachbarschaft Milch ihrer Kühe kostenlos zukommen ließ“. Außerdem „ ließ sie unbezahlt eingekaufte Waren anschreiben und in kleinen Raten zurückzahlen“. [42]

Vom jüdischen Schuhhändler Artur Dannenberg in Hochheide erzählte man, dass er einem kleinen Jungen, der seine ersten Fußballschuhe kaufen wollte und dem fünf Mark am Kaufpreis fehlten, diesen Fehlbetrag erlassen hat. In einem nichtjüdischen Schuhgeschäft hatte man diese Großzügigkeit nicht aufbringen wollen. [43]

Die Branchenverzeichnisse in den Homberger Adressbüchern von 1913, 1925, 1934 und 1938 weisen die nachstehenden Erwerbstätigkeiten aus:

  • Damenschneiderei

Spiegel, Ruth, Margarethenstr. 26 (1934) Weiß, Berta, Moltkestr. 9 (1934) (1938), Jüdin ???

  • Eisenwarenhandlung

Pfaff, Jakob, Moerser Str. 83/85 (1925)(1934),(Elise 1938), Jude ???

  • Gemüse-, Obst- und Kartoffelhandlungen

Geib, Juliane, Wwe. Krämer, Breitestr. 15 (1934)(1938), (verh. in 1. Ehe mit Nichtjuden Johann Krämer)

  • Gewerbebetriebe im Umherziehen

Krämer, Peter, Breitestr. 15 (1925, Arbeiter)(1938 Luisenstr. 85), Mutter Jüdin, Vater Nichtjude (s.o.) Gerson, Karl, Moerser Str. 89 (1925)(1934)(1938) Spiegel, Nathan, Moerser Str. 52 (1925), Margarethenstr. 26 (1934)

  • Haushaltungs-, Galanterie-, Porzellan- und Spielwarengeschäft

Singer, Eduard, Moerser Str. 52, (1925), Jude ??? Pfaff, Elise, Moerser Str. 83/85 (1934)(1938), Jüdin ???

  • Manufakturwaren- und Konfektionsgeschäfte

Coppel, Henni, Rheinstr. 27 (1925), (1934) (1938) Gerson, Karl, Moerser Str. 89 (1925), (1934) (1938) Karten, Israel, Moerser Str. 327 (1925) (1934) (1938) Strauß, Isaak, Moerser Str. 323 (1925) (1934) (1938)

  • Schneider

Spiegel, Nathan, Moerser Str. 52 (1925) (1934 Margaretenstr. 26) Salomon, Paul, Adolf-Hitler-Str. 65 (Augustastr. 65) (1925) (1934) (1938) (1952!)

  • Schuhmacher- und Schuhwarenhändler

Seelig, Leopold, (1913 Moerser Str. 228) (1925) Dannenberg, Artur, Moerser Str.218 (1934)

  • Tabakwaren, Zigarrenhandlungen

Jablonski, Gaston, Friedenstr. 10 (1925)

  • Viehhandel:

Coppel, Gebrüder, Rheinstr. 29 (1925) (1934)

  • Zuckerwarenhandlungen:

Jablonski, Gaston, Friedenstr. 19 (1925)

Aus der Tabelle der zugewanderten jüdischen Familien ab 1903 geht hervor, dass die jüdischen Neubürger nicht nur in kaufmännischen Berufen Arbeit und Brot erwarben. Einige Wenige der Zuzügler wie Abraham Geib und Samuel Nathan wurden als Fabrikarbeiter ausgewiesen; Richard Nathan und Samuel Bleekroode mit seinen Söhnen Hermann und Simon hatten sich als Bergleute bei Rheinpreußen verdingt. Die hohe Zahl jüdischer Geschäftsleute gegenüber jüdischen Arbeitern weist darauf hin, dass weniger die Nachfrage nach Arbeitskräften bei Bergbau und Industrie die Juden veranlasste, ihre angestammten Wohnsitze aufzugeben, sondern dass das eigentliche Zugpferd für ihre Mobilität der gewinnversprechende Absatzmarkt in Homberg mit über 25.000 Einwohnern war.

Die jüdischen Kaufleute gehörten finanziell sicherlich nicht zu der einkommensstärkeren Schicht der Homberger Bevölkerung. Sie konnten aber der unteren Hälfte der so genannten Mittelschicht zugerechnet werden. Solange die Mittel- und Großbetriebe im hiesigen Wirtschaftsraum ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellten und damit die Einkommen der Familien garantierte, war auch der Absatzmarkt für die Homberger Geschäftswelt gesichert.

Doch Krieg und Wirtschaftskrisen übten ab 1914 permanent einen existenziell bedrohlichen Druck auf alle Unternehmen aus.

Verhältnis zwischen Hombergern und ihren jüdischen Mitbürgern

Die (bis 1925) zugezogenen jüdischen Familien wurden in Homberg als Mitbürger mit jüdischem Glauben wahrgenommen. Sie waren deutsche Staatsbürger und waren in der Geschäfts- und Arbeitswelt eingebunden. Was ihnen fehlte, war die kulturelle Einbindung beziehungsweise Integration. Es gab in Homberg keine gesellschaftliche Ebene, wo jüdische Mitbürger eine Rolle gespielt hätten. Die Juden hielten sich dem Vereinsleben fern. Dadurch grenzten sie sich von der übrigen Gesellschaft ab.

Der einzige prominente Jude, der für sich die Beschreibung eines voll integrierten Juden hätte in Anspruch nehmen können, wäre Moses Coppel gewesen, der als Unternehmer Steuerzahler der Klasse I war und sich bis 1904 als Gemeinderatsmitglied in der Bürgermeisterei Homberg für die Belange seiner Mitbürger einsetzte (s.o). [44]

Das gemeinsame Leben in Homberg zwischen Juden und Christen war unauffällig, war doch auch die Zahl der Juden gemessen an der Gesamtbevölkerung sehr gering (s.o.). Seitens der Juden gab es zu keiner Zeit glaubensbedingte Forderungen an die Kommune wie etwa nach einem Gebetsraum (Synagoge) oder einem eigenen Friedhof. Die Homberger Juden gehörten der Synagogengemeinde Moers an, wo sie gemeinsam mit ihren Glaubensbrüdern ihre religiösen Feste feiern konnten. Da die jüdische Gemeinde in Moers über einen eigenen Friedhof verfügte, wurden dort auch Homberger Juden bestattet. Auf dem jüdischen Teil des Moerser Friedhofs an der Rheinberger Straße befindet sich noch ein Grabstein von Max Seelig, der am 29. Dez. 1925 in Hochheide verstorben war.[45]

Das gemeinsame Lernen von jüdischen und christlichen Schulkindern machte ebenfalls keine Probleme. Jüdische Schülerinnen und Schüler hatten das Recht und die Pflicht zum Schulbesuch. Sie konnten wählen, ob sie eine öffentliche Volksschule (Klassen 1 bis 8) besuchen wollten oder die jüdische Schule in Moers. [46]

Der Zugang zum Lyzeum oder Gymnasium in Moers bzw. zur Oberrealschule in Homberg nach der 4. Klasse stand ihnen offen. So besuchten die Geschwister Helene (geb. 16. 10. 1913) und Irma Seelig (geb. 9. 5. 1916) aus Hochheide das Lyzeum in Moers. [47]

Der jüdische Schüler Kurt Gerson (Sohn von Karl Gerson) von der Moerser Str. 89 wurde 1922 an der Oberrealschule an der Wilhelmstr. 25 eingeschult und mit dem Abitur 1931 verabschiedet. Seine Schwester Hildegard besuchte ebenfalls die Homberger Oberrealschule, musste aber nach sechs Jahren Schulbesuch im Jahr 1934 auf Druck der Homberger Nationalsozialisten die Schule verlassen. [48]

Abwanderung der Juden aus Homberg nach 1925

Das Ende des Krieges im November 1918 hatte die revolutionäre Veränderung des Deutschen Kaiserreiches in eine parlamentarische Demokratie zur Folge, die Weimarer Republik (1919 bis 1933). „Es folgten die Krisenjahre von 1919 bis 1923 in denen die Republik mit den Kriegsfolgelasten, einer Hyperinflation (1923) sowie zahlreichen Umsturzversuchen zu kämpfen hatte (Anm.: u.a. Adolf Hitler 1923 in München). In den Jahren 1924 bis 1929 erlebte sie eine Zeit der relativen Stabilität und wirtschaftlichen Erholung. [49]

Die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929, die Instabilität der Regierungen in Berlin, insbesondere nach dem Bruch der Großen Koalition am 27. März 1930 (Präsidialkabinett) und der Aufstieg des Nationalsozialismus mündeten schließlich in ihren Untergang. [50]

Auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland aber drückte nach dem Ende des Krieges ein noch ganz anderer Schuh: etwa 6 Millionen zurückkehrende Soldaten mussten „demobilisiert“, d.h. in die deutsche Gesellschaft und damit auch in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Bis Ende des Jahres 1922 kamen in Homberg nur einzelne Arbeitslose zur Anmeldung, für die sofort Arbeit vermittelt werden konnte. Im Inflationsjahr 1923 stieg die Arbeitslosigkeit allerdings dann sprunghaft an. Hinzu kam die Ruhrbesetzung im Frühjahr 1923, welche die Arbeitslosigkeit zusätzlich nach oben trieb. Am 1. November 1923 zählte man in Homberg 3.188 Erwerbslose.“ Um die galoppierende Hyperinflation einzudämmen, beschloss die Reichsregierung, den Wert des Geldes durch einen Währungsschnitt wieder herzustellen. Die Rentenmark wurde eingeführt (15. 11. 1923), die später von der Reichsmark wertgleich abgelöst wurde.

Nach dieser Entscheidung ging die Zahl der Erwerbslosen wieder zügig zurück. „Am 1. April 1924 waren nur noch 531 Personen in Homberg arbeitslos. Die weitere Besserung des Arbeitsmarktes bewirkte, daß am 1. Januar 1925 nur noch an 19 Personen Erwerbslosenunterstützung gezahlt wurde.“ [51]

Schließung der Zeche Rheinpreußen leitet Abwanderung ein

„Leider bedingten im Sommer 1925 die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse im Bergbau die Stillegung der hiesigen Schachtanlagen I/II (Schacht III bereits 1914) der Zeche Rheinpreußen. Die dadurch zur Entlassung kommenden Arbeiter konnten anderweitig nicht alle untergebracht werden, so daß am 15. August 1925 bereits wieder 388 Personen in der unterstützenden Erwerbslosenfürsorge standen. Am 31. März 1926 waren es 747.“

Mit der Beendigung des Bergbaus in Homberg war der wichtigste Arbeitgeber für die Homberger Wirtschaft weggebrochen. Den Zulieferungsbetrieben für die Zeche fielen Aufträge weg, die Kommune erhielt weniger Steuern, musste aber mehr Erwerbslosenunterstützung zahlen, die Kaufkraft der Familien nahm ab, was zur Folge hatte, dass alle Geschäft, also auch die jüdischen, einer abflauenden Güternachfrage gegenüberstanden.

Der Bericht über die wirtschaftliche Fürsorge im Homberger Verwaltungsbericht 1926 bis 1932 gibt Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse in Homberg, wenn Bürgermeister Wendel schreibt: „Die gesamte Berichtszeit stand im Zeichen des wirtschaftlichen Niederganges, der die Fürsorgelasten von Jahr zu Jahr anwachsen ließ, sodaß es immer schwieriger wurde, den städtischen Haushalt auch nur notdürftig in Ordnung zu halten. Schon am Anfang der Berichtszeit wirkte sich die im Jahre 1925 eingetretene Stillegung der Schächte I und II der Gewerkschaft Rheinpreußen auf den Fürsorgeetat sehr ungünstig aus. Wenn auch von den hierdurch betroffenen 3.400 Bergarbeitern der weitaus größte Teil auf auswärtigen Schächten nach und nach wieder Arbeit fand, so wurden doch einige hundert Leute im Hinblick auf ihr Alter nicht wieder eingestellt.

Zahl der Fürsorgeempfänger (Gesamtzahlen):

Bereinigte Arbeitslosenzahlen sind im Bericht nicht ausgewiesen, korrespondieren jedoch mit den erfassten Zahlen der Fürsorgeempfänger.

Jahr Personenzahl
1927 575
1928 851
1929 1067
1930 2027
1931 3897
1932(März) 5052 (18,5% d. Bev.)[52](52)


In den Jahren nach 1925 gab es in Homberg zunächst keine Zuwanderung mehr. Jedoch wurden zwischen 1926 und 1937 fünf Kinder in jüdischen Familien geboren. [53]

Als erster Zuwanderer nach 1925 ließ sich im Jahr 1930 der Jude Jonas Ring aus Camp/Lintfort mit Ehefrau und Sohn in Homberg nieder. Er war Reisender und wohnte zuletzt mit seiner Familie im Haus des Karl Gerson auf der Moerser Str. 89, das um 1940 als Judenhaus ausgewiesen wurden (s. Chronik: 14. Nov. 35 - Judenhaus - Jan. 41. Alle Bewohner dieses Hauses kamen in Konzentrationslagern der Nazis ums Leben.)

Von den 85 Juden im Jahr 1925 hatten bis Ende 1929 23 jüdische Mitbürger Homberg verlassen. Durch zwei Neugeburten (1926 und 1929) ergab sich Ende 1929 statistisch eine Einwohnerzahl von 64 Personen. Die ersten Abwanderungen jüdischer Familien zwischen 1926 und Ende 1929 waren offensichtlich ökonomische motiviert, denn Hitlers rassistische und antisemitische Ideologie wurde erst ab der Machtergreifung Hitlers mit steigender Demagogie verbreitet und von breiteren Kreisen der deutschen Gesellschaft aufgenommen und unterstützt.

Die kommunale Politik in Homberg und im Kreisgebiet wurde in den Zwanzigerjahren der Weimarer Republik von den etablierten Parteien bestimmt. Mitglieder der NSDAP traten noch nicht in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Zur Frage der Integration der Juden in Deutschland

Wurden die deutschen Juden von den Deutschen jemals als integriert betrachtet?

Seit es Juden im Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation gab, wurden sie als religiöse Fremdkörper im christlich-katholischen Abendland behandelt. Auch der Protestantismus des Reformators Martin Luther hat an dieser Haltung nichts geändert. Im Gegenteil. Mit Luthers Hetzschriften gegen die Juden wurde sogar der Schulterschluss mit der katholischen Kirche vollzogen. Die gegenseitige Missachtung und Verunglimpfung trieben die Juden in die örtliche Diaspora, oder, wie man heute formuliert, in eine Parallelgesellschaft, wo sie sozial-gesellschaftliche Kontakte nur unter Ihresgleichen finden konnten.

Erst die Phase der Säkularisierung nach der Französischen Revolution öffnete den Weg zu mehr Emanzipation für die Juden in der modernen deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Mit dem Beginn des Deutschen Reiches unter Kaiser Wilhelm I. säkularisierte sich auch der jüdisch religiöse Lebensstil. Jedoch war diese Entwicklung eingeklemmt im Spannungsfeld von orthodox und liberal denkenden Juden.

Doch der Ausbruch des 1. WK wurde zur Blaupause für das Bekenntnis der Juden für Volk und Vaterland. Anteilmäßig stellten sie gleichviele Soldaten wie Nichtjuden.Ihr patriotisches Kampfverhalten wurde gleichermaßen mit zahlreichen Tapferkeitsmedaillen und Beförderungen ausgezeichnet. Dennoch diskriminierte das deutsche Offizierskorps über Pressekampagnen die jüdischen Soldaten als Drückeberger. Von den 85.000 deutschen Juden sind etwa 12.000 gefallen. [54]

Das immer stärker aufkommende national-völkische Gedankengut, propagiert von nationalistischen Gruppierungen und Parteien, konterkarierte jegliche Versuche einer gewünschten Integration. „Die gemeinsame Hungers- und Leidenszeit während des 1. WK halfen also nicht, die letzten bestehenden Unterschiede zu überwinden. Die patriotische Begeisterung wurde den Juden nicht abgenommen, so dass mit dem Ende des Krieges für die meisten Juden der Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und vollständige Integration nicht beendet war. Im Gegenteil: An die Stelle des auf religiöse Abgrenzung und abergläubischen Gerüchten beruhenden Antijudaismus war der Antisemitismus getreten.“ [55]

Aufstieg und Machtergreifung der NSDAP durch Wahlerfolge

Adolf Hitler saß bis 1925 seine Haftstrafe wegen seines Putschversuches am 9. November 1923 in München im Gefängnis in Landsberg am Lech ab. Sein erster Schritt nach der Haftentlassung war die Neugründung der mit seiner Aburteilung verbotenen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Seine während der Haftzeit verfasste Propagandaschrift „Mein Kampf“, die 1925/26 veröffentlicht wurde, fand noch keinerlei Resonanz von politischer Bedeutung.

Er begann mit dem Aufbau einer schlagkräftigen Parteiorganisation in ganz Deutschland, um die Umsetzung seiner rassistischen Ideologie in die Wege zu leiten. Dieser Prozess verlief zunächst schleppend und ohne spektakuläre politische Erfolge bei Wahlen. Das wurde dann auch bei der Reichstagswahl von 1928 mit aller Deutlichkeit offengelegt.

Reichstagswahl 1928

„Bei der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 erhielt das völkische Lager einschließlich der NSDAP nicht mehr als acht Prozent der Stimmen.“ [56]

In Homberg stimmten bei diesem Wahlgang lediglich 88 von 12.208 abgegebenen Stimmen für die NSDAP oder 0,72 Prozent. [57]

Die NSDAP war in der Republik wie in Homberg eine Splitterpartei, die mit bis zu 16 weiteren Parteien konkurrierte. Zu diesem Zeitpunkt konnte für die Juden aufgrund der Wahlergebnisse eine existenzielle Bedrohung durch die Nazis generell ausgeschlossen werden. Die 23 Juden, die Homberg bis Ende 1929 verließen, hatten demzufolge wohl eher ökonomische Motive, um diesen Schritt zu tun.

Reichstagswahl 1930

Gründung von NSDAP Ortsgruppen

Der Aufbau der Parteistrukturen der NSDAP begann im Kreis Moers schon ab 1926. In diesem Jahr wurden zwei Ortsgruppen (OG) ins Leben gerufen: OG Moers/Vluyn und OG Rheinhausen. Die Rheinhauser Nazis waren „mit 50 Mitgliedern lange die „Hochburg“ am Niederrhein. Unter Führung dieser beiden Ortsgruppen wird bereits 1927 die SA (Sturmabteilung) im Kreis Moers gegründet. [58]

In Homberg fanden sich erst Mitte 1930 Mitglieder der NSDAP zusammen, um die Ortsgruppen Homberg/Essenberg und Hochheide zu gründen. [59]

Mit der Gründung der Ortsgruppen stieg nicht nur die Organisationskraft der Partei, sondern die Unterstützung durch externe NS-Parteiredner war für den Wahlkampf vor Ort gesichert. Die nächste Wahl des Reichstags war für den 14. September 1930 angesetzt worden. „Der Grafschafter“, Tageszeitung in den meisten Gemeinden des Kreises Moers, berichtete nun auch von Versammlungen der NSDAP in Homberg/Hochheide. Daraus geht hervor, dass Kern der politischen Vorträge das Thema Schutz des deutschen Volkes vor dem Marxismus - Bolschewismus war. Der Kommunismus in Deutschland wurde von der NSDAP als erklärtes Feindbild gebrandmarkt und durch Angstprognosen verteufelt. [60]

Wegen der inneren Zerrissenheit des parlamentarischen Systems während der Weimarer Republik und der daraus folgenden Instabilität der Regierungen war es notwendig geworden, vorzeitig am 14. September 1930 eine Neuwahl des Reichstags durchzuführen. Der systemische Grund dafür war, dass die maßgeblichen Parteien aus dem linken politischen Spektrum - SPD und KPD - wie aus den rechten politischen Spektrum - DNVP und NSDAP - die mit der Weimarer Verfassung 1919 neu begründete politische Ordnung nicht akzeptierten. [61]

Der Wahlkampf der NSDAP wurde 1930 von Joseph Goebbels zentral organisiert und neu akzentuiert: „Die NSDAP prangerte den Zerfall Deutschlands unter dem „System von Weimar“ an, beschwor die nationale Volksgemeinschaft und stellte die herrschende Weltwirtschaftskrise als Komplott gegen Deutschland dar. Auf offen antisemitische Propaganda wurde auf Weisung Goebbels weitgehend verzichtet. Im Wahlkampf der NSDAP herrschte stattdessen jetzt nationale, antikommunistische und antikapitalistische Propaganda vor.“ [62]

Die Hitler-Partei präsentierte sich dem Wahlvolk als Hoffnungsträger eines neuen Deutschland. [63]

Der NSDAP gelang mit 6,4 Millionen Stimmen nach 810.000 im Jahr 1928 der Durchbruch: Sie wurde zweitstärkste Fraktion im Reichstag nach der SPD. Die Analyse der Wahlen ergab, dass die Faschisten in allen Klassen und Schichten der Bevölkerung in nennenswerter Weise Wählerstimmen rekrutieren konnten. [64]


Reichstagswahl 1930 Homberger Ergebnis
SPD 24,5% 19,94%
NSDAP 18,3% 25,27%
KPD 13,1% 17,18
Zentrum 11,8% 15,34%

Auch in Homberg zeigte die Anti-Weimar-Stimmung beim Wahlgang am 14. September 1930 überraschende Ergebnisse: Von 13.983 abgegebenen Stimmen entfielen auf die NSDAP 3.508 (25,27 Prozent), SPD 2.771, KPD 2.385 und Zentrum 2.129 (alle übrigen Parteien blieben weit unter 1.000). [65]

In Homberger waren die Faschisten eindeutig die Wahlgewinner. Die Zusammensetzung der Homberger Stadtverordnetenversammlung (Ratsversammlung / Rat) entsprach dem letzten Kommunalwahlergebnis vom 17. November 1929. Die NSDAP konnte 1929 von den 32 Sitzen der Ratsversammlung noch kein Mandat gewinnen.

Das veränderte Wählerverhalten der Bürger 1930 zugunsten der NSDAP im Reich wie in Homberg sowie die rasant steigende Zahl der Beitrittserklärungen zur NSDAP bestärkte die Ortsgruppe Homberg in ihrem Anspruch , die Machtverhältnisse im Rathaus dem aktuellen Wahlverhalten anzupassen. Sie stellte den schriftlichen Antrag auf Auflösung der Stadtverordnetenversammlung. In der Niederschrift der Ratssitzung vom 8. Oktober 1930 wird unter Tagesordnung Punkt 8 festgehalten: „Auf Antrag des Mitglieds Krämer I (S.P.D.) beschloß die Versammlung, über diesen Punkt zum nächsten Punkt der Tagesordnung überzugehen.“ [66]

Noch konnte die Machtübernahme der Nazis in Homberg zurückgewiesen werden, wenn auch auf arrogante Weise. Jedoch war nicht zu übersehen, dass die NSDAP auch vor Ort zum politischen Machtfaktor herangewachsen war.

Die Propagandastrategie von Goebbels war voll aufgegangen. Der Kurs der verdeckten antisemitischen Haltung der Nazis wurde fortgesetzt. „Die Reichswahlkampfleitung war sich darüber klar, dass offene „antisemitische Propaganda keine neuen Wähler anziehen würde, weil die sozialen Schichten, die für antisemitische Schlagworte empfänglich waren, bereits überwiegend zur NSDAP-Wählerschaft gehörten. Daher spielte die Partei in den Wahlkämpfen bis zum November 1932 den Kampf gegen das Judentum eher herunter, sodass die Deutschnationalen zeitweise in stärkerem Umfang antisemitische Slogans benutzten als die NSDAP selbst.“ [67]

Diese Verschleierungspolitik der nationalsozialistischen Propaganda zeigte Wirkung:

In Homberg, aber wohl auch in anderen Teilen des Deutschen Reiches, sahen viele jüdischen Mitbürger trotz der massiven Wählerzugewinne der Nazis für sich noch keine existenzielle Bedrohung. Die Homberger Juden blieben zwischen 1929 und 1932 weiter in ihrer Stadt wohnen.

Auch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise (1929 bis 1932) in Deutschland, mit Massenarbeitslosigkeit und der Schließung zahlreicher Unternehmen, waren wohl ausschlaggebend, dass ein Verbleib am Standort Homberg alternativlos erschien.

Die Zahl der jüdischen Mitbürger blieb konstant bei knapp über 60 (s. Grafik).

Reichstagswahlen 1932 - Hitlers Weg zur Machtergreifung

„Am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP stärkste Partei im Reichstag, jedoch ohne die absolute Mehrheit zu erreichen:

Reichstagswahl: Homberger Ergebnisse

Tabelle

Alle übrigen Parteien erlangten jeweils weniger als 10 Prozent der Stimmen.

Während des Wahlkampfes war die für kurze Zeit bestehende „Einheitsfront“ zwischen SPD und KPD zerbrochen. Für die Kommunisten war der Sozialismus, der von den Sozialdemokraten programmatisch vertreten wurde, lediglich „Sozialfaschismus“. [68] Die gebildete Regierung verfügte über keine stabile Mehrheit.

Am 6. November 1932 fand deshalb bereits die nächste Reichstagswahl statt.

„Die Wahlen endeten mit erheblichen Stimmenverlusten der NSDAP, dennoch blieb sie stärkste Partei im Reichstag. Adolf Hitler meldete seine Kanzlerschaft an („Antrag auf Führung eines Präsidialkabinetts“) [69]

Reichstagswahl: Homberger Ergebnisse

Tabelle

Alle übrigen Parteien erlangten weniger als 10 Prozent der Stimmen. Jedoch zeigte sich erneut: Die im Reichstag vertretenen Parteien waren nicht bereit, miteinander zu koalieren. Der Reichspräsidenten konnte zwar ein Kabinett einsetzen (§ 53 der Weimarer Reichsverfassung), dieses konnte aber vom Reichstag zu jeder Zeit durch ein Misstrauensvotum abgesetzt werden. Die Arbeit im Reichstag war damit faktisch lahmgelegt.

Dennoch fällte Reichspräsidenten Hindenburg die Entscheidung, den pateilosen Adeligen Franz von Papen (erneut) zum Kanzler zu bestellen. Papens Minister waren ebenfalls überwiegend parteilos, adelig und Akademiker („Kabinett der Barone“). Von Papen forderte öffentlich, den handlungsunfähigen Reichstag auf unbestimmte Zeit aufzulösen, bis mit dem Abklingen der Weltwirtschaftskriese auch der politische Radikalismus abgeklungen sei. Bis dahin müsse man mit Unterstützung der Reichswehr gegen die Verfassung regieren. Dieser Auffassung wurde widersprochen, von Papen trat zurück und Reichspräsident Hindenburg ernannte am 3. Dezember 1932 erneut einen Adeligen zum Kanzler: Kurt von Schleicher Auch Kanzler von Schleicher war parteilos.

Sein Plan, die Handlungsunfähigkeit des Parlaments zu überwinden, war darauf ausgerichtet, die Einbindung aller sozial orientierter Kräfte („Querfront“) von den Freien Gewerkschaften über die Arbeitnehmerflügel des Zentrums bis zum linken Flügel der NSDAP zu erreichen. Als sein Plan scheiterte, plädierte er ebenfalls für einen Staatsstreich: Der Reichstag sollte aufgelöst werden, ohne einen Termin für Neuwahlen festzulegen. Als Hindenburg dies ablehnte, trat Schleicher am 28. Januar 1933 zurück. [70]

Reichstagswahl 1933 – Hitlers Weg vom Kanzler zum Diktator

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg den Führer der NSDAP Adolf Hitler zum Kanzler. Mit 41,4 Prozent hatte die Koalitionsregierung im Parlament aus NSDAP 33,09 und DNVP (Deutschnationale Volkspartei) 8,66 Prozent keine Mehrheit.

Da die Weimarer Verfassung weiterhin in Kraft war, bestand verfassungsrechtlich die Möglichkeit, die in der Verfassung garantierten Grundrechte per Verordnung außer Kraft zu setzen. Als es am 28. Febr. 1933 (s. Chronologie) zur Brandstiftung am Reichstagsgebäude („kommunistisches Komplott“) kam, wurde am Tag darauf die Verordnung zum Schutze von Staat und Volk („Reichstagsbrandverordnung“) erlassen, wodurch Grundrechte von Bürgern keine Gültigkeit mehr hatten. [71]

Reichstagswahl am 5. März 1933

Die Reichstagswahl am 5. März 1933 war die letzte Wahl, an der mehr als eine Partei teilnahm, und sie stand bereits unter dem Eindruck der Diktatur des Nationalsozialismus. Der Wahlkampf wurde seitens der Nazis mit höchster Brutalität und Terror gegen ihre politischen Gegner geführt, der sich besonders gegen die KPD und SPD richtete. Dabei kamen die Nazi-Organisationen SA, SS und Stahlhelm in Einsatz, die von Hermann Göring (kommissarischer Innenminister) zu Hilfspolizisten erklärt worden waren.

Trotz Tausender von Festnahmen (Schutzhaft) von Mitgliedern der KPD und SPD stellten sich beide Parteien dem Wählervotum.

Die NSDAP legte zwar um 10,8 Prozent der Wählerstimmen zu, konnte aber nur mit dem Koalitionspartner DNVP, die wegen eines Wahlbündnisses unter dem Namen Kampffront Schwarz-Weiß-Rot angetreten waren, eine parlamentarische Mehrheit erreichen.

Reichstagswahl 5. März 1933

Tabelle??? [72]

Bereits vor der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments wurden die 81 Mandate der KPD annulliert, d.h. für ungültig erklärt.

Für die Verabschiedung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich, bekannter als „Ermächtigungsgesetz“, wodurch die gesetzgebende Gewalt des Parlaments auf die Regierung übertragen werden sollte, musste die Verfassung geändert werden. Dazu war eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Am 23. März 1933 (s. Chronologie) stimmten die Parlamentarier dem Gesetz zu. Lediglich die SPD sprach sich vehement gegen das Gesetz aus und stimmte dagegen. Durch den Ausschluss der 81 KPD-Abgeordneten war die Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament gesichert.

„Dieses Gesetz diente nicht dazu, die Republik handlungsfähiger zu machen, sondern - im Gegenteil - sie abzuschaffen. Zusammen mit der Reichstagsbrandverordnung gilt es als rechtliche Hauptgrundlage der nationalistischen Diktatur.“ [73]

Schon im Juli 1933 (s. Chronologie) beschloss die Regierung das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien. Damit war die Parteidiktatur der NSDAP verfassungsrechtlich abgesichert (Faschismus).

Hitler war legitimierter Diktator.

Der Historiker Dietmar Süß nennt in einem Interview des n-tv vom 29. Januar 2013 auf die Frage,weshalb der Nationalsozialismus an die Macht gekommen sei, drei Gründe:

„Ein wichtiger Grund war, dass die Weimarer Republik ihre demokratische Basis verloren hatte. Es gab in dieser Demokratie nicht genug Demokraten.

Ein zweiter Grund war, dass ein erheblicher Teil der Deutschen den Nationalsozialismus wollte. Seit 1932 war die NSDAP die stärkste Fraktion im Reichstag und noch über die Wählerschaft hinaus gab es viele, die für Hitler große Sympathien hegten.

Damit verbunden ist drittens eine Art Erlösungshoffnung, die mit der Figur Hitler verbunden war.“

„Typisch für die Geschichte des Nationalsozialismus nach 1933 ist ein fortwährender Radikalisierungsprozess der Gewalt.“ [74]

Zur Geschichte der Juden in Homberg ab 1933

Machtübernahme der NSDAP in Homberg

Homberger Vorfälle

Gleich nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler kam es in Homberg am 1. Februar 1933 (s. Chronologie) zu Schießereien mit Toten, die Aufmerksamkeit bis nach Berlin provozierten. „Blutige Zusammenstöße in Homberg - Göring greift wegen der blutigen Vorfälle in Homberg-Niederrhrein ein“ titelte der „Grafschafter“ am 2. 2. 1933.

Die unter dem Begriff „Homberger Vorfälle“ veröffentlichten Ereignisse „gingen später in die Gerichtsakten ein“. [75] (s. Chronologie 1950)

In den Unterlagen der „Homberger Prozessakte“ von 1950 stellt die Staatsanwaltschaft vom Schwurgericht Kleve den Tathergang folgendermaßen dar: [76] „Am 30. 1. 1933 und an den folgenden Tagen herrschte in Homberg eine ausgesprochene Kampfstimmung zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten. Die Kommunisten wohnten fast ausnahmslos in dem Arbeitervorort Hochheide. Am Abend des 30. 1. 1933 machten die Anhänger der NSDAP einen Fackelzug. Dabei zogen sie auch durch die Kolonie in Hochheide. Die polizeiliche Begleitung, die sich offenbar der durch diese Provokation entstehenden Gefahr nicht aussetzen wollte, blieb vor der Kolonie zurück. In der Kolonie wurde der Fackelzug beschossen. Am folgenden Tage herrschte bei den Nationalsozialisten eine erhebliche Nervosität. Diese steigerte sich, als bekannt wurde, daß kommunistische Erwerbslose die Absicht hatten, am 1. 2. Vormittags geschlossen zum Homberger Rathaus zu ziehen, um ihre Wohlfahrtsunterstützung abzuholen.“ [77]

"An diesem Mittwoch hielten sich in der Hauptstraße (Anm.: Moerser Straße in Hochheide) Richtung Homberg weder morgens um 10 noch später Kommunisten oder der erwartete Zug der Erwerbslosen auf. Aber SA und SS – zum Teil aus Rheinhausen – hatten die Straßen besetzt." In offensichtlicher Verkennung der Kräfteverhältnisse versuchte nun eine neun Mann starke Gruppe der kommunalen Polizei gemeinsam mit 16 Landjägern unter Landjägermeister Pließ die Straße zu räumen.[78]

„Die Menge setzte sich in Bewegung. Die Hauptmasse wurde durch die Augustastraße von den Landjägern vorwärtsgetrieben. Der Rückzug vollzog sich ohne nennenswerte Zwischenfälle bis kurz vor dem Heim (Anm.: SA-Heim Wilhelmstr. 4) in der Wilhelmstraße. Hier entstand ein Stau. … Einige Nationalsozialisten nahmen eine drohende Haltung an. Plötzlich vielen Schüsse. Es wurde von beiden Seiten geschossen. Vier Nationalsozialisten und etwa ebenso viele Landjäger wurden verletzt. Der SS – Mann Paffrath und der Sa-Mann Markus / Marcus sind an den Verletzungen verstorben. Nunmehr zogen sich die Nationalsozialisten in das Heim zurück; die Landjäger flüchteten teils zum Rathaus, teils durch die Augustastraße in die Schillerstraße hinein. Nachdem die die Flucht der Landjäger im Heim bekannt geworden war, stürmten die SA- und SS-Leute wieder auf die Straße und nahmen die Verfolgung auf.“ [79]

Der Landjägermeister August Pliehs (Anm.: Schreibweise auf seinem Grabstein) floh in die Schillerstraße und versuchte sich im Garten des Hauses 23 zu verstecken.

Landjäger Pließ wurde brutal ermordet. „Der Obduktionsbericht ergab, dass Pließ zwei Rückenschüsse, einen Armschuss und vier Kopfschüsse erhalten hat. [80]

Wer die tödlichen Schüsse auf Markus und Paffrath abgegeben hatten, konnte den Nationalsozialisten gleichgültig sein. Sie wurden zu Märtyrern der Bewegung gemacht, und bald darauf wurde die Wilhelmstraße nach ihnen in Markus - Paffrath - Straße umbenannt.

Gewalt gegen KPD und SPD

„Indem Hitler am 30. 1. 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, war die Macht noch nicht „ergriffen.“ [81]

Die Machtdemonstration der NSDAP, kämpferisch unterstützt durch die Schlägertrupps von SA und SS (Sturmabteilung und Schutzstaffel der NSDAP), führte der Bevölkerung drastisch vor Augen, dass eine neue Zeit angebrochen war. „Die Anpassung an den „Zeitgeist“ gelang vielen scheinbar mühelos. [82]

„Die Nationalsozialisten konnten sicher sein, dass ihnen vom Verwaltungs- und Polizeiapparat keine Gefahr drohte.“ [83]

Der Reichstagsbrand am 27. 2. 1933, der den Kommunisten angelastet worden war, in Verbindung mit dem Erlass der Reichsbrandverordnung (s.o.) am Tag darauf, führte dazu, dass die Nazis nun offen gegen kommunistische „Terroristen und Waffenbesitzer“ vorgehen konnten.

Am 1.3. 1933 wurde in den Gemeinden des Kreises Moers 65 politischen Führer der KPD, davon 6 (später 2 weitere) aus Homberg verhaftet. Grundsätzlich war es üblich, bei Mitgliedern der KPD Hausdurchsuchungen zu veranlassen. [84]

Eine solche Hausdurchsuchung fand auch am 03. März 1933 (s. Chronik: Ermordung von Anton Burkelz) im Haus 134 in der Hahlenerstraße statt, in dem ein Mitglied der KPD wohnte. In dem Artikel im Grafschafter vom 6. März, basierend auf dem Bericht der Landeskriminalpolizei Düsseldorf, geht hervor, das „eine Anzahl von NSDAP-Leuten die Wohnung und den angrenzenden Stall nach Waffen durchsuchten. Nach Angaben der NSDAP-Leute soll ein Schuss in den Stallraum abgegeben worden sein. Darauf wurde das Feuer von den NSDAP-Leuten angeblich erwidert. Danach hatte sich der Wohnungsinhaber mit dem später auf dem Heuboden vorgefundenen Anton Burkelz nach dort geflüchtet. Durch die Ehefrau wurde die Polizei benachrichtig, die die Leiche dort auf dem Heuboden vorfand.“ [85] Im Bericht der Kriminalpolizei spricht der Wohnungsbesitzer die Vermutung aus, dass Anton Burkelz seine Waffe gegen sich selbst gerichtet habe, weil er schon früher mehrmals die Andeutung gemacht habe, selbst Hand an sich zu legen, falls er sich in Not befände. Parallel zur Verfolgung der Kommunisten und wurden auch Mitglieder der SPD verfolgt und in Schutzhaft genommen, was oft Gefängnisstrafen oder gar den Tod zur Folge hatte. Allein in der Zeit zwischen dem 15. 6.und 30. 6. 1933 wurden 19 Homberger Sozialdemokraten in Schutzhaft genommen. In der Schutzhaft wurden die Betroffenen durch Repressalien bis zur Folter zu Denunzierungen gegenüber anderen gezwungen.

Machtübernahme im Homberger Rathaus

Einstellung und Entlassungen

Die Stadtverordnetenversammlung (Rat) bestand am 1. 4. 1932 aus 32 Mitgliedern. Am 04. Febr. 1933 [86] wurden durch eine Verordnung der Preußischen Staatsregierung die Auflösung aller Vertretungskörperschaften (gewählte Bürger in Gemeinden, Städten, Kreisen, Ländern usw.) angeordnet.

Die kommunalen Neu-Wahlen fanden am 12. März 1933 statt. Homberger Ergebnis:

Die Vertreter der KPD durften durch den Runderlass des Ministers des Inneren vom 20. 3. 1933 an den Sitzungen der Vertretungskörperschaften nicht mehr teilnehmen, da sie unter dem Verdacht des Hochverrats standen. Da die Zahl der Sitze somit um 3 Mandate reduziert 29 Sitze betrug, hatte die NSDAP mit 16 Sitzen alleine die einfache Mehrheit erreicht. [87] Die erste (konstituierende) Sitzung wurde für den 30. 3. 1933 einberufen. Aus der Niederschrift der Stadtverordneten-Sitzung vom 18. 4. 1933 geht hervor, dass „drei Ratsherren der SPD der Sitzung ferngeblieben sind, weil sie in Schutzhaft gewesen waren“. [88]

Einstellung und Entlassungen

Weiter wurde mitgeteilt, dass die Herren Berger und Kleinhorst von der SPD und Herr Spieker vom Zentrum auf ihre Stadtverordnetenmandate verzichten.

Die NSDAP-Fraktion teilte im selben Protokoll mit, dass sie „für die anliegenden Ausschuß- und Kommissionswahlen mit der Nationalen Liste „Schwarz-Weiß-Rot“ eine Wahlgemeinschaft bilde“. Im Protokoll der Stadtverordneten-Sitzung vom 29. Mai 1933 wurde festgestellt, dass alle Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion ihr Stadtverordneten-Mandat niedergelegt haben“. [89]

Nach dem Verbot der KPD war nun auch die Fraktion der SPD aus dem Stadtrat ausgeschieden. Die SPD kam damit ihrem offiziellen Verbot nur zuvor.

„Aufgrund des Aufrufs der SPD-Leitung zum Sturz des nationalsozialistischen Regimes verbot Reichsminister Wilhelm Frick die SPD am 22. Juni 1933 als „volks- und staatsfeindliche Organisation“, in den darauf folgenden Tagen lösten sich alle anderen Parteien mit Ausnahme der NSDAP selbst auf.“ [90]

Durch diese Verordnung war wohl die SPD als Partei verboten worden, aber es saßen noch gewählte SPD Mandatsträger in allen politischen Gremien. Um diese zu entfernen, hob die „Verordnung zur Sicherung der Staatsführung“ vom 7. Juli 1933 sämtliche SPD Abgeordnetenmandate im Reichstag, in den Landtagen und Gemeindeparlamenten auf. [91]

Schließlich folgte am 14. Juli 1933 das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“. Das Gesetz verbot im Reich alle politischen Parteien außer der NSDAP.

Einparteiensystem - Führerprinzip

Nachdem die Nationalsozialisten die demokratische Struktur des Mehrparteiensystems in der Weimarer Republik radikal in ein faschistisches System mit einer Partei umgewandelt hatten, führte man mit dem Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dez. 1933 - in Bezug auf die Kommunale Selbstverwaltung der Gemeinden - das Führerprinzip ein.

Nach dem neuen Gesetz traten an Stelle der Stadtverordneten, an deren Beschlüsse der Leiter der Gemeinde durchweg gebunden war, nunmehr die Gemeinderäte (Ratsherren), die dem Gemeindeleiter lediglich beratend zur Seite stehen. Die Verantwortung für die Führung der Geschäfte der Gemeinde obliegt (nun) dem Leiter der Gemeinde (Bürgermeister). Die Gemeinderäte gelten als Ehrenbeamte und werden auf Vorschlag des Gauleiters (Anm.: Homberg gehörte zum Gau Düsseldorf) berufen. Durch Erlass vom 30. 1. 1935 ist letztendlich die Zahl der Gemeinderäte auf 14 Personen festgesetzt worden. Für ihre Berufung ist nun der Beauftragte der NSDAP zuständig. Für Homberg ist dies der Moerser Kreisleiter der NSDAP Dr. Bubenzer. Durch ihn sind folgende Bürger zu Ratsherren der Stadt berufen worden:

  • Bottenbruch, Wilhelm, Bäckermeister, Schulstr. 6
  • Vandeweerd, Heinrich, Maurer, Duisburger Str. 95
  • Möhlendick, Hermann, Geschäftsführer,
  • Maaßen, Peter, Kaufmann, Stielfabrik, Hochfeldstr. 5
  • Berns, Max, Bäckermeister, Duisburger Str. 36
  • Hölscher, Ludwig, Materialverwalter/Buchdruckereifakt., Gabelsbergerstr. 20
  • Bellingkrodt, Eduard, Klempnermeister, Poststr. 14
  • Heinen, Hermann, Wohnungsverwalter, Asberger Str. 76
  • Dehler, Otto, Kaufmann, u. a. Verkauf von Kleidung der NSDAP, Moerser Str. 204
  • Engelhardt, Julius, Bergmann, Schlägelstr. 16
  • Güldner, Alfred, Fabrikdirektor, Kapellstr. 15
  • Kost, Heinrich, Generaldirektor, Moerser Str. 151
  • Heidtmann, Hugo, Diplomkaufmann, Moerser Str. 121
  • Wiecke, Karl, Geschäftsführer, Gartenstr. 14
  • (Vorgänger von Wiecke: Eschholdt, Ludwig,
  • SS.-Sturmbandführer/Polizeikommissar, Schützenstr. 52 (Anm.: heute Saarstr.)“ [92] und [93]

Nationalsozialistischer Kampf gegen das Judentum 1933 bis 1937

Erste Maßnahmen gegen jüdische Mitbürger

Die als Ratsherren „Berufenen“ waren Mitglieder der NSDAP. Ihre beruflichen Tätigkeiten wiesen sie fast ausnahmslos als Zugehörige zur gehobenen und höheren Einkommensschicht in Homberg aus. Durch die Vereinnahmung aller Schlüsselpositionen in der Stadt wie Bürgermeisteramt mit Verwaltung und Rat sowie die kommunale Polizeibehörde setzte die NSDAP ihren Machtanspruch weiter um, indem sie innerhalb der Homberger Stadtverwaltung den Bestand der Beamten bereinigte.

Die rechtliche Grundlage für einen solche „Bereinigung“ war das harmlos lautende „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. Apr. 1933. Der Inhalt des Gesetzes hatte eine klare poltische Zielsetzung. Es hieß dort: „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen.“ Jüdische Beamte gab es aber in Homberg nicht. Den „Geist des Gesetzes“ interpretierten die Homberger Nazis allerdings in der Weise, dass „vor allem die politisch mißliebigen Beamten (übrigens ebenso die Angestellten) durch die richtigen Gefolgsleute ersetzt werden“. [94]

Durch diese Politik der Neubesetzung von Stellen in allen Verwaltungsbereichen hatte darüber hinaus so mancher verdiente „alte Kämpfer“ einen sicheren städtischen Arbeitsplatz mit Pensionsanspruch erhalten, unabhängig davon , ob sein berufliches Qualifikationsprofil den Anforderungen entsprach oder nicht. [95]

Bei der Polizeibehörde in Homberg wird die Anpassung an die neue politische Situation ähnlich gewesen sein wie in Moers. Von dort wurde berichtet: „Große Sorgen um die Polizei mußte man sich in der Kreisleitung ohnehin nicht machen: nach dem 30. 1. 1933 traten weitere 15 von den 24 Moerser Polizisten der Partei bei.“ [96]

Die Listen der Beamten-Zugänge und -Abgänge im HVB 1932 bis 1938 geben Aufschluss zu dieser Thematik: [97]

Bild

Die Beamten und Angestellten der Verwaltung wurden nach der Gemeindeordnung auf die Nazi-Ideologie verpflichtet. Was die Juden in Homberg bald zu spüren bekamen. „Eine relativ frühe Maßnahme, die alle deutschen Verwaltungen einführten, war der Abbruch der Geschäftsbeziehungen zwischen Behörden und jüdischen Geschäftspartnern. Ebenso legte man den kommunalen Bediensteten nahe, ihren privaten Bedarf nicht in jüdischen Geschäften zu decken (sog. „stiller Boykott“).“ [98]

„Ein vorläufiger Höhepunkt war der Boykott jüdischer Geschäfte Ende März 1933. Bereits am 28. März – und nicht wie offiziell beabsichtigt am 1. April - wurden „als Abwehrmaßnahmen der NSDAP gegen ausländische jüdische Hetze“ alle jüdischen Geschäfte in Moers, Homberg und Rheinhausen geschlossen.“ [99]

Der Aufruf im gesamten Reich: „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ war der Beginn der wirtschaftlichen Diskriminierung der jüdischen Geschäftsleute.

Damit diese Maßnahme auch konsequent durchgesetzt wurde, waren die Hilfspolizisten der NSDAP vor Ort, bestehend aus Mitgliedern der SA und SS, zu Kontrollen aufgerufen worden. [100]

Nicht alle Homberger hielten sich offensichtlich an diese Weisung, denn in der Propaganda-Zeitung der NSDAP „Der Stürmer“ wurde ein Foto einer Homberger Bürgerin veröffentlicht, das sie beim Betreten eines jüdischen Geschäftes zeigt. (Muss noch gefunden werden!!!) Dieser unter den Augen der Öffentlichkeit vollzogene Affront vom 28. März gegen jüdische Geschäfte war seitens der NSDAP als „Testlauf“ betrachtet worden, um herauszufinden, „inwieweit die Bevölkerung bereit war, den Kurs der Propaganda und Einschüchterung mitzugehen“. [101]

n die gleiche Richtung zielte der mit Mehrheit gefasste Beschluss der Homberger Stadtverordnetenversammlung vom 18. April 1933, dass Fürsorgeempfänger Einkaufgutscheine erhalten, die den Stempelvermerk tragen: „Nicht gültig für jüdische Geschäfte“. [102]

Juden als Nachbarn in Homberg

Wenn aus wahltaktischen Erwägungen vor 1933 der Antisemitismus nur in sehr abgeschwächter Form propagiert wurde und der Antibolschewismus das beherrschende Thema der nationalsozialistischen Propaganda war, so wurde nach der Machteroberung verstärkt die Anti-Judenpolitik ins Visier genommen. Es kam zu einer zunehmend Zahl von Übergriffen. [103]

„Es wird allerdings bei Hans Mommsen davor gewarnt, das Ansteigen antijüdischer Übergriffe über zu bewerten. „Die Masse der Mitglieder oder Anhänger der Partei war weiterhin durch eine relative Indifferenz (Anm.: Gleichgültigkeit) in der „Judenfrage“ geprägt. Viele Anhänger der NSDAP lehnten sogenannte „wilde“ Aktionen gegen jüdische Bürger ab und wandten sich gegen die vulgäre Boykott-Propaganda. Das schloss nicht aus, dass sich generell antisemitische Klischees zunehmend verfestigten, jedoch wurden sie in der Regel nicht auf die jüdischen Nachbarn übertragen. Es kam jedoch nur selten zu Protesten gegen antijüdische Übergriffe der Partei, und offene Solidarisierung mit den Verfolgten blieben aus.“ [104]

Für Homberg wurden von Zeitzeugen die Verhältnisse zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Nachbarn ähnlich beschrieben: So wurde von der Jüdin Marianne Seelig (Moerser Straße) als „Freundin“, vom Juden Edward Singer (Hindenburgallee) vom „Skatbruder“ und schließlich vom Juden Paul Salomon (Augustastraße) vom „Onkel Paul“ gesprochen. Die Haushaltshilfe Genoveva Oberreiter, die bei dem Juden Isaak Strauß, Moerser Str. 323, tätig war, „hatte bei den Juden sehr gerne gearbeitet“. [105]

„Trotz aller einschränkenden Maßnahmen der Isolierung und des Propagandaterrors hoffte im Jahr 1934 ein großer Teil des deutschen Judentums, daß es nach den ersten Stürmen und ihren gesetzlichen Folgeerscheinungen wieder zu einer gewissen Beruhigung kommen würde. Aber das Gegenteil trat ein.“ [106]

Flucht in Großstädte oder ins Ausland

„Der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte war nur der Auftakt zu immer neuen antijüdischen Maßnahmen und Verordnungen, mit denen die Nazis in den folgenden Jahren die Juden diskriminierten, ausgrenzten und wirtschaftlich schädigten. Die Aktion richtete sich nicht nur gegen jüdische Geschäfte, sondern auch gegen jüdische Ärzte und Rechtsanwälte und gegen den Besuch von Schulen und Universitäten durch Juden. Das politische Ziel war eindeutig darauf ausgerichtet, die Juden zu „zwingen“, Deutschland zu verlassen.“ [107] Auf Grund der diskriminierenden Maßnahmen im Jahr der Machtergreifung 1933 setzte bereits die erste Welle der Emigration ein. Sie lebte noch von der Illusion, dass das nahe Ende des Nationalsozialismus eine baldige Rückkehr ermöglichen würde. Zu den Zielen der Auswanderer gehörten zu diesem Zeitpunkt eher die europäischen Nachbarländer. Ein erheblicher Teil der Homberger Juden hatte den Boykott jüdischer Geschäfte als Warnschuss verstanden. Ihre schlimmsten Befürchtungen, durch die antisemitische Nazi-Ideologie in existenzielle Not zu geraten, wurden immer offensichtlicher. Sie wollten Homberg so schnell wie möglich verlassen, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringe. Im Verlauf des Jahres 1933 setzten sich 17 jüdische Mitbürger aus Homberg ab.

(Grafik)

Im Prinzip aber lief die Absetzbewegung schon ab diesem Zeitpunkt mehr und mehr auf eine Flucht hinaus. Diejenigen, die keine Geschäfte oder sonstige Immobilien besaßen, konnten ihre Entscheidung, Homberg zu verlassen, kurzfristig umsetzen. Die Fluch-Entschlossenen meldeten sich ab oder emigrierten freiwillig. Sie wurden ausgewiesen, wenn sie aus dem Ausland zugezogen waren. So meldeten sich die Homberger Juden ab 1933 aus dem Stadtgebiet ab, um sich in den Schutz der Anonymität großer Städte zu begeben oder sie emigrierten ins Ausland. Ihre Schicksale sind im Regelfall unbekannt. Die Aufarbeitung dieser bisher anonym gebliebenen Schicksale Homberger Juden muss weiteren Forschungen vorbehalten bleiben. Jedoch geben die Duisburger Forschungen in einzelnen Fällen bereits aufschlussreiche Hinweise.

Flucht in die Niederlande

Das niederländische Ehepaar Bleekroode war 1908 mit drei Söhnen von Groningen (Niederlande) nach Homberg gezogen. Gleich nach der Ankunft kam der vierte Sohn zur Welt. Vater Samuel und zwei seiner Söhne fanden als Bergleute bei der Firma Rheinpreußen Arbeit. Als dem verheirateten Sohn Simon auf Rheinpreußen im Juli 1933 gekündigt wurde, meldeten sich seine Eltern Samuel Bleekroode und Martha, geb. Israel, 1933 nach Amsterdam ab. Seine vier Söhne samt einer Schwiegertochter (Nichtjüdin) wurden noch im selben Jahr in die Niederlande ausgewiesen.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Niederlande noch ein sicheres Zufluchtsland für Juden. Das änderte sich jedoch schlagartig mit der Besetzung der Niederlande im 2. Weltkrieg durch die deutsche Wehrmacht.

Die Nationaal-Sozialistische Beweging in Nederland (NSB) war in der Zeit von 1931 bis 1945 eine zunächst faschistische, später nationalsozialistische Partei in den Niederlanden. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 10.Mai 1940 kollaborierte die NSB mit den Nazis. Da sie eine „gewisse Unabhängigkeit“ der Niederlande gegenüber der Besatzungsmacht forderte, erhielt sie einen Zulauf auf 100.000 Mitglieder. Am 11. September 1940 wurde die Niederländische SS als Abteilung der NSB gegründet. Diese Abteilung geriet immer stärker unter den Einfluss des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin und war an der Vernichtung der niederländischen Juden und Bewachung der niederländischen Konzentrationslager beteiligt. [108]

ber das Schicksal der Familie Bleekroode in den Niederlanden ab 1940 wird von den Duisburger Forschungen lediglich berichtet, dass der verheiratete Sohn Simon Bleekroode 1942 im Arbeitslager Vledder zur Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen einsaß, jedoch nicht einem Vernichtungslager zugeführt worden war, denn er lebte 1965 in Amsterdam. Was mit den übrigen Mitgliedern der jüdischen Familie passierte, ist unbekannt. Denkbar wären jedoch folgende typischen Szenarien:

Alle übrigen Mitglieder der Familie tauchten in die Illegalität ab und haben überlebt. Durch Denunzierung – wie Anne Frank in Amsterdam - wurden einzelne Familienmitglieder an die Nazi-Schergen verraten und deportiert. Einige konnten sich vielleicht in ein sicheres Zufluchtsland absetzen. Nichts davon ist belegt.

Auch die Familie von Leopold Seelig hatte frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt:

Die Familie führte ein Schuhgeschäft seit 1910 auf der Moerser Straße 228.

Tochter Helene, geb. 1916 in Homberg, meldete sich am 7. 7. 1933 nach Oldenzaal/Niederlande ab. Ihr Schicksal ist unbekannt.

Tochter Irma, geb. 9. 5. 1916 in Homberg, zog am 7. 6. 1934 nach Appeldorn / NL. Ihr Schicksal ist ebenfalls unbekannt.

Tochter Margarete, geb. 1909 in Homberg, war als Verkäuferin tätig. Sie wanderte am 26. 7. 1935 in die Niederlande aus. Sie war in Amsterdam an einem Krankenhaus beschäftigt, das 1944 von der deutschen Polizei beschlagnahmt wurde. Am 19. 6. 1944 wurde sie zunächst in das Lager Westerbork / NL (Durchgangslager auch für Anne Frank) verbracht und dann in das Lager Theresienstadt / Tschechien (KZ, Durchgangslager, Altersghetto) überführt. Am 8. 5. 1945 wurde das Lager befreit. Sie kehrte nach Holland zurück, um anschließend in die USA auszuwandern. Sie lebte 1959 als Frau Mutsemaker in Los Angeles.

Im Jahr 1959 lebte in Los Angeles auch ihr Bruder Erich, geb. 13. 5. 1912 in Homberg. Er war am 15. 1. 1938 nach Argentinien ausgewandert und von dort nach Kalifornien umgezogen.

Die Schicksale von Leopold Seelig, Ehefrau Jeanette, Sohn Rudolf und Tochter Marianne sind unbekannt. Sie lebten nach 1936 in verschiedenen Städten Deutschlands.

Isaak Strauß war 1905 von Dortmund nach Homberg zugezogen. Er war Inhaber des Kaufhauses I. Strauß auf der Moerser Straße 323. Nach der Reichspogromnacht am 9./10. 11. 1938 emigrierte er mit seiner Ehefrau Emilie in die Niederlande, wo er nach der Besatzung durch die deutschen Truppen illegal lebte. Beide überlebten den Krieg.

Sohn Alfred wanderte am 28. 7. 1936 in die Niederlande aus. Am 28. 1. 1942 wurde er verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork / NL überführt. Ihm gelang es, sich durch Flucht in die Illegalität zu retten. 1969 lebte er in Hilversum / NL.

Für Tochter Matilde, geb. 7. 2. 1907 in Homberg, wurde die Emigration in die Niederlande zur Todesfalle. Sie wanderte bereits 1932 aus. Sie lebte 1936 in Hilversum und 1942 in Amsterdam. Nach der Verhaftung blieb sie bis zum 13. 7. 1943 im Lager Westerbork / NL inhaftiert. Nach ihrer Deportation in das Lager Sabibor bei Auschwitz verstarb sie drei Tage später.

Als Untersuchungsergebnis auf der Grundlage der Duisburger Forschungen kann festgestellt werden, dass von den 16 Homberger Juden, die versucht hatten, ihr Leben in Freiheit und Würde durch Flucht in die Niederlande zu retten und zu gestalten, haben lediglich 6 Personen nachweislich überlebt, blieben die Schicksale von 9 Personen bis heute unbekannt und die Jüdin Mathilde Strauß kam in einem Vernichtungslager der Nazis ums Leben.

Nürnberger Gesetze

Wer unter den deutschen Juden darauf spekuliert hatte, dass es nach den ersten Jahren der Nazi-Diktatur wieder zu einer Beruhigung bezüglich der antisemitischen Gesetze und Verordnungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung kommen würden, sah sich spätestens im Jahr 1935 getäuscht.

Mit der Machtergreifung wurde der Rassenantisemitismus als wesentlicher Teil der nationalsozialistischen Weltanschauung zur Grundlage der Staatserneuerung gemacht. Er fand seinen ideologischen Niederschlag schon sehr bald in der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze.

Am 15. September 1935 verabschiedete der Deutsche Reichstag im Wege der Akklamation das „Reichsflaggengesetz“, das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Das Parlament war dafür kurzfristig nach Nürnberg einberufen worden.“

  • 1. Das Reichsflaggengesetz

erhob die Farben Schwarz-Weiß-Rot zu den Nationalfarben und die Hakenkreuzfahne wurde zur Nationalflagge.

  • 2. Das Reichsbürgergesetz

"sah die Schaffung einer besonderen Reichsbürgerschaft vor, die nur an rassisch hochwertige Mitglieder der Volksgemeinschaft verliehen werden sollte.“ [109] Demgegenüber behielten die (deutschen) Juden nach dem Gesetz den Status eines Staatsangehörigen ohne poltische Rechte.

Damit war das Recht auf staatsbürgerschaftliche Gleichstellung aller Deutschen, das den Juden seit dem 19. Jahrhundert durch die Preußische Verfassung garantiert worden war, null und nichtig geworden. Wer als Jude galt, wurde mit dem Gesetz definiert:

„Als „Jude“ galt, wer drei jüdische Großeltern hatte, der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörte oder mit einem sogenannten „Volljuden“ verheiratet war. Im November desselben Jahres wurde in einer ergänzenden Verordnung festgelegt, wann genau jemand als „Volljude“, „Halbjude“ oder „Vierteljude“ zu bezeichnen war.“ [110]

  • 3. Das „Blutschutzgesetz

Das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, das so genannte Blutschutzgesetz regelte die Beziehung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen. Eheschließungen zwischen Juden und Reichsdeutschen wurde mit Gefängnis bestraft. Auch der außereheliche Geschlechtsverkehr wurde unter Strafe gestellt. Juden war es zudem untersagt, „arische“ Dienstmädchen unter 45 Jahren in jüdischen Haushalten zu beschäftigen. Die in Nürnberg beschlossenen Rassengesetze beschränkten sich in ihrer Formulierung auf Generalklauseln, weil parteiintern insbesondere noch über den Judenbegriff heftig gestritten wurde. „Goebbels wies deshalb auf dem Parteitag intern die Parteipresse an, bis zum Erlass der Durchführungsverordnungen eine Erörterung der Gesetze zu unterlassen.“ [111] Die öffentliche Propaganda gegen das Judentum wurde damit erheblich abgeschwächt, was zur Beruhigung des politischen Klimas gegenüber den Juden beitrug.

Olympische Spiele 1936

Hinter diesen internen Anweisungen Zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verbarg sich aber auch eine taktische Absicht. Die Nationalsozialisten hatten die Durchführung der olympischen Winter- und Sommerspiele für 1936 angenommen.

Schon bald nach der Machtergreifung Hitlers forderten viele nationale Sportverbände das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf, die Olympischen Spiele in ein anderes Land zu verlegen, weil die Judendiskriminierung im Nazi-Deutschland mit der olympischen Idee nicht vereinbar sei.

Hitler reagierte prompt. Um der ganzen Welt zeigen zu können, dass unter seiner Führung Deutschland ein friedliches, soziales und wirtschaftlich aufstrebendes Land sei, verpflichtete er sich, einen freien Zugang „für alle Rassen und Konfessionen“ in die Olympiamannschaft zu erlauben. Um auch „grundsätzlich“ den jüdischen Sportlern aus Deutschland die Teilnahme zu garantieren, riefen einige Nationen zum Boykott der Spiele auf, was vom Nationalen Olympischen Komitees der USA - unter Avery Brundage – allerdings abgelehnt wurde.

Um einen möglichen propagandistischen Schaden für Nazi-Deutschland abzuwenden, verpflichteten sich die Veranstalter gegenüber dem IOC, auch deutsche Juden „prinzipiell“ nicht von den Spielen auszuschließen. Am Ende gehörte aber nur eine „Halbjüdin“ der deutschen Olympiamannschaft an, die Fechterin Helene Mayer, die eine Silbermedaille gewann. (s. G: Chronologie, 1936 Olympische Spiele) [112]

1936/37: Weitere 11 Homberger Juden verlassen die Stadt

Die Olympischen Spiele wurden zu einem Riesenerfolg für Nazi-Deutschland. Die sportliche Überlegenheit der deutschen Jugend wurde durch den ersten Platz des Medaillenspiegels dokumentiert. Nicht nur der sportliche Erfolg war überwältigend, auch der Gigantismus der Olympiabauten und die Perfektion der Durchführung der Spiele übertraf alles Vorherige. Anerkennung durch das Ausland und Jubelstimmung unter den Deutschen waren kalkulierte Ziele des Systems. Deutschland war in sportlicher Hinsicht eine Großmacht.

Der Aufruf, „Olympia“ als nationale Aufgabe zu verstehen, beherrschte die positive Stimmungslage in Deutschland und überdeckte offensichtlich die bedrohlichen Anzeichen der Rassengesetze von Nürnberg.

„Immerhin kam es zu einem relativen Rückgang der jüdischen Emigration in den Jahren 1936 und 1937. Die diskriminierenden Klauseln des Blutschutzgesetzes wurden in der Öffentlichkeit unzureichend wahr- und ernst genommen. So hat auch sicherlich der Abbruch der Tätigkeit der Genoveva Oberreiter als nichtjüdische Haushaltshilfe bei der jüdischen Familie Isaak Strauß (s.o.) keine Aufmerksamkeit in Homberg erregt.

Insgesamt entstand in Deutschland der Eindruck, dass eine gewisse Konsolidierung im Verhältnis zu den jüdischen Bürgern erreicht worden sei. Selbst auf Seiten der Betroffenen regten sich gewisse Hoffnungen, dass dadurch, wenngleich auch entwürdigende, so doch hinnehmbare Bedingungen für die Fortführung jüdischen Lebens in Deutschland gesichert worden seien.“ [113]

Offensichtlich hat unter den Homberger Juden die Hoffnung auf ein erträgliches Leben im Nazi-Deutschland keinen nachhaltigen Niederschlag gefunden.

Die Homberger Statistik meldet den Wegzug von insgesamt 11 Personen (29 Prozent) für die Jahre 1936 und 1937 (s. Grafik). Da die jüdischen Bewohner von Homberg Ende 1935 bereits mit 38 Personen als relativ kleine Gruppe zu bezeichnen ist, kann die Abwanderungs-Entscheidung von nur vereinzelten Familien die Abweichung von einem reichsweit gemäßigten Trend verständlicherweise erheblich beeinflussen. Jedoch ist in diesem Zeitabschnitt auf eine Entwicklung hinzuweisen, die erheblichen Einfluss auf die Sensibilität der Juden nehmen konnte.

„Die Durchführungsverordnungen zu den Nürnberger Gesetzen ließen nicht lange auf sich warten und engten Schlag auf Schlag die materiellen Lebensbedingungen der in Deutschland verbleibenden Juden ein. Diese einschränkenden und diskriminierenden Vorschriften griffen in alle Lebensbereiche ein.“ [114]

1938 bis Ende 1941

Anfang vom Ende:

„Das Jahr 1938 nahm in der nationalsozialistischen Judenpolitik einen ganz besonderen Platz ein. Mit den Ereignissen dieses Jahres ging die Geschichte des deutschen Judentums im eigentlichen Sinne des Wortes ihrem Ende zu. Der Novemberpogrom war dabei zwar der Höhepunkt des Geschehens, blieb aber nur ein Teil der Gesamtereignisse, die man im Blick behalten muss. Die Ziele des nationalsozialistischen Regimes im Jahr 1938 waren:

1. Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben; 2. Rapide Verminderung des jüdischen Bevölkerungsanteils durch entsprechenden Auswanderungsdruck.“ [115]

Die Verdrängung oder Ausschaltung der Juden aus Handel, Gewerbe und Wissenschaft im Sinne der Nürnberger Gesetze nannten die Nationalsozialisten.

Arisierung oder Entjudung

Die Arisierungskampagne, die seit der Machtübernahme 1933 betrieben wurde, war aus Rücksicht auf die Olympischen Spiele 1936 geringfügig gebremst worden. Mit der Überwindung der Wirtschaftskrise und der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, traten vor allem wirtschaftspolitische Bedenken gegen eine forcierte Arisierung zurück. [116]

„Im Juli 1938 befanden sich (im Reich, Anm. d. V.) zwischen 60 und 70 Prozent der Anfang 1933 bestehenden jüdischen Betriebe bereits nicht mehr in jüdischer Hand.“ [117]

Die „ordnungsgemäßen Verkäufe“ waren in der Regel inszeniert, denn sie fanden unter erheblich politischen und/oder behördlichen Zwängen statt. Die gezahlten Preise waren meist unangemessen niedrig, so dass von „Arisierungs-Gewinnen“ einzelner Personen gesprochen wurde. (Anm. d. Verf: Die deutschen Gerichte erklärten nach dem Krieg bei Wiedergutmachungsverfahren diese „Gewinne“ als Raub.) Ende Oktober 1938 kam es zu einer großen Ausweisungswelle von aus Polen stammenden Juden ohne deutsche Staatsangehörigkeit (Ostjuden). Etwa bis zu 17.000 polnische Juden wurden verhaftet, ihr Vermögen vom Staat konfisziert und an die polnische Grenze abgeschoben. Die polnischen Behörden lehnten ihre Aufnahme zunächst ab, und so irrten sie teilweise längere Zeit im deutsch-polnischen Niemandsland umher, bis schließlich die polnische Regierung die Grenzen unter deutschem Druck öffneten. [118]

Der nach Homberg 1923 aus Viersen zugezogene Jude Israel Karten und seine Ehefrau Helene, Moerser Str. 327, waren in Polen geboren worden. Am 30. Oktober 1938 wurden sie mit ihren Kindern Fanny und Max im Rahmen der Ausweisungswelle dorthin abgeschoben (119a), wo sie in einem Ghetto lebten. Die Umstände sind nicht näher bekannt, aber im Juli / August 1939 tauchte das Ehepaar mit ihrer Tochter wieder in Homberg auf und zogen in die ehemalige Wohnung. Allerdings mussten sie im Jahr 1940 in das zum „Judenhaus“ erklärte Wohnhaus der Familie Coppel in der Rheinstraße 27 umziehen. Ihr tragisches Schicksal wurde mit der Deportation am 11. 12. 1941 nach Riga / Lettland eingeleitet. Von Riga aus wurden sie über Stutthof zum Lager Buchenwald gebracht. Auf dem Weitertransport nach Theresienstadt verstarb Israel Karten. Er wurde am 27. 4. 1945 für tot erklärt. Mutter Helene und Tochter Fanny wurden im KZ Lauenburg / Pommern von den russischen Truppen befreit. Jedoch starb Fanny an Hungertyphus am 13. 3. 1945. Helene Karten überlebte. Am 22. 6. 1945 kehrte sie nach Homberg zurück, wo sie 1974 noch wohnte. Dem Sohn Max war ein trauriges Schicksal beschieden. Er wurde von der polnischen Polizei in einem Barackenlager festgehalten. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wurde er nach Kalusz / Galizien verbracht, wo er umkam. Am 8. 5. 1945 wurde er für tot erklärt. Die Familie Israel Karten hatte aber noch ein drittes Kind, Sohn Hermann. Über sein Schicksal wird im Abschnitt „1938: Konferenz von Evian“ berichtet.

Pogrom vom 9./10. November 1938 („Reichskristallnacht“)

Unter den Abgeschobenen befanden sich auch die Angehörigen jenes jungen Herschel Grünspan (Grynspan), der am 7. November 1938 in Paris das Attentat auf den dortigen Gesandtschaftsrat Ernst von Rath verübte. Von Rath erlag seinen Verletzungen am 9. November. Für Grünspan war das Attentat Vergeltung für das Unrecht, das seinen Eltern angetan worden war. Für die Nationalsozialisten wiederum war die Verzweiflungstat des deutschen Juden Grünspan der willkommene Anlass, um endlich mit lang geplanten Gewaltaktionen willkürlich gegen Juden vorzugehen. Überall im Reich zündeten Sa-Männer und Parteigenossen jüdische Gotteshäuser an, demolierten jüdische Geschäfte und an vielen Orten selbst die Wohnungen der Juden. Der Vandalismus der organisierten NS-Schlägertrupps schreckte nicht vor Entwürdigung, Prügel und Totschlag (91 Fälle von Tötungen) zurück. [119]

Tatort Homberg

Zu den Folgen des Attentats stellte die Nationalzeitung, die auch in Homberg gelesen wurde, am 12. 11. 1938 fest:

„Nun trafen die Schüsse von Paris auch auf das schwerste die Kreis-Moerser Bevölkerung. Es kam daher auch in Moers und anderen Orten des Kreises zu Vergeltungsmaßnahmen gegen die Juden und Ihre Geschäfte. Weiter wurden auf Grund der Empörung der Bevölkerung die Juden zum größten Teil in Schutzhaft genommen und den Jüdinnen verboten, das Haus zu verlassen." [120]

Zu den Vorgängen in Homberg liegen nur wenige schriftliche Quellen vor. Es gibt nur drei Zeitzeugenaussagen, welche von den Übergriffen gegenüber Homberger Juden berichten.

Von der für Homberger Juden zuständigen Synagoge in Moers ist allerdings bekannt, dass „Täter am frühen Morgen des 10. 11. 1938 in die Synagoge an der Friedrichstraße eindrangen. Die Täter entweihten sie, indem sie die Fenster zertrümmerten, die Einrichtung zerschlugen, Kultgegenstände schändeten und verschleppten. Das Heiligste, die Thora-Rollen, ging im Feuer auf. Der Eingang zur Synagoge wurde dann mit Brettern vernagelt und über den Eingang mit Farbe geschmiert: „Dieser Talmud-Stall ist für immer geschlossen.“ [121]

Zu den Auswirkungen des Novemberpogroms in Homberg schrieb der Zeitzeuge Helmut Ackermann in seiner Familienchronik: [122]

„Ganz und gar nicht zum Lachen war der Schulweg am 10. November 1938. Ich ging wie immer durch die Rheinstraße, an deren Ende auf der linken Seite das Textilgeschäft Koppel (Anm. d. Verf.: Coppel) lag. Was ging da vor? Einige Männer hatten das Schaufenster zertrümmert, die Auslagen herausgezerrt und waren damit beschäftigt, das Mobiliar aus dem ersten Stock auf die Straße zu werfen. Schaulustige standen dabei, von der jüdischen Familie Koppel war nichts zu sehen. Ich mußte weitergehen. Schnell sprach sich herum, daß gleiches auch in dem Manufakturwarengeschäft des Kurt Gerson in der Moerser Straße 89 geschehen war. Aber das war auch schon alles. Keine weitere Reaktion, weder zu Hause noch in der Schule. Auch „Leo“, ein frommer Katholik, der bekenntnistreu am Aschermittwoch sogar mit dem Aschekreuz auf der Stirn in die Schule und in die Klasse zum Unterricht kam, was viele belächelten, sagte nichts. Natürlich waren wir Zehneinhalb-Jährigen auch keine Gesprächspartner, aber es war ja ganz allgemein die Zeit, “als alle wegsahen“. Von den Homberger Juden erfuhr man nichts mehr, und niemand kümmerte sich damals darum, wo sie vielleicht geblieben waren.“ Frau Kunigunde Görlich, Jg. 1927, wohnhaft in der Wilhelmstraße am Lutherpark, hatte als Schülerin auch von den zerschlagenen Schaufensterscheiben des Gerson-Ladens in der Moerser Straße gehört. Sie bat ihre Mutter, „dort hingehen zu dürfen, um ebenfalls Waren aus dem zerstörten Schaufenster zu nehmen“. Doch ihre Mutter verbot es ihr mit der Feststellung: „ Man stielt nicht das, was anderen Leuten gehört.“ Auch in Hochheide muss es zu Gewalt gegen jüdische Geschäfte gekommen sein, denn ein Zweitzeuge hatte zu Hause bei einem Gespräch seiner Eltern gehört, dass „ jüdische Geschäfte demoliert“ worden seien. [123]

So wird in den Duisburger Forschungen vom Juden Art(h)ur Dannenberg, Inhaber eines Schuhwarengeschäfts in der Moerser Straße 218 (Hochheide), berichtet, dass er sich 1939 mit seiner Ehefrau nach Remscheid abgemeldet habe. Sohn Walter, geb. 6. 9. 1917 in Homberg, lebte bereits 1938 in den USA.

Weitere Maßnahmen gegen Juden

„Die Vernichtung jüdischen Eigentums war eine Seite des Pogroms, eine zweite war die Verhaftung zahlreicher männlicher, vornehmlich vermögender Juden. Im Reich wurden insgesamt über 26.000 verhaftet und in die Lager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen gebracht. Auch diese Maßnahme sollte den Auswanderungsdruck verstärken.

Der dritte und wichtigste Teil der Maßnahmen des Novemberpogroms, die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, wurde auf dem Verordnungswege geregelt. [124]

Der Zynismus der Nazis war wohl nicht mehr zu überbieten, als sie bestimmten, die jüdischen Geschäftsinhaber und Hausbesitzer zur sofortigen Beseitigung der in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 entstandenen Schäden zu verpflichten, gleichzeitig aber die ihnen zustehenden Versicherungsleistungen zu beschlagnahmen. Darüber hinaus wurde den deutschen Juden eine Sühneabgabe von zunächst einer Milliarde Reichsmark auferlegt.

Außerdem wurde die Zwangsarisierung aller jüdischen Unternehmen, Geschäfte und Handwerksbetriebe angeordnet. Das bedeutete, dass das jüdische Eigentum zu einem Spottpreis verschleudert wurde. Der Erlös musste auf ein Sperrkonto eingezahlt werden. Im Krieg wurden diese Beträge dann vom Reich konfisziert.

Der private Hausbesitz war von der Zwangsarisierung ausgenommen. Diese Maßnahme sollte zuletzt erfolgen und war deshalb nur aufgeschoben worden. [125]

Darüber hinaus wurde dem deutschen Judentum noch eine Fülle von Einschränkungen auferlegt. Die wichtigsten davon waren:

  • Zwangsdeponierung von Wertpapieren und Aktien;
  • Zwangsverkauf von Juwelen, Schmuck- und Kunstgegenständen;
  • Verbot des Besuches kultureller Veranstaltungen;
  • Verbot für jüdische Schulkinder, nichtjüdische Schulen zu besuchen;
  • Entziehung des Führerscheins und Verbot der Haltung von Kraftfahrzeugen;
  • Einführung höherer Steuersätze;
  • Berufsverbot für Apotheker, Zahn- und Tierärzte.

Das öffentliche Leben des deutschen Judentums kam mit dem Novemberpogrom völlig zum Erliegen. Der Anfang vom Untergang hatte begonnen. [126]

1938: Konferenz von Evian

Das terroristische Klima, das durch den Novemberpogrom seinen Höhepunkt erreicht hatte, zeigte auch seine Folgen in Homberg. Durch die Arisierung der Berufe und der Handels- und Gewerbebetriebe war den verbliebenen Homberger Juden ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen worden. Mit dem Verlust der materiellen Lebensgrundlage ging eine endgültige Verarmung einher. Um die Not zu mildern konnten sie auf die jüdischen Fürsorgeeinrichtungen zugreifen. Die negativen gesellschaftspolitischen und privatwirtschaftlichen Umstände drängten sie jedoch notwendigerweise zu der Entscheidung, ob sie in Homberg bleiben oder ihr Heil in der Flucht ins Ausland suchen sollten. Für viele erübrigte sich allerdings diese Fragestellung, da sie weder die Mittel noch die Kraft oder die Möglichkeit besaßen, rechtzeitig auszuwandern. [127]

Ende 1938 hatten weitere 9 Juden Homberg verlassen: Noch 18 Juden waren in Homberg gemeldet.

„Das nationalsozialistische Regime konzentrierte sich in seiner antijüdischen Politik 1939 in erster Linie auf die forcierte Auswanderung. Im Deutschen Reich setzte so etwas wie eine Massenflucht ein. Die Zurückgebliebenen gehörten überwiegend zur älteren Generation, die die Strapazen der Emigration nicht mehr auf sich nehmen konnten. Vielen war allerdings die Auswanderung auch infolge der engherzigen Einwanderungsbedingungen der meisten Staaten nicht mehr möglich.“ [128]

„Die Konferenz von Evian widmete sich im Juli 1938 dem Problem der jüdischen Auswanderung aus Deutschland. Schnell erkannten aber insbesondere nationalistische und antijüdische Vertreter osteuropäischer Staaten die Gelegenheit, auf ihr jeweiliges „Judenproblem“ hinzuweisen. Damit standen die möglichen Zielländer vor der Perspektive, nicht nur 500.000 deutsche jüdische Flüchtlinge, sondern zusätzlich mehrere Millionen Juden aus Osteuropa aufnehmen zu sollen. Der anfänglich humanitäre Impuls geriet so in den Hintergrund, und „Juden“ wurden nunmehr weitgehend als „Problem“ betrachtet. Bald wurde klar, dass sich die Aufnahmebereitschaft der meisten Länder in Grenzen hielt.“ [129]

„Allein Großbritannien zeigte Verständnis für die Not und nahm einen großen Teil der Flüchtlinge auf.“ [130]

Aus Homberg sind vier Flucht-Fälle nach Großbritannien bekannt: Das Schicksal der jüdischen Familie von Israel Karten (s.o.) muss an dieser Stelle noch ergänzt werden. Neben Fanny (Jg.1919) und Max (Jg.1925) Karten gab es noch den Sohn Hermann (Jg. 1920). Hermann Karten besuchte von 1931 bis 1937 das Adolfinum-Gymnasium in Moers. Anschließend wechselte er zur Jawne-Schule in Köln. Sie war das einzige jüdische Gymnasium im Rheinland. „Ihr Leiter, Studiendirekror Dr. Erich Klibansky, erkannte die nationalsozialistische Gefahr früh. Er reagierte mit Verstärkung des Englisch- und Neuhebräisch-Unterrichts, um seine Schüler auf ein Leben außerhalb Deutschlands vorzubereiten. 1938 organisierte er eine Schülergruppenreise ohne Begleitung von Eltern nach England. Hermann Karten war einer von 130 Schülern aus Köln, welche auf diese Weise überlebten. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war dies nicht mehr möglich. Klibansky, seine Familie und die verbliebenen Schüler wurden 1942 mit über 1.000 anderen Kölner Juden in die Nähe von Minsk deportiert und dort ausnahmslos ermordet.“ [131]

Von der Jüdin Hildegard Gerson, Tochter der Familie Karl Gerson, war schon berichtet worden, dass sie 1934 von der Oberrealschule in Homberg (heute Franz-Haniel-Gymnasium) verwiesen wurde. „Sie hatte einen Judenstern auf die Tafel gemalt.“ [132] Nach der Zerstörung ihres väterlichen Betriebs in der Moerser Str. 89 am 9. / 10. November 1938 emigrierte sie 1939 nach Großbritannien. Sie lebte 1966 in London als Frau Schneider.

Über eine besonders spektakuläre Emigration nach England kann von Kurt Gerson, Bruder von Hildegard Gerson, berichtet werden: Kurt Gerson hatte 1931 an der Homberger Oberrealschule das Abitur bestanden. Er wollte ursprünglich Ingenieur werden, arbeitete aber als Hilfsarbeiter bei verschiedenen Firmen, zuletzt in München. Von dort floh er in die Niederlande. Bei seiner Rückreise nach Deutschland wurde er an der Grenze bei Aachen festgenommen und ins KZ Dachau verbracht. Hitler hatte nach dem Novemberpogrom ungefähr 26.000 jüdische Männer in Konzentrationslager einsperren lassen. „Die meisten kamen allerdings bis Anfang 1939 wieder frei – teilweise, weil sie zustimmten, Deutschland zu verlassen, teilweise, weil sie ihren Besitz dem Staat überschrieben. [133]

Kurt Gerson war einer dieser Inhaftierten, die ihren Emigrationswillen bekundeten. Deshalb wurde er am 20. 4. 1939 entlassen und wanderte nach Großbritannien aus. Ob er die britische Staatsangehörigkeit annahm, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurde er 1940 Soldat der British Army und kämpfte gegen Nazi-Deutschland bis 1945. Kurt Gerson war nach Kriegsende noch einmal zu seiner Geburtsstadt Homberg zurückgekehrt, und zwar „ in Uniform“. Ein Zeitzeuge wusste von der Aussage seiner Mutter zu berichten: „Das ist doch einer von den Gersons!“ [134]

Kurt Gerson emigrierte im Oktober 1947 nach Kanada und lebte 1969 in Toronto. „Er verstarb 2009 in Kalifornien“. [135]

Vor der Endlösung

Mit dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Auswanderungsmöglichkeiten z. B. nach Palästina gab es nur noch mit Gestapo-Genehmigung. Von den Juden, die sich 1939 in Deutschland befanden, waren nur 16 Prozent als beschäftigt gemeldet. Der größte Teil der Arbeitsfähigen wurde seit 1939, besonders nach Kriegsbeginn, zu Zwangsarbeiten herangezogen. [136]

Von den Homberger Juden - Ende 1939 waren es lt. Statistik 17 und Ende 1940 noch 14 - ist nicht bekannt, dass jemand zur Zwangsarbeit gezwungen worden wären. Jedoch unterlagen sie den weiteren einschränkenden Verordnungen, die mit Beginn des Krieges in Kraft traten, wie etwa:

Beschlagnahme der Rundfunkgeräte, Ausgehverbot im Sommer ab 21 Uhr, im Winter ab 20 Uhr, Aufhebung des Wohnungsräumungsschutzes, was einher ging mit der Zusammenlegung jüdischer Familien in so genannte „Judenhäuser“.

Der Grundgedanke war die Zusammenfassung von Juden in bestimmten Häusern, weil es für „Arier“ unzumutbar war, mit jüdischen Mitbürgern eine Hausgemeinschaft zu bilden. Ein weiteres Motiv waren die besseren Zugriffs- und Kontrollmöglichkeiten. Die Judenhäuser waren somit auch Vorstufen der Deportation. [137] Demnach wurden „Judenhäuser“ behördlich festgelegt. Auch in Homberg gab es laut Verwaltung zwei Judenhäuser. Einmal das Coppelsche Haus in der Rheinstraße 27, zum anderen das Haus von Karl Gerson in der Moerser Str. 89. Hier ging es aber lt. Aktenlage lediglich um die „Verwaltung des Vermögens von Reichsfeinden und seine spätere Rückerstattung, u.a. Vermietung der Häuser 1942 – 1950“. [138] Diese beiden Immobilien waren deshalb keine Judenhäuser im Sinne der politischen Verfolgung. Gleichwohl fanden nach 1938 auch einige andere Homberger Juden bei Coppel und Gerson Unterkunft. In den Jahren 1940 und 1941 hatte quasi die Endphase des jüdischen Lebens in Homberg begonnen. Zum Teil auf engstem Raum zusammenlebend, gesellschaftlich isoliert, wurde auch die wirtschaftliche Not immer bedrückender. Wer Immobilien oder sonstige Wertgegenstände verkauft hatte, bekam den Verkaufspreis in monatlichen Raten ausbezahlt. Andere waren auf die jüdische Wohlfahrt oder auf Unterstützung durch Familienmitglieder angewiesen.

Um die Isolation oder Ausgrenzung der Juden in der Öffentlichkeit noch deutlicher zu brandmarken, wurde die Verordnung über die Kennzeichnungspflicht der Juden verabschiedet. Mit Wirkung vom 13. September 1941 mussten alle Juden den so genannten „Judenstern“ auf der linken Brusthälfte ihrer Kleidung tragen. Diese Verordnung wurde einem Homberger Juden zur Todesfalle.

Als der Jude Paul Gutmann aus Homberg im September 1941 seinen Bruder Hans in Burghave / Wesermarsch besuchte, fiel er bei einer Polizeikontrolle dadurch auf, dass er nicht den seit dem 13. September vorgeschriebenen Judenstern trug. Nun waren Paul und Hans Mischlinge ersten Grades, also Halbjuden (Anm. Nazi-Sprachgebrauch) oder so genannte privilegierte Juden, die nicht als „Volljuden“ (Nazi-Sprachgebrauch) bezeichnet wurden. Da er aber mit der Jüdin Betty Coppel verheiratet war, galt er als Volljude. Er hatte damit gegen die vor wenigen Tagen verordnete Kennzeichnungspflicht verstoßen. Der Fall wurde dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin zur Entscheidung vorgelegt. Dieses Amt war federführend für die Vernichtung der Juden in Deutschland und Europa.

Die Polizeidienststelle in Düsseldorf wurde angewiesen, „Paul Theodor Gutmann, geb. 26. 5. 1881 zu Burghave, bis auf Weiteres in Schutzhaft zu nehmen. Begründung: „… indem er dadurch, daß er die für Juden erlassenen Gesetze mißachtet, eine erhebliche Unruhe in die Bevölkerung trägt und bei Freilassung erwarten läßt, er werde die Belange des Reiches schädigen. Gutmann ist in das KZ Sachsenhausen zu überführen.“ [139]

Die Polizeidienststelle reagierte weisungsgebunden und wies die Kriminalpolizei in Homberg an, „Gutmann sofort wieder festzunehmen und mittels Sammeltransport über Düsseldorf nach Sachsenhausen zu überführen. Das geschah am 2. 12. 1941. Die Einweisung ins KZ Sachsenhausen war gleichbedeutend mit der Verhängung des Todesurteils. Der Gestapo in Düsseldorf wurde formal über Gutmanns Tod mitgeteilt: „Der einsitzende Häftling Paul Israel Gutmann ist am 23. 6. 1942 gegen 11 Uhr im Krankenrevier im hiesigen Lager an Durchfall und Herzinsuffizienz verstorben. Befehlsgemäß wird ersucht, die nächsten Angehörigen zu benachrichtigen.“

Nur wenige Tage nach seinem neunzigsten Geburtstag wurde dem Vater des „Verstorbenen“, Otto Israel Gutmann [140], der mittlerweile in Moers wohnte, die Mitteilung vom Ableben seines Sohnes durch die Polizeibehörde in Moers überbracht (am 25. 6.). Genau einen Monat später wurde Otto Gutmann zum KZ / Ghetto Theresienstadt deportiert und am 4. 1. 1943 umgebracht. Die Ehefrau von Paul Gutmann, Betty, geb. Coppel, war bereits am 11. 12. 1941 mit dem Massentransport nach Riga / Lettland in den Tod geschickt worden. Dasselbe Schicksal erlitt ihre Schwester Henriette, ihre Brüder Paul und Dr. Julius Coppel (Tierarzt in Moers). Die Ehefrau von Dr. Julius Coppel, Sofie, geb. Meyerhoff, hatte kurz vor der Deportation Selbstmord begangen. [141]

Deportation der Homberger Juden in den Tod

Mit Beginn des Krieges 1939 war die politische Zielsetzung, die Judenfrage durch Vertreibung zu lösen nahezu zum Erliegen gekommen. Die Maßnahmen gegen die Juden, sie als Zwangsarbeiter einzusetzen, in Lager zu internieren oder ins besetzte Polen zu transportieren, lösten nicht die eigentliche ideologische Zielsetzung der Nationalsozialisten, den schlimmsten Feind der deutschen Volksgemeinschaft, das europäische Judentum, zu liquidieren.

Am 31. 7. 1941 gab Hermann Göring [142](141) dem Leiter des Reichssicherheitsamtes (RSHA) Reinhard Heydrich den Befehl, die „Endlösung der Judenfrage“ zu organisieren. [143]

Im Sinne dieses Zieles wurde am 23. 10. 1941 die Auswanderung für Juden verboten. Bereits am 14. 10. 1941 wurde mit ersten Deportationen begonnen. Die Nazis sprachen von Evakuierung nach Osten oder von Arbeitseinsatz im Osten. Für die Kreis Moerser Juden war der Beginn der Deportation nach Riga / Lettland auf den 11. 12. 1941 festgelegt worden. „Betroffen waren etwa vierzig Juden aus der Stadt Moers. Hinzu kamen ebenso viele Juden aus den Orten, die zur Synagogengemeinde Moers zählten: Kamp-Lintfort, Homberg, Rheinhausen und Neukirchen-Vluyn. Nur sehr alte Menschen und jüdische Frauen, die mit nichtjüdischen Ehepartnern verheiratet waren, blieben zurück.“ [144]

Ob alle Menschen, die deportiert wurden tatsächlich glaubten, dass sie lediglich „evakuiert“ würden, ist zweifelhaft. Der Zeitzeuge Karl Jansen, Nachfolger seines väterlichen Maler- und Anstreicher-Geschäfts in der Hafenstraße 17 in Homberg, erinnerte sich, was sein Vater in der Familie erzählte: „Der Paul Coppels hat mir damals ein Paar hellbraune Lederschuhe geschenkt. Er war der Meinung, er brauche sie nicht mehr, da er doch jetzt nach Riga fahre.“

Die Homberger Juden brachte man im Morgengrauen des 11. Dezember nach Moers, wo sie gemeinsam mit den anderen Deportierten mit der Straßenbahn nach Krefeld befördert wurden. „ In Krefeld wurde ein größerer Transport aus dem gesamten Niederrheingebiet zusammengestellt und per Eisenbahn nach Düsseldorf gebracht. Dort mußten die Beteiligten die nächste Nacht sinnigerweise im Schlachthof verbringen, bevor es Richtung Riga ging.“ [145]

Aurel Billstein hat über die Deportationen aus der Stadt und dem Landkreis Moers in die Vernichtungslager eine Broschüre publiziert, in der ein „vertraulicher Bericht der Düsseldorfer Schutzpolizei über die Evakuierung von Juden nach Riga“ abgedruckt ist. Desweiteren findet man dort Erlebnisberichte von Juden, die am 11. 12. 1941 in das Vernichtungslager Riga deportiert worden waren, gerettet wurden und darüber berichten konnten. (Gekürzte Wiedergaben sind unter „Chronik der Nazi-Diktatur“, Datum 11. 12. 1941, nachlesbar. Anm. d. Verf.)


Liste der Familiennamen Homberger Juden

  • Abraham, Adolf
  • Abraham, Betty
  • Abraham, Leo
  • Bleekroode, Samuel
  • Coppel, Moses
  • Coppel, Salomon
  • Daniel, Grete
  • Dannenberg, Artur
  • Geib, Abraham
  • Geib, Johanne, verw. Kämer
  • Gerson Abraham
  • Gerson Karl
  • Gerson, Ludwig
  • Gutmann, Paul
  • Holthausen, Klara
  • Jablonski, Gaston
  • Karten, Israel
  • Leib, Gustav
  • Löwenthal, Max
  • Nathan, Richard
  • Nathan, Samuel
  • Nolden, Hugo
  • Ring, Jonas
  • Seelig, Leopold
  • Spiegel, Benjamin
  • Spiegel, Nathan
  • Strauß, Isaak
  • Vasen, Hugo
  • Vasen Katharina (Käthchen)

Die 29 Familiennamen Homberger Juden umfassen insgesamt 107 Personen, deren Schicksale - nach den Quellen des Duisburger Stadtarchivs - in der vorliegenden Arbeit untersucht wurden.

Quelle: [146]


Schicksale der Opfer

12 jüdische Mitbürger sind in Homberg verstorben.

51 Schicksale sind unbekannt, weil die Personen verzogen sind oder grundsätzlich keine aussagekräftigen Fakten vorliegen.

15 Personen haben überlebt. Zumeist durch Emigration ins Ausland.

29 Juden sind in Arbeits- oder Konzentrationslager zwischen 1940 und 1944 deportiert worden.

Von diesen 29 Deportierten brachten die Nazis 16 in die Konzentrationslager von Riga, 13 Homberger Juden waren in anderen K-Lagern inhaftiert.

Ihre Schicksale:

Geib, verw. Kämer, Julianne, 1942 nach Theresienstadt deportiert, 1943 dort verstorben.

Gutmann, Otto, verzog nach Moers, 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Nathan, Samuel, 1942 nach Thresienstadt deportiert, nach seiner Freilassung lebte er in Deggendorf (Bayern), dort gestorben 30. 1. 1948

Seelig, Margarete, 1935 nach NL emigriert, 1944 vom Sammellager Westerbork (NL) nach Theresienstadt deportiert, dort am 8. 5. 1945 befreit.

Seelig, Jeannette, 1938 mit Kindern nach Köln umgezogen, nach Auschwitz deportiert, dort verschollen.

Ring, Jonas, 1940 nach Sachsenhausen deportiert, gestorben am 25. 7. 1942 im KZ Groß-Rosen (bei Breslau, heute Polen).

Gutmann, Paul, ermordet am 23.6. 1942 in Groß-Rosen

Krämer, Peter, Sohn von Julianne Geib, verw. Krämer, Vater warNichtjude, aktives KPD-Mitglied. Im September 1943 von der Gestapo verhaftet, nach Buchenwald deportiert, dort verschollen, am 31. 12. 1943 für tot erklärt.

Karten, Max, 1938 mit Eltern und Schwester nach Polen abgeschoben, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen nach Kalusz / Galizien verbracht, wo er umgekommen ist. Am 8. 5. 1945 für tot erklärt.

Nathan, Richard wurde 1942 einem Arbeitszwangslager der Organisation Todt zugeführt, seit 1944 verschollen, am 8. 5. 1945 für tot erklärt.

Nathan, Heinrich, Sohn von Richard und Gertrud N. (Nichtjüdin), war Halbjude. Er befand sich zuletzt im Lager Lenne der Org. Todt, von dort ist er nicht zurückgekehrt. Am 8. 5. 1945 für tot erklärt.

Strauß, Matilde war 1932 in die Niederlande emigriert. !942 in Amsterdam, bis zum 13. 7. 1943 war sie im Lager Westerbork (NL), von hier ins Lager Sabibor bei Auschwitz, dort gestorben am 16. 7. 1943.

Holthausen, Klara war mit einem Nichtjuden verheiratet, vom 17. 9. 1944 bis 31. 7. (?) 1945 im Gestapo-Arbeitslager in Minkwitz und Berlin, 1953 nach Rheinberg verzogen.

Von diesen 13 Juden haben nur 3 überlebt.


Deportation nach Riga / Lettland 1941

Der Transport am 11. 12. 1941 nach Riga / Lettland führte 16 Homberger (oder ehemaligen Homberger) Juden in den Holocaust:

Coppel, Julius, Dr., wohnte ab 1908 in Moers - für tot erklärt

Coppel, Betty, Rheinstr. 27 - für tot erklärt

Coppel, Henriette, Rheinstr. 27 - verschollen in Riga

Coppel, Paul, Rheinstr. 27 - verschollen in Riga

Daniel, Grete, wohnte 1939 in Duisburg - verschollen in Riga

Gerson, Johanna, Moerser Straße 89 - für tot erklärt

Gerson, Karl, Moerser Str. 89 – ermord. 1942 in Auschwitz/1945 für tot erkl. worden(?)

Karten, Israel, 1940 Rheinstr. 27 - (über Stutthoff) in Buchenwald verschollen

Karten, Helene, 1940 Rheinstr. 27, (über Stutthoff) am 22. 6. 1945 in Homberg

Karten, Fanny, 1940 Rheinstr. 27, zwei Tage nach Befreiung am 13.3. 1945 gestorben

Ring, Laura, Moerser Str. 89 - verschollen in Riga

Ring, Manfred, Moerser Str. 89 - verschollen in Riga

Spiegel, Nathan, wohnte 1936 in Duisburg - verschollen in Riga

Spiegel, Johanna, wohnte 1936 in Duisburg - verschollen in Riga

Spiegel, Ruth, wohnte 1936 in Duisburg - verschollen in Riga

Spiegel, Edith, wohnte 1936 in Duisburg - verschollen in Riga [147]

Zweifel an der Statistik

Die Statistik (Grafik) weist nach der verbrecherischen Deportation Homberg Juden für die Folgejahre bis einschließlich 1944 lediglich zwei Überlebende aus. Es haben aber mehr als zwei überlebt :

Lothar (Lotharius) Krämer, Bergmann und wohnhaft in der Poststraße 75 bei seiner Mutter Julianne Geib, verw. Kämer. Sein Vater Johann Krämer war Nichtjude.Er überlebte und wohnte 1969 in Homberg. (Schicksal seines Bruders Peter s.o.)

Elfriede Nathan, Tochter von Richard Nathan (Jude) und Gertrud Nathan, geb. Baumann (Nichtjüdin), wurde 1937 in Homberg geboren. Die Familie lebte im Haus Nr. 79 in der Prinzenstraße und war im Homberger Adressbuch 1938 dort gemeldet. Ihr Vater war erst 1942 von der Gestapo verhaftet worden (s.o.). Ihre Mutter starb am 27. 4. 1942 in Duisburg. Wo sich die Familie zwischen 1938 und 1942 aufgehalten hatte, ist unbekannt. Elfriede Nathan überlebte und wohnte 1957 in Homberg.

Elfriedes Schwester, Johanna Nathan, Jahrgang 1932, überlebte ebenfalls und wohnte 1956 in Rheinhausen.

Auch das Schicksal der Familie Hugo Nolden fällt in diesen Zeitabschnitt. Hugo Nolden, EK I - Träger aus dem 1. WK) kam 1933 mit seiner Frau Gertrud (Nichtjüdin), (geb. Schmitt lt. Dbg. Forschungen), geb. Fröhling , und dem 1930 geborenen Sohn Richard nach Homberg und wohnte zur Untermiete bei der Familie Emmerich in der Hochfeldstraße 170. Unter dem Druck der Nationalsozialisten trenne er sich von seiner Frau Gertrud, um dem Sohn Richard den Besuch der Oberrealschule in Homberg zu ermöglichen. [148] Am 14. 10. 1944 fand ein schwerer Luftangriff auf Homberg und Duisburg statt. „An diesem Tag besuchte Richard das Hallenschwimmbad in Ruhrort. Auf dem Rückweg wurde er in den Rheinwiesen durch Bombensplitter getötet. Hugo Nolde hielt sich in der Nacht zum 15. 10. bei seiner Frau Gertrud in der Rheinstraße 27 auf. Das Haus wurde von einer Brandmine getroffen, später dann noch von Brandbomben in Brand gesetzt. Umgekommen sind hier: Hugo und Gertrud Nolde, Oma Gores, Voß, Schlünkes und mehrere Fröhlings.“ [149]

Wie auch immer die amtliche Statistik über die Juden in Homberg fortgeschrieben worden ist, bleiben Zweifel an der Richtigkeit der Angaben. So wohnte und arbeitete der Jude Paul Salomon in der Adolf-Hitler-Str. 65 (Moerser Straße) als Schneidermeister. Er muss wohl eine „schützende Hand mit Einfluss“ in Homberg gehabt haben. Derartige Fälle soll es immer mal wieder gegeben haben, war aus dem Duisburger Stadtarchiv zu hören.

Ebenso mysteriös ist der Fall Eduard Singer. Er wohnte - lt. Zeitzeugenaussage -in der Hindenburgalle (Friedhofsalle) 99. Das SPD-Ratsmitglied Rudolf Woch (vor 1933 und nach 1945) wohnte quasi „um die Ecke“ am Hermann-Göring-Platz 2 (Hubertusplatz). Die beiden Nachbarn waren befreundet und spielten vor und nach dem Krieg miteinander Skat. Der Name von Eduard Singer taucht in keinem Homberger Register auf.

Von der Familie Wilhelm Kerkhoff [150], Tapeten, Farben, Bürsten, wohnhaft Karlstraße 12, wird berichtet, dass man eine Jüdin mit dem Namen „Weiß“ im Hause bis nach dem Krieg versteckt habe. Für das Jahr 1945 weist die Statistik 3 Juden in Homberg aus.

Tatsächlich war am 22. 6. 1945 die Jüdin Helene Karten wieder nach Homberg zurückgekehrt. Die Familie war bereits im Oktober 1938 (s. S. 16) nach Polen abgeschoben worden. Sie kehrten im Juli/August 1939 nach Homberg zurück und wurden erneut am 11. 12. 1941 nach Riga deportiert. Helene Karten überlebte und wohnte 1974 in Homberg.

Endlösung der Judenfrage – Wannsee-Konferenz

Nach dem Ausreiseverbot für Juden und der ab dem 14. Oktober 1941 einsetzenden Deportation der Juden aus dem gesamten Reichsgebiet wurde am 20. 1. 1942 auf der so genannten Wannsee-Konferenz die Endlösung der Judenfrage beschlossen. „Entgegen verbreiteter Meinung war es nicht Hauptzweck der Konferenz, den Holocaust zu beschließen - diese Entscheidung war faktisch schon (Anm. d. Verf.: durch die Deportationen) gefallen, sondern in den Grundzügen die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten zu organisieren und die erforderliche Koordination sicherzustellen. Die Teilnehmer legten den zeitlichen Ablauf für die weiteren Massentötungen fest, grenzten die dafür vorgesehenen Opfergruppen genauer ein und einigten sich auf eine Zusammenarbeit unter der Leitung des Reichssicherungshauptamtes (RSHA), das Heydrich führte.“ [151]

Im Juli 1942 begannen die regelmäßigen Selektionen für die Gaskammern in Auschwitz. [152]

Am Ende waren es über 6,7 Millionen Menschen, die dem Wahnsinn der Nazi-Ideologie zum Opfer fielen.


Das Motorschiff MS Homberg rettet KZ-Häftlinge nach Kriegsende in der Ostsee Ein mysteriöser Fall!

Indem die sowjetischen Truppen nach der Schlacht von Stalingrad ( Januar / Februar 1943) und die alliierten Streitkräfte nach der Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 („D Day“) die Deutsche Wehrmacht zwangen, sich aus den besetzten Ländern wieder zurückzuziehen, wurden beim Zurückweichen der deutschen Front auch Vernichtungslager fluchtartig aufgegeben. Viele Lagerinsassen konnten auf diese Weise überleben und befreit werden.

Bis zur bedingungslosen Kapitulation am 8./9. Mai 1945 hielten die Nationalsozialisten an der Umsetzung der rassistischen „Endlösungsfrage“ für Juden und für sonstiges „unwertes Leben“ fest. So wurden weitere verbrecherische „Lösungsversuche“ gestartet, um Menschen aus diesen Lagern vor der Befreiung zu vernichten. Davon berichtete der Zeitzeuge Bo Fröberg im Jahre 2005 auf einer Veranstaltung in Malmö /Schweden. [153]

Auch das Deutsche Fernsehen hat im Jahr 2015 im Rahmen der WDR-Dokumentation „Hafen der Hoffnung“ über diese Veranstaltung informiert.

„Am 11. Mai 1945, drei Tage nach Kriegsende, legte am Kai von Malmö ein Schiff an. Sie war von Engländern bis in schwedische Gewässer gejagt worden. Auf dem Schiff befanden sich ungefähr 2.000 Gefangene, die in Flensburg an Bord gekommen waren. Das Schiff sollte hinaus aufs Meer fahren und mit allen Insassen versenkt werden. Es war schon eine Woche lang unterwegs. Ohne Essen und mit kleinen Wasservorräten.“ „Von einem Rote-Kreuz-Mitarbeiter, der damals dabei war, hieß es: Als das Schiff ankam, sah es irgendwie friedlich aus. Ein kleines Orchester spielte an Bord. An der Reling lagen Leichen, die in Persenning (imprägniertes Gewebe, Anm. d. V.) eingewickelt waren. Wenn man den Lagerraum öffnete, trafen einen der Gestank und das Elend wie ein Schlag. Als sie hinunter stiegen, wussten sie nicht, ob die Menschen tot oder lebendig waren. Man brachte sie in die Badeanstalt, entlauste und wusch sie und gab ihnen Kleidung.“

Unter den Geretteten befand sich auch die Mutter des Zeitzeugen. Kurze Zeit nach der Rettung verstarb sie. Über die Zahl der Toten und Überlebenden wurden in dem Beitrag des TV-Senders keine Angaben gemacht.

Das Schiff hatte natürlich einen Namen: Es war die „MS Homberg“ aus Duisburg-Ruhrort.

In der Chronik der Firma Haniel - mit Sitz in Ruhrort - liest man Folgendes:

„Haniel beim größten Seerettungswerk der Geschichte.“

Der Vormarsch der Roten Armee löste ab Oktober 1944 gewaltige Flüchtlingsströme der deutschen Bevölkerung in den östlichen Reichsprovinzen aus. Zunächst aus Ostpreußen, später auch aus Pommern und Schlesien, machten sich Millionen Menschen in den Wintermonaten 1944/45 auf in Richtung Westen – und das bei Schnee und Kälte meist zu Fuß mit Handwagen oder mit Pferdefuhrwerken. Nachdem Ostpreußen eingeschlossen war, blieb nur noch ein Weg offen: die Flucht über die Ostsee.

In einer einzigartigen Rettungsaktion wurden bis Mai 1945 etwa zwei Millionen Zivilisten und rund 500.000 Wehrmachtsangehörige aus Ostpreußen, Pommern und dem Kurland über den Seeweg nach Dänemark und Schleswig-Holstein evakuiert. Mehr als 30.000 Menschen kamen dabei ums Leben.

Seit Juli wurden Reval, Riga, Windau und Libau (Baltikum) geräumt. Man brachte 300.000 Menschen mit dem Schiff über die Ostsee. An der Aktion waren auch Schiffe von Franz Haniel & Cie (FHC) und der OPDR beteiligt. Wie die neueste Forschung zeigt, rettete Haniel per Schiff insgesamt 15.284 Menschen vor der Roten Armee. (S. 240) Das Schiff mit der größten Leistung war die MS Homberg. Auf dem 1938 in Dienst gestellten Rhein-See-Schiff der Haniel-Flotte wurde bei mehreren Einsätzen 11.362 Flüchtlinge nach Westdeutschland und Dänemark evakuiert. Bei ihrer letzten Fahrt am 19. April 1945 von Pilau in Ostpreußen nach Saßnitz auf der Insel Rügen wurden 920 Verwundete, 170 Sanitäter und 300 Soldaten transportiert. Der Gesellschaftsbericht vom August 1945 geht auf das größte Rettungswerk der Seegeschichte wie folgt ein: „In der Seeschiffahrt wurden unsere Rhein-See-Motorschiffe wie auch die Flotte der OPDR fast ausschließlich für den Räumungsverkehr ab Norwegen und Ostland eingesetzt. Das gleiche gilt für den D.(ampfer) „Aletta Noot“ von der Haniel GmbH, Hamburg, der im Flüchtlingsverkehr zwischen Königsberg/Danzig nach ungefährdeter erscheinenden deutschen Ostseehäfen eingesetzt wurde. (…) Alle Schiffe der FHC überstanden die Aktion unbeschadet. Das Unternehmen musste sie aber als Folge der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 an die Alliierten abgeben“.

Was war wirklich passiert? in Bearbeitung

Nazi-Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Euthanasie-Fälle aus Homberg während der Nazidiktatur

Vorwort

"Gnadentod" - Euthanasie in der NS-Zeit

Jeder Mensch wird mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen geboren. Veranlagungen werden vererbt, nicht maßgeschneidert und kalkulierbar, sondern in ihren Ausprägungen auch als eine "Laune der Natur". Stärken und Schwächen beschreiben die Einzigartigkeit des Menschen. Sie bestimmen das Bild seiner Persönlichkeit. Deshalb bedeutet soziale Verantwortung in einer Gesellschaft bestmögliche Förderung eines jeden Individuums im Sinne von Chancengerechtigkeit.

Im Falle einer Behinderung bedürfen die Betroffenen der besonderen Fürsorge durch die Gesellschaft. Denn das Normativ eines gesellschaftlichen Grundvertrages, in Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit leben zu wollen, kann nur lauten: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." (Art. 1, GG)

Der aufkommende Nationalsozialismus in Deutschland war der Feind der Demokratie in der Weimarer Republik (1918 – 1933). Mit der Zerschlagung der demokratischen Staats- und Gesellschaftsstrukturen durch die Nationalsozialisten übernahm Adolf Hitler mit seiner Partei (NSDAP) die diktatorische Gewaltherrschaft (1933 – 1945).

Die nach 1945 etablierte demokratische Grundordnung in Deutschland (Bundesrepublik) wird heute erneut durch Populismus und Neofaschismus, Juden – und Fremdenfeindlichkeit - bei zunehmender Gewaltbereitschaft – bekämpft.

Das ideologische Ziel des Nationalsozialismus war die Schaffung von reinrassigen Menschen in einer deutschen Volksgemeinschaft, die das Recht hatte, die Führung in der Welt über alle minderwertigen Völker zu beanspruchen. Behinderte Menschen hatten in dieser Volksgemeinschaft keinen Platz. Sie waren aus eugenischen Gründen (unerwünschte Erbanlagen) auszumerzen. Deshalb galten gegenüber behinderten Menschen grundsätzlich zwei Prinzipien:

1. Wer trotz einer Behinderung ohne staatliche Hilfe sein Leben fristen konnte, wurde sterilisiert (Rassenhygiene).

2. Wer von keinerlei ökonomischem Nutzen war und der Volksgemeinschaft zur Last fiel, wurde ermordet (Rassenhygiene durch Euthanasie).

Man sprach vom "Gnadentod".

Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rassistische Verbrechen der Euthanasie durch die Nazis an behinderten Kindern oder Erwachsenen nur selten von den Familien öffentlich gemacht.

Euthanasie gehörte zu den Tabu-Themen:
"Es war ja schon peinlich genug, ein behindertes Kind oder einen behinderten Erwachsenen in der Familie gehabt zu haben." (Quelle fehlt)

Auch in Homberg wurde weder von amtlichen Stellen noch von den damaligen Lokalhistorikern das Thema der Euthanasie aufgegriffen. Erst als im Freundeskreis Historisches Homberg die Verbrechen der Nazis an der Homberger Bevölkerung auf die Tagesordnung gesetzt wurden, fingen erste Nachforschungen an. Im Jahr 2014 konnte endlich ein "Fall" der Kindereuthanasie in einem Homberger Kirchenbuch ausfindig gemacht werden.

Der I. Abschnitt der vorliegenden Untersuchung befasst sich mit der "Kindereuthanasie". Die Geschichte über das Schicksal des behinderten Kindes Karl Heinz Kempken steht stellvertretend für viele andere behinderte Kinder aus Homberg, denen ein ähnliches Schicksal beschieden war.

Karl Heinz Kempken wurde 1943, im Alter von sechs Jahren, in der Wiener Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" transportiert und in die dortige Nervenklinik für Kinder "Am Spiegelgrund" nur wenige Tage später getötet.

Der II. Abschnitt behandelt "Fälle" der Erwachseneneuthanasie. Bis heute konnten 50 Fälle von behinderten Männern und Frauen aus Homberg namentlich erfasst werden, von denen ein Großteil in einer der sechs Tötungsanstalten in Deutschland ermordet wurden. Auch von Beispiele aus Baerl/Binsheim wird berichtet.

Der "Bund der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten" (1987 gegründet) bezeichnet sich als eine in der Gesellschaft der BRD weitgehend unbekanntev bzw. "vergessene" Opfergruppe.

Deshalb ist die vorgelegte Untersuchung nicht nur ein Beitrag zur Homberger Stadtgeschichte, vielmehr ist der Sinn der Arbeit auch darin zu sehen, praktizierte Verbrechen der Nationalsozialisten an Menschen aus Homberg zu benennen und zu publiziert, d.h., dem Vergessen entgegenzuwirken.


Dirk Lachmann, im März 2021


NS-Rassenideologie und Rassenhygiene

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Deutschen Reich (30. Januar 1933) wurde eine quantitative (für ein Volk ohne Raum) und eine qualitative Bevölkerungspolitik (nordische Herrenrasse) propagiert. Neben der Förderung des erbgesunden und arischen Nachwuchses sollte die Anzahl der von den Nazis als erbkrank und nichtarisch definierten Menschen durch Ausmerzung, Sterilisation und Verfolgung (KZ-Häftlinge) vermindert werden.

In der Volksgemeinschaft der arischen Deutschen hatte deshalb jede gesunde Frau die Mutterrolle zu erfüllen, um möglichst viele "stählerne, kampfbereite" Kinder zu gebären. (Hitler-Zitat von 14. September 1935: "In unseren Augen da muß der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl".) Dabei hatte die geforderte Geburtenexplosion den rassistischen Hintergrund, ausschließlich hochwertiges Erbgut zu bewahren und weiterzugeben. [154]

Die sozialdarwinistisch geprägte Rassenideologie des Nationalsozialismus hatte Hitler während seiner Festungshaft in Landsberg am Lech in seiner politisch-ideologischen Programmschrift "Mein Kampf" dargestellt. Dabei bezog er sich insbesondere auf die Thesen der führenden deutschen Rassenhygieniker Baur, Fischer und Lenz. Sie beschrieben in ihren Werken die "Grundrisse der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" und bekannten sich zur "Menschlichen Auslese" als Teil der Rassenhygiene (Eugenik).

Bereits 14. Juli 1933 führte Hitler das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ein. Erbkrank im Sinne des Gesetzes ist derjenige, der unter "angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem Irrsinn (manisch-depressive Erkrankung), erblicher Fallsucht (Epilepsie), Veitstanz (unheilbare Hirnerkrankung), erblicher Blindheit und Taubheit, schwerer erblicher Missbildung oder an Alkoholsucht" leidet. [155]

Das Gesetz sah ausdrücklich vor, dass ein Erbkranker selber oder ein gesetzlicher Vertreter den Antrag auf Sterilisation (Unfruchtbarmachung) stellen kann.
Das Gesetz erhielt in Auslegung und Anwendung schnell eine aggressive Dynamik: Beamtete Ärzte und Leiter von Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalten oder Strafanstalten konnten eigenmächtig für Erbkranke und schwere Alkoholiker auf dem Gerichtsweg Zwangssterilisierungen erwirken. [156]

Damit war der Weg frei, die nationalsozialistische Erbgesundheitspolitik in den Rang einer Staatsdoktrin zu erheben. Im NS-Deutschland wurde nun allerorts der ideologische Hintergrund dieses Gesetzes verbreitet und erklärt.

"Im Hausbuch für die deutsche Familie, Ausgabe Homberg/Mindestauflage 700 Exemplare" stand folgende Rechtfertigung (auszugsweise) zu lesen:

Der Nationalsozialismus hat sich das hohe Ziel gesetzt, das deutsche Volk vor dem Untergang zu retten. Der deutsche Mensch ist der Träger der deutschen Kultur. "Die Kultur zerfällt, wenn die Zahl der Kulturträger gegenüber der Zahl der ihrer ganzen Erbanlage nicht als Kulturträger geeigneten Menschen immer mehr schwindet. Dieser Zustand tritt ein, wenn die Bevölkerungsschichten, aus denen erfahrungsgemäß die meisten Führernaturen hervorgehen, eine wesentlich geringere Nachkommenschaft hinterlassen, als die Schichten, die wir auf Grund ihrer erblichen Belastung als erbuntüchtig bezeichnen müssen. Und dieser Zustand ist in Deutschland längst erreicht. … So haben z. B. die Schwachsinnigen mindestens doppelt so viele Kinder wie die Erbtüchtigen und Begabten. Damit sind die Richtlinien für eine verantwortungs- und zielbewusste Bevölkerungspolitik gegeben. Die Fortpflanzung der Erbtüchtigen fördern, die Fortpflanzung der Erbuntüchtigen hemmen – so lautet das einfache Gebot.

Die Vernichtung der "unerwünschten Elemente" in der deutschen Volksgemeinschaft wurde unter dem irreführenden Begriff "Euthanasie" (schöner, leichter Tod) in die Tat umgesetzt. Als äußerer Anlass wurden die Bittschriften von Eltern an die Kanzlei des Führers herangezogen, die um die Gewährung des "Gnadentodes" für ihre behinderten Kinder baten. [157]

I. Die Kindereuthanasie

Der Reichsausschuss für Kindereuthanasie

Von Anfang an (1939) waren Planung und Durchführung der Kindereuthanasie als "geheime Reichssache" angedacht worden. In Berlin gründete man Ende 1939 eine Organisation, die unter der Bezeichnung "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" bekannt wurde. Die Mitarbeiter dieser Tarnorganisation ("Reichsausschuss") organisierten das Tötungsmanagement.


Die Kinderfachabteilungen als Orte der Kindereuthanasie

Zur Umsetzung des Euthanasiekonzeptes ließ der "Reichsausschuss" seit Juni 1940 so genannte Kinderfachabteilungen unter ärztlicher Leitung in Heilanstalten und Kliniken errichten, die administrativ der staatlichen Verwaltung unterstanden.

Der "Reichsausschuss" behielt sich nur die formale Entscheidung über die Tötung vor.

Die erste Kinderfachabteilung entstand im Juni 1940 in der Landesanstalt Brandenburg-Görden. Nach neueren Forschungen wurden im gesamten Reichsgebiet 37 Kinderfachabteilungen eingerichtet, davon drei in Österreich: in Wien, Graz und Klagenfurt.


Die Kindereuthanasie in Wien

Nach dem erzwungenen politischen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich (12. März 1938) wurde im Rahmen der administrativen Eingliederung auch das Programm der Euthanasie zu einer verpflichtenden Aufgabe. "Diese "offizielle Haltung" wird dann in Wien mit allen Konsequenzen bis 1945 durchgezogen". Die Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" in Wien wurde in den Jahren nach dem "Anschluss" zum Wiener Zentrum der nationalsozialistischen Tötungsmedizin, die mindestens 7.500 Steinhof-Patienten (Kinder und Erwachsene) das Leben kosten sollte." (5) Auf dem Anstaltsgelände "Am Steinhof" war ab 24. 07. 1940 eine Jugendfürsorgeanstalt errichtet worden, die sich in ein Erziehungsheim (später Pavillon 17) und eine Nervenklinik für Kinder (später Pavillon 15) unterteilte. Zur Nervenklinik gehörte auch eine Kinderfachabteilung - mit der internen Bezeichnung "Am Spiegelgrund" - in der rund 800 kranke und behinderte Kinder und Jugendliche umkamen."

Diese Wiener Nervenklinik für Kinder "Am Spiegelgrund" ist als zweite Kinderfachabteilung im Reich eingerichtet worden. Als besonderes Merkmal dieser Kinderfachabteilung ist hervorzuheben, dass sie durch eine äußerst hohe Eigenverantwortlichkeit der Ärzte auffiel. Es waren zwar auch hier die Ärzte und die Gesundheitsämter, welche die Eltern von den sich bietenden Behandlungsmöglichkeiten überzeugen sollten; jedoch entschieden letztlich die Ärzte und Ärztinnen der Kinderfachabteilung über den weiteren Lebensverlauf der geistig und körperlich behinderten Kinder. Diese erstellten nach Einweisung der Kinder vor Ort ein auschlaggebendes medizinisches Gutachten. [158]
Folgte eine Meldung an den "Reichsausschuss", so wurde in Berlin über das weitere Schicksal eines Kindes entschieden, indem es in eine der drei Kategorien eingeordnet wurde:
1. "keine weiteren Maßnahmen" bedeutete sterben durch Nahrungsentzug
2. "Beobachtung", das hieß Einweisung in eine psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt – Tötung vorbehalten und
3. "Behandlung", das hieß sofortige Tötung. [159]


"Im August 1940 wurde die Nervenklinik mit Kinderfachabteilung im Pavillon 15 eingerichtet. Leitender Stationsarzt war Dr. Heinrich Gross, der dem Leiter der Klinik Dr. Ernst Illing unterstand. Die für den Reichsauschuss Gutachten erstellenden Ärzte Dr. Heinrich Gross und Dr. Marianne Türk waren ebenfalls seit August bzw. seit November an der Nervenanstalt beschäftigt.

Das erste Kind vom Spiegelgrund starb im September 1940. Die erste erhaltene Meldung an den Reichsausschuss datiert vom 14. November 1940. Aus der Praxis der Wiener Kinderfachabteilung lässt sich feststellen, dass die Ärzte anhand ihrer eindeutigen Formulierungen die Antwort aus Berlin vorwegnahmen. Dass sich die Wiener Ärzte dieser Tatsache bewusst waren, zeigt nicht nur die oft kurze Frist zwischen Meldung und Tod des Kindes. Manchmal wurde sogar erst nach dem Tod des Kindes die Meldung nach Berlin abgeschickt." [160]

Mit dem "Urteil" der Tötung wurden die Kinder in den Kinderfachabteilungen mit oder ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten durch Medikamente oder Nahrungsentzug getötet. Darüber hinaus wurden viele der Verstorbenen zunächst für Forschungszwecken missbraucht, wodurch fast immer ein qualvolles Sterben verbunden war. [161]


Die Suche der Rassenhygieniker nach "erbkranken" Kindern

Bei Geburt eines Kind war oft nicht unmittelbar zu erkennen, ob das Kind mit zunehmendem Alter Zeichen einer geistigen, körperlichen oder sozialen (schwer erziehbar) Behinderung zeigen würde. Die Liebe zum eigenen Kind, aber auch das Schamgefühl mancher Eltern, ein behindertes Kind gezeugt zu haben, führte immer wieder zu ihrer Entscheidung, sich nicht der "Fürsorge des Staates" anzuvertrauen.

Um dem Diktat der Rassenhygiene den nötigen Antrieb zu geben, wurde im Frühjahr 1939 durch einen "streng vertraulichen Erlass" die Berufsgruppen der Sonderschullehrer, Kindergärtnerinnen, Hebammen, Ärzte und Ärztinnen, Kinderpsychologen u. a. verpflichtet, alle beobachteten Fälle von behinderten Kindern den Behörden zu melden. [162]


Untersuchungen an Hilfsschulen

Anfang der Dreißigerjahre griff der renommierte Hygieniker für Lungenforschung Prof. Dr. Karl Wilhelm Jötten von der Universität in Münster erstmalig eine wissenschaftliche Forschungsarbeit auf, um "erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschülern" durchzuführen. Mehr als 20 Doktorarbeiten beschäftigten sich nach 1933 an seinem Institut mit der Untersuchung von Hilfsschülern unter rassehygienischen Gesichtspunkten. Die Ergebnisse basierten auf der Auswertung von ca. 4.300 Personalbögen von "Hilfsschülern" durch seine Doktoranden.
Diese Personalbögen waren von den Schulen selbst erstellt worden. Die wissenschaftliche Methode, nach denen die Auswertung erfolgte, entsprach damit nicht den bereits damals entsprechenden Standards und waren offensichtlich nur auf die Vorlage politisch verwertbarer Ergebnisse bzw. auf Seiten der Doktoranden auf den Erwerb rascher akademischer Auszeichnungen angelegt. Sie sollten dem Nachweis dienen, dass auch die Fälle eines leichten Schwachsinns auf Vererbbarkeit beruhten und damit in den Anwendungsbereich des NS-Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses gehörten.

Jötten lieferte mit dieser Publikation eine Begründung für die Zwangssterilisation von ca. 100.000 Kindern in Deutschland." "Jötten war offenbar nicht der einzige, der seine Karriere über die Moral stellte." So die Stellungnahme der Kommission der Uni Münster in den neunziger Jahren über Jötten. [163]


Die Doktorarbeit über Hilfsschulen im Altkreis Moers

Zu den Doktoranden von Prof. Jötten gehörte auch der aus Duisburg stammende Student für Zahnmedizin Emil Stenmans. Seine wissenschaftliche Arbeit lautete: "Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkinder der Städte Homberg (Niederrhein), Rheinhausen (Niederrhein) und dem dazugehörigen Landkreis." [164]

Seine veröffentlichte Arbeit verdeutlicht seine offensichtliche Inkompetenz: Grundsätzlich fehlen seiner "Forschungsarbeit" wissenschaftliche Standards. Auf 14 (vierzehn) DIN-A5-Seiten interpretiert er mit 13 Tabellen die Auswertung von Personalbögen der betroffenen Schüler an fünf Schulen, die von den Schulleitern erstellt worden waren. Außer in Homberg und Rheinhausen werden die Standorte der drei weiteren Hilfsschulen im Altkreis Moers nicht benannt. Eine Überprüfung seiner Statistiken ist damit unmöglich. Damit sind alle gemachten Aussagen beliebig manipulierbar. Das Zitat der Zusammenfassung seiner so genannten wissenschaftlichen Untersuchung spricht für sich:
"In Untersuchungen an 424 Hilfsschulkindern konnte als wichtigstes Ergebnis mit einem Prozentsatz von 75,48 erheblichen Schwachsinns festgestellt werden. Bedenklich muß der Kinderreichtum mit 5,04 Kindern je Hilfsschulfamilie stimmen im Hinblick auf die Durchschnittskinderzahl von 2,2 der sonstigen Familien im Jahr 1932."

Aber er führt noch politisch belehrend hinzu:
"Ohne Gegenmaßnahmen wäre damit das deutsche Volk von minderwertigem Erbgut überwuchert und dem Verfall preisgegeben worden. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933" stellt zugleich die wirksamste und humanste Waffe im Kampf zur qualitativen und quantitativen Erhaltung des deutschen Volkes dar." [165]


Die Suche nach Opfern der Kindereuthanasie in Homberg

Da Stenmans bei der Datenerhebung für seine Untersuchung auch keine Offenlegung zur Hilfsschule in Homberg-Hochheide in der Ehrenstraße, dem heutigen Gebäude der Homberger Arbeiterwohlfahrt, Ehrenstr. 18, vornahm, konnte kein Zugriff auf konkrete Schülerzahlen, Klassen oder Namen gemacht werden. So schien es fast unmöglich zu sein, auch nur einen einzigen konkreten Fall eines erkrankten Kindes mit Merkmalen des (angeborenen) Schwachsinns oder anderen Erkrankungen zu finden.

In Homberg kursierte nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs jedoch noch jahrzehntelang das Gerücht, dass eine angesehene Homberger Kaufmannsfamilie ihr "schwachsinniges Kind" an eine Heil- und Pflegeanstalt hatte in Pflege geben müssen.
Auf Nachfrage bei der Familie und einigen Zeitzeugen ist dieses Gerücht zurückgewiesen worden. Vorkommnisse der Kindereuthanasie schien für Homberg keine faktische Relevanz gehabt zu haben. Diese vordergründige Erkenntnis widerspricht allerdings jeder Logik. Denn: Wo eine kommunale Schule für Hilfsschüler eingerichtet wird, musste es auch kranke und behinderte Kinder geben. – Aber, Informationen darüber gab es in Homberg nach dem Krieg nicht.

Erst mit dem Studium der Kirchenbücher der Evangelischen Kirche in Homberg-Hochheide, Kirchstraße, erfolgte der Durchbruch. [166] Dort gibt es einen Eintrag im Jahr 1943 - Lfd. Nummer 22 - von einem Kind mit dem Namen Karl Heinz Kempken. Der Junge wurde am 28. 01. 1937 geboren und starb bereits mit sechseinhalb Jahren am 17. Juni 1943 in Wien. Der Eintrag der Todesursache lautet: "Kind war geisteskrank" Mit diesem Ansatzpunkt konnte eine konkrete Nachforschung in Angriff genommen werden.

Die Familie von Karl Heinz Kempken wohnte in Essenberg auf der Eisenbahnstr. 62 (Homberger Adressbuch). Aus dem Familienkreis in Homberg konnte die Adresse von einer der zwei jüngeren, gesunden Schwestern, verheiratet in Kamp-Lintfort, in Erfahrung gebracht werden. Diese Schwester, Jg. 1946, Mutter von gesunden Kindern, war bereit, an Hand der schriftlichen Unterlagen ihrer Mutter, das Schicksal ihres Bruders detailliert offenzulegen. Sie ist davon überzeugt, dass den Nachfolgegenerationen die verbrecherischen Taten der Nationalsozialisten am Beispiel ihres Bruders aufgezeigt werden müssen, um durch Aufklärung neuen Tendenzen von politisch motivierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit moralisch zu begegnen.

Sie meinte kurz: Sag den Leuten: "Das darf nie wieder passieren!"


Die Geschichte von Karl Heinz Kempken aus Homberg

Karl Heinz Kempken wurde am 28. 01. 1937 in Homberg geboren.
"Karl Heinz hatte eine schwere Zangengeburt. In der Folge entwickelt sich das Kind körperlich gut, doch geistig geht es nur sehr langsam. Mit seinem sechsten Geburtstag im Januar 1943 stand Karl Heinz vor dem Eintritt in die erste Klasse der Volksschule bzw. der Hilfsschule.
Um das Beste für ihr Kind zu erreichen, wurde es auf ärztliches Anraten hin am 09. April 1943 in die Rheinische Landesklinik für Jugendpsychologie in Bonn zur Beobachtung eingewiesen. Mit der Entscheidung der Eltern, ihr Kind in die Fürsorge einer staatlichen Einrichtung zu geben, begann der tragische Leidensweg von Karl Heinz Kempken. Nach wenigen Wochen wurde er von Bonn zum Behindertenwohnheim St. Josefshaus in Hardt bei Mönchengladbach überwiesen. Doch auch dort sollte er nicht länger bleiben. Mit der damals üblichen Begründung, "wegen der Fliegerangriffe müsse er verlegt werden", wurde Karl Heinz am 20. Mai 1943 mit einem von drei Sammeltransporten nach Wien gebracht. (Anm.: Die "Rheinlandtransporte" bestanden insgesamt aus 144 Knaben und Männern aus dem St. Josefshaus in Hardt.)
Vorerst wurde Karl Heinz dort in der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" aufgenommen. Die besorgte Mutter schrieb am 03. 06. 1943 an die Pflegeschwester:"

"Sehr geehrte Schwester!
Da mein Kind Karl Heinz von Mönchengladbach nach Wien gekommen ist, möchte ich mal schreiben, schickt er sich gut, können die Kinder die Luft vertragen, hoffentlich wohl. Ich glaube, liebe Schwester, Sie werden wohl viel Arbeit mit ihm haben, wo er noch alles untergehen läßt. Aber wir wollen das beste hoffen, dass es ein bisschen anders wird. Als Karl Heinz noch in Mönchengladbach war, konnte ich ihn öfters besuchen und jetzt leider nicht. Aber in Wien sind die Kinder sicherer. Hier, bei uns ist fast jede Nacht Fliegeralarm. Wir sind seit vorigem Jahr bombenbeschädigt. Ich muß immer in der Küche schlafen, weil mein Schlafzimmer kaputt ist … liebe schreiben sie mir bitte mal, ob man die Kinder besuchen darf und ob man für ein paar Tage oder Wochen übernachten kann ---"

Am 09. 06. 1943 antwortet der Direktor der Anstalt "Am Steinhof", Dr. Mauczka:

"In Beantwortung Ihres Schreibens vom 3. Juni wird Ihnen mitgeteilt, dass sich Ihr Junge hier rasch eingewöhnt hat. Das Essen scheint ihm sehr zu schmecken, das zeigt sein Gesicht, wenn er es auch nicht sagen kann. Er kann natürlich so wie alle anderen Kranken hier von den Angehörigen besucht werden. Da er jedoch körperlich gesund ist, besteht gegenwärtig eine Notwendigkeit eines Besuches und der langen beschwerlichen Reise nicht. Besuchszeit: Sonntag, Dienstag und Samstag von 14 – 16 Uhr. In Wien bestehen derzeit große Unterkunftsschwierigkeiten, seitens der Anstalt kann kein Quartier geboten werden.
Unterschrift: Hofrat Dr. Mauczka


Die verantwortlichen Entscheider

"Bereits einen Tag nach dem obigen Schreiben (vom 09. 06. an Frau Kempken) wurde am 10. 06. 1943 Karl Heinz der Wiener städtischen Nervenklinik für Kinder - "Am Spiegelgrund" mit Kinderfachabteilung (Pavillon 15) zugewiesen. Der verantwortliche Leiter der Nervenklinik war zu diesem Zeitpunkt Dr. Ernst Illing. Die verantwortlichen Stationsleiter waren Dr. Heinrich Gross und in Stellvertretung Dr. Marianne Türk. Beide waren Gutachter für den Reichsausschuss in Berlin und beiden konnte nach dem Krieg der Mord an vielen Kindern nachgewiesen werden. Darüber hinaus machte sich Heinrich Gross unter Kollegen wegen fachlicher Kompetenz einen guten Namen, weil er entnommene Gehirne der Kinder zu Forschungszwecken präparierte und Ursachen der Erkrankungen analysierte. Zu dem Zeitpunkt als Karl Heinz Kempken in den Pavillon 15 verlegt wurde, war Heinrich Gross dienstlich abwesend. Er war seit Ende März 1943 zum Militärdienst einberufen worden. Deshalb musste stellvertretend für ihn Marianne Türk die Neuzugänge begutachten. [167]

Die Entscheidung über das Schicksal von Karl Heinz Kempken traf demnach die Ärztin Dr. Marianne Türk:
Am 12. 06.1943 führte Marianne Türk die Aufnahmeuntersuchung an Karl Heinz Kempken durch.
Am 17. 06. 1943 starbt das 6 1/2-jährige Kind im Status epilepticus. Der Obduktionsbefund ergab dazu noch eine Lungenentzündung." [168]

Der "Gnadentod"

Der Ablauf des Sterbens von Karl Heinz Kempken ist typisch und hundertfach belegt für die Vorgehensweise der Nazi-Ärzte:
Dem Kind wurde durch eine täglich gestaffelte Überdosis an Barbituraten wie Luminal, Veronal oder Morphium gespritzt oder unter das Essen gemischt. Diese führten kurzfristig zur Atemlähmung, Kreislauf- und Nierenversagen oder Lungenentzündung, was nach wenigen Tagen zum Tode führte. So konnte immer eine scheinbar natürliche, unmittelbare Todesursache attestiert werden. In aller Regel verstarb das betroffene Kind jedoch infolge der überdosierten (kumulativen) Wirkung der Medikamente an einer Lungenentzündung. Bei einzelnen Krankheitsbildern - wie dem von Karl Heinz - erfolge der Tod auf Grund des Entzugs der Medikamente, so wurde zum Beispiel bei Epilepsie vorsätzlich ein Status epilepticus ausgelöst. [169]


Das Drama um die Beerdigung

Mit dem Tod von Karl Heinz Kempken ist seine Geschichte noch nicht zu Ende. Am selben Tag (17. 06.) teilte man den Eltern von Karl Heinz per Telegramm mit:

"Kind Karl Heinz heute gestorben" – Nervenklinik für Kinder Wien"

Nach seinem Ableben wurde er umgehend der Stätischen Leichenbestattung in Wien übergeben. Die Mutter von Karl Heinz bat umgehend das Wiener Bestattungsamt, ihren Sohn zu überführen, um ihn in Homberg zu begraben. Seitens der Familie wurden zunächst 150 Reichsmark und wenige Tage später - unter Zeugen - weitere Überführungskosten von 600 RM überwiesen. Doch das Amt in Wien teilte Frau Helene Kempken am 03. 07. mit, dass wohl 150 RM überwiesen worden seien, jedoch die 600 RM nicht. Deshalb habe man das Kind am 02. 07. aus "sanitären Gründen" auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigt. Am 20. 07. wurde vom selben Amt nochmals erklärt, dass der Betrag von 600 RM nicht angekommen sei. Und es heißt dort weiter: "Im Übrigen wurde Ihr Kind sehr würdig und anständig begraben, insoweit die RM. 150.- gelangt haben." Ich grüße Sie mit Heil Hitler! (Stempel/Unterschrift) [170]


Karl Heinz Kempken wurde zweimal beerdigt.

Einmal 1943 in einem Massengrab in Wien. Am 28. April 2002 wurden auf dem Zentralfriedhof in Wien die sterblichen Überreste von 600 ermordeten Kindern, die der Euthanasie in der Nervenklinik "Am Spiegelgrund" zum Opfer gefallen waren, beigesetzt. Zu den Betroffenen gehörten auch ehemalige Patienten des Josefshauses in Hardt/Mönchengl. Konserviert in Formalin lagerten - bis in die Mitte der 90er Jahre - die Gehirn-Präparate der Spiegelgrund-Opfer im Keller "Am Steinhof". Dazu gehörte auch Karl Heinz. "Aus dem Dunkel des Vergessens befreit, wurden sie nun würdig bestattet." (Ehrengrabmal Zentralfriedhof Wien [171]


Die Sühne für begangenen Verbrechen

Ernst Illing

Ernst Illing war Gauhauptstellenleiter für Propaganda im Rassenpolitischen Amt der NSDAP. Ihm unterstand die Kinderfachabteilung "Am Spiegelgrund". Er war mitverantwortlich für den Tod von mindestens 789 behinderten und/oder verhaltensauffälligen Kindern. Als Mittäter war Illing darüber hinaus auch aufgrund der Verabreichung todbringender Medikamente in etwa 200 Fällen zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wurde durch Hängen im November 1946 vollstreckt. [172]

Heinrich Gross

Heinrich Gross konnte seine Nachkriegskarriere auf der während der NS-Zeit entstandenen Gehirnsammlungen aufbauen, die er für 34 wissenschaftliche Arbeiten heranzog. Er wurde der meistbeauftragte Gerichtspsychiater Österreichs. Wegen übler Nachrede bezüglich angeblich begangener Ermordung von Hunderten von Kindern strengte er 1979 einen Prozess an. Vor dem Oberlandesgericht in Wien konnte ihm die Mitbeteiligung an den "Euthanasie-Morden" nachgewiesen werden. (Gross war mittlerweile der Mehrheitspartei in Österreich, der SPÖ, beigetreten und hatte innerhalb der Partei Karriere gemacht.) Die Staatsanwaltschaft plädierte auf Todschlag, und Todschlag war verjährt. Doch 1997 kam es erneut zu einer Mordanklage. Die Verhandlung gegen ihn sollte am 21. März 2000 stattfinden. Doch er wurde für verhandlungsunfähig erklärt und die Verhandlungen für unbestimmte Zeit aufgeschoben. Er stab 2005, 90-jährig. [173]

Marianne Türk

Marianne Türk nahm Anfang 1941 in der neu gegründeten Wiener Kinderfachabteilung "Am Spiegelgrund" ihre Tätigkeit auf. Bei ihrer Vernehmung beim Volksgericht Wien am 16. Oktober 1945 gab die Medizinerin an, dass sie sich weder für Politik interessiere noch einer politischen Organisation angehört habe. Die Entscheidung über die Tötung unwerten Lebens sei in Berlin getroffen worden. Türk bezifferte die Anzahl der getöteten Kinder mit sieben bis zehn pro Monat. Meist erteilte Illing lediglich die Anweisungen an Marianne Türk, welche die Krankenschwestern informierte. Diese verabreichten dann lediglich die Medikamente. "Ich habe auch manchmal Injektionen gegeben. An wie vielen Kindern ich es persönlich getan habe, weiß ich nicht."

Das Gericht wertete allerdings eine gewisse Abhängigkeit Marianne Türks ihrem Vorgesetzten Illing gegenüber als strafmildernd. Deshalb erhielt Frau Türk nur eine zehnjährige Freiheitsstrafe. Während ihrer Haftzeit stellte sie mehrere Gnadengesuche. Nachdem sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes für haftunfähig erklärt wurde, erfolgte am 23. Dezember 1948 eine vorläufige Aussetzung des Vollzugs auf Bewährung. Die Reststrafe wurde ihr 1952 erlassen. Sie arbeitete nicht mehr als Ärztin. Sie bekam aber 1957 ihren aberkannten Titel eines "Doktor der Medizin" zurück. Sie starb am 11. Januar 2003, 89-jährig. [174]

Kindereuthanasie in der NS-Zeit: Bilanz des Grauens

Mit der Kindereuthanasie im Jahr 1939 wurde die Tötung erbkranker und geistig oder körperlich beeinträchtigter Säuglinge und Kinder eingeleitet. Zur Ermordung der Betroffenen wurden 37 Tötungsstätten im Deutschen Reich eingerichtet. Es wurden mindestens 5.000 Kinder getötet. (Die Dunkelziffer wird auf weitere 5.000 Morde geschätzt.)


"Die Rheinlandbastarde"

Zwangssterilisierungen von Kindern nach dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" sind nicht bekannt. Aber es gab die Zwangssterilisation aus Gründen der Hautfarbe: Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg (1914/18) hatten die alliierten Siegermächte das Recht (Friedensvertrag von Versailles), die linksrheinischen Gebiete zu besetzen. Die Besetzung des Rheinlandes dauerte bis zum 30. Juni 1930 (Young-Plan) an.

Die während dieser Zeit geborenen deutschen Kinder, die aus der Verbindung schwarzer französischer Soldaten mit deutschen Frauen hervorgegangen waren und keinerlei Behinderungen aufwiesen, wurden von den Nazis-Behörden erfasst und bis 1937 – ohne gesetzliche Grundlage – als so genannte "Rheinlandbastarde" der Zwangssterilisation zugeführt. "Als "Schwarze Schmach" stellten sie eine Gefahr für die Rassenreinheit der deutschen Volksgemeinschaft dar." Von dieser illegalen Maßnahme waren etwa 400 dunkelhäutige Kindern und Jugendliche betroffen. In der Literatur wird jedoch auch von der doppelten Zahl der geschätzten Fälle gesprochen. [175]

II. Die Erwachseneneuthanasie

Nachdem die Rassen- und Erbgesundheitspolitik der NSDAP (s. S. 2) den Rang einer Staatsdoktrin erlangt hatte, wonach geistig Verwirrte, körperlich Behinderte, seelisch Erkrankte und/oder mit sozialen Defiziten behaftete Menschen keinen Verbleib in einer arisch definierten Volksgemeinschaft haben konnten, wurden Maßnahmen ergriffen, die eine erbgesunde Volksgemeinschaft im Sinne einer Herrenrasse aufzuzüchten in der Lage war. Dazu gehörte die Zwangssterilisation.


Die Zwangssterilisation im Vorfeld der Euthanasie

Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 (s. S. 1) sah zunächst die freiwillige Entscheidung der Betroffenen oder ihrer gesetzlichen Vertreter vor. Doch durch die Errichtung von Erbgesundheitsgerichten war die Sterilisation auch ohne Einwilligung der Kranken und Behinderten legalisiert geworden. Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Möglichkeit leiteten die Nazis die Zwangssterilisation ein, die letztlich die Vorstufe zur Erwachseneneuthanasie bedeutete. [176] Man postulierte gegenüber der Öffentlichkeit, dass durch Sterilisation die Vererbung von Geisteskrankheit und schweren Erbleiden nicht nur zu verhüten sei, sondern diese auch als eine Tat der Nächstenliebe und Vorsorge für kommende Generationen betrachtet werden müsse. [177]

"Sterilisiert werden durfte nur von Ärzten in festgelegten Krankenanstalten." [178] "Die Provinz-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau (Kreis Kleve) war die einzige rheinische Provinzialanstalt, die zu Sterilisationen autorisiert war, da sie über die nötigen Operationssäle verfügte." [179]


Ein "historischer Glücksfall" im Kreis Moers

"Auch im Kreis Moers wurden nachweislich Zwangssterilisationen durchgeführt. Zu denen im Jahr 1935 festgelegten 49 Krankenanstalten im Regierungsbezirk Düsseldorf gehörten das Krankenhaus Bethanien in Moers und ab 1936 das Bertha-Krankenhaus in Rheinhausen.

Die Durchführung von Sterilisationen hatte bereits 1934 begonnen, aber erst im Jahr 1935 setzte ein geordnetes Berichtswesen ein. Das ist der Grund weshalb über die Fälle in den Krankenhäusern Bethanien und Bertha präzise berichtet werden konnte, weil sie in Archiven erhalten geblieben sind. Historiker sprechen deshalb heute von einem "historischen Glücksfall". In der Zeit von 1935 – 1941 wurden hier nachweislich 308 Menschen - meist im Krankenhaus Bethanien - zwangsweise sterilisiert. [180]


Waren Homberger Bürger betroffen?

Bedauerlicherweise ist in den Krankenakten die lokale Herkunft der Patienten nicht vermerkt worden, sodass eine differenzierte Zuordnung zu den Heimatadressen nicht erfolgen konnte. Homberg war in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre - nach Moers und Rheinhausen - die drittgrößte Stadt im Kreisgebiet mit etwa 27. 000 Einwohnern. Demnach müssen nach der statistischen Wahrscheinlichkeit mehrere Dutzend Homberger Bürger*innen der Sterilisation zum Opfer gefallen sein. (Diese These wird nachfolgend faktisch belegt.)


Proteste gegen die Zwangssterilisation

In der frühen Anfangsphase (1934) der Sterilisation waren in Deutschland offensichtlich auch "beliebige Ärzte" am Sterilisationsprogramm beteiligt. "Es kam infolge der rüden Behandlungsmethoden zu zahlreichen Todesfällen." Dazu gehörten z. B. zahlreiche Sterilisationen, die trotz bestehender Schwangerschaft durchgeführt wurden. Aufgrund der propagandistisch ausgeschlachteten Veröffentlichungen über die Gesundung des Volkes durch das Sterilisationsprogramm und der nicht geheim zu haltenden Todesfälle kam es zu Missstimmungen und Protesten im Volk.

Die Stimmungslage in Moers unterschied sich deutlich abgeschwächter von der Protesthaltung im Reich: In einem Bericht vom 2. 11. 1935 über Hetze gegen das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ist von Dr. Enke, Kreisbeauftragter für Rassenpolitik im Kreis Moers, in einem Bericht an den Regierungspräsidenten vermerkt: " Nach der Mitteilung der Kreisleitung der NSDAP Moers wurde außer der Kanzelpropaganda der katholischen Kirche keine Propaganda gegen dieses Gesetz wahrgenommen. Bei der Durchführung der Sterilisierungsanträge ist bisher nur in einem Falle die polizeiliche Vorführung einer Unfruchtbarzumachenden notwendig gewesen." [181]

Bis 1938 gingen jährlich bis zu mehr als 200 neu erstattete Anzeigen ein, und zwar von den Personen, die dazu von den Nazis verpflichtet worden waren, wie z. B. Ärzte, Zahnärzte, Psychiater, Krankenschwestern, Masseure und Hebammen. [182] "Das ärztliche Berufsgeheimnis wurde hierfür außer Kraft gesetzt, und unter jenen Gruppen nahmen hauptsächlich frei praktizierende Ärzte die Anzeigepflicht wahr. Mit der Neuauflage des Gesetzeskommentars wurde 1936 die Anzeigepflicht "ungeheuer verschärft." [183] Bei Weigerung oder Widerstand gegen die ärztliche Untersuchung waren bereits im Mai 1934 die Amtsärzte angewiesen worden, "nötigenfalls polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen". Eine weitere Form des Polizeieinsatzes war die Fahndung nach Betroffenen, die sich dem Prozess durch Flucht zu entziehen suchten. Schließlich wurde die Polizei zur zwangsweisen Einlieferung in eine psychiatrische Klinik eingesetzt. [184] Durch die Häufung der Widersprüche bei Anzeigen waren die Gerichte zeitlich überfordert. Die Anzeigen verblieben in den Archiven zur späteren Aufarbeitung.

"1939 erreichten die Zwangsmaßnahmen ihren Höhepunkt im Kreis Moers:
92 Personen wurden sterilisiert, auch Taube und Hüftgelähmte waren darunter. Die Kosten mussten übrigens die Familien selber tragen. Es sind aber auch einzelne Fälle bekannt geworden, dass sich Frauen - wie ein Fall aus Meerbeck im Jahr 1938 belegt - dem Zugriff durch Flucht ins Ausland entzogen. [185]
Die Summe der Proteste gegen die Willkür der Zwangsmaßnahmen durch das nationalsozialistische System war unüberhörbar geworden, im Deutschen Reich wie im Ausland.


Der schwache Widerstand und seine Folgen

Es gab am Niederrhein - wie im Rheinland - keinen wirksamen Widerstand, der den Betroffenen eine Hilfe hätte sein können. Es gab wohl Proteste, "die sich allerdings nicht direkt gegen das Gesetz richteten sondern gegen seine Zwangsanwendung auf die eigene Person". Man vertrat die Meinung, dass "das Gesetz für andere gemeint sein könnte, nämlich "wirklich" Geisteskranke, Erbkranke und auf Kosten der Allgemeinheit Lebende". "Die Proteste verursachten in den Jahren 1936 – 39 einen heftigen Streit unter führenden Nationalsozialisten über Sinn, Unsinn und Wahnsinn der Sterilisationspolitik". Der quantitative Rückgang der Sterilisationen ab 1937/38 war hauptsächlich dem politischen Erfordernis zuzuschreiben, um den Widerstand, die wachsenden Zweifel an der Berechtigung des Staates, überhaupt solche Maßnahmen zu treffen, zu kanalisieren. Nicht zuletzt waren auch zahlreiche behinderte Mitglieder der NSDAP und ihre Familien unter den Kritikern. – Ein behinderter Nationalsozialist saß im Machtzentrum des NS-Regimes: der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Josepf Goebbels. Er hatte von Kind an einen Klumpfuß. Eine der häufigsten Missbildungen bei Jungen. In seinen Hetzreden wurde diese Art der Behinderung nie erwähnt. – Die taktische Neuausrichtung der Zurückhaltung hatte nicht lange Bestand, denn die radikalen Rassenhygieniker hatten bereits die Erbkranken und Minderwertigen als Gruppe definiert, die auszumerzen und auszurotten sei. Ihr Credo: " Von der sterilisationspolitischen "Kultur des Messers" führt ein gerader Weg zur "Vernichtungsarbeit" von Menschen."[186]


Die Gesamtzahl der Sterilisationen

Die Forschung nach Fallzahlen von Sterilisationen im Deutschen Reich ist äußerst schwierig, weil "die Gesamtzahl der Sterilisationen, die bis 1945 nach dem Gesetz vom 14. Juli 1933 vorgenommen wurden, nicht bekannt ist. Der Grund liegt darin, dass Hitler im Mai 1936 ihre Veröffentlichung verbot, da sie außerhalb Deutschlands Sturm und in Deutschland beträchtliche Unruhen verursacht hatten; hinzu kam, daß ein Sterilisationsrichter aus den besonders hohen Hamburger Zahlen auf das gesamte Reich schloß und dabei auf 180.000 – 200.000 Sterilisationen für das Jahr 1934 kam. Hitlers Verbot nahm die strengen Geheimhaltungsmaßregeln bei der Euthanasie-Aktion und den weiteren Massenmorden im Ansatz vorweg.[187]

Die Anzahl der eingeleiteten Sterilisationsverfahren, - beschlüsse und -operationen in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 können nur geschätzt werden. Nach den Hochrechnungen einiger Ministerien der Bundesrepublik und zahlreicher Forscher im In- und Ausland dürften die Sterilisationen zwischen 1934 und 1945 etwa 360.000 Menschen betroffen haben. Zusammen mit den Sterilisationen in den eroberten Gebieten nach Beginn des Krieges erhöht sich die Zahl auf 400.000 Menschen. Hunderttausende von zurück- oder eingestellten Verfahren warteten auf ihre Behandlung bis nach dem "Endsieg". [188]


Die Aktion T4 – Rassenhygiene durch Vernichtung

Die nationalsozialistische Perversion der Vernichtung "unheilbar Kranker" fand ihren ersten Höhepunkt mit dem Ermächtigungsschreiben Hitlers vom 1. September 1939, in dem er verfügte, "dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranke bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod ("Euthanasie") gewährt werden kann". Der Deckname "Aktion T4", nach der Anschrift Tiergartenstr. 4 in Berlin benannt, wurde regelmäßig verwendet, um den nun stattfindenden Massenmord zu vertuschen. [189]

"In der Tiergartenstraße 4 befand sich der Hauptsitz der Aktion. Von hier aus wurde die Tötung von Tausenden Kranken und behinderten Menschen entschieden und organisiert. Schon 1939 wurden an alle in Frage kommenden Pflegeheime und Anstalten im Deutschen Reich Meldebogen versandt. Der ausgefüllte Meldebogen erfasste die Krankengeschichte, die Aufenthaltsdauer, die Arbeitsfähigkeit und die Heilsaussichten.

Das eigentliche Ziel der Befragung war den Anstaltsleitern jedoch zunächst nicht bekannt. Anhand der Meldebögen entschieden dann die Gutachter in Berlin (s. Kindereuthanasie), ob die Betroffenen leben durften oder sterben mussten. Fiel die Entscheidung auf Tod, dann wurden sie zunächst zu Zwischenanstalten transportiert. Das Personal der Ausgangsanstalt kehrte wieder zurück.

Erst danach wurden die Patienten zu einer der sechs mit Krematorien ausgestatteten Tötungsanstalten transportiert (Anm.: Anstalten Grafeneck, Hartheim, Sonnenstein, Brandenburg, später Hadamar für Grafeneck und Bernburg für Brandenburg), wo sie der Tod durch Vergasung oder Giftspritze erwartete.[190] Durch dieses zeitliche gestufte Verfahren sollte der Todesort und der Todeszeitpunkt der Morde geheim gehalten werden.

(Anm.: Das Gas wurde von den "IG Farben Ludwigshafen" geliefert. Das Zahngold verarbeitete die Firma "Degussa". Die Gehirne wurden im Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin und im gleichnamigen Institut für Psychiatrie in München (beide heute Max-Planck-Institute) untersucht.)

Zwischen September 1939 bis August 1941 (offizielle Zeitspanne der Erwachseneneuthanasie) ermordeten die Nazis mehr als 70.000 Kranke und Menschen mit Behinderungen. Die Leichen äscherten sie ein. So konnten die Angehörigen keine Obduktion veranlassen. Zudem versandten sie Schreiben, in denen sie eine falsche Todesursache und einen falschen Todesort angaben.

Obwohl sich die Nazis bemühten, die "Aktion T4" geheim zu halten, gerieten ihre Verbrechen bald an die Öffentlichkeit. Die Mehrheit der Bevölkerung war empört. Auch Mitglieder der Kirche protestierten gegen das menschenverachtende Vorgehen der Nazis – allen voran Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster.

Mit dem wachsenden Protest, vor allem auch aus dem Ausland, sahen sich die Nazis gezwungen, die "Aktion T4" im August 1941 offiziell einzustellen. Im Geheimen gingen die Tötungen jedoch bis zum Kriegsende weiter.[191]


Die Aktion Brandt - Phase der "wilden Euthanasie"

Mit der "Aktion Brandt", benannt nach dem Bevollmächtigten für das Sanitäts- und Gesundheitswesen und Leiter des medizinischen Vorrats- und Versorgungswesens, wurden ab 1943 Heil- und Pflegeanstalten für den infolge des zunehmenden Luftkriegs steigenden Bedarf von Ausweichkrankenhäusern in Beschlag genommen. Die Patienten wurden in besonderen Anstalten konzentriert. Durch gezielte Tötung mit überdosierten Medikamenten oder durch den Tod durch Unterernährung wurde deren Zahl immer weiter gesenkt. Diese Phase nach dem "offiziellen" Ende der "Euthanasie" im August 1941 wurde in den ersten Jahrzehnten nach dem Kriegsende als "wilde Euthanasie" bezeichnet und bedeutete die Ermordung von weiteren etwa 30.000 Menschen. [192] Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass zu den Ermordeten zahlreiche Heeressoldaten gehörten, die aufgrund der im Ersten Weltkrieg erlittenen schweren traumatischen Störungen in Heilanstalten lebten und bei deren Auflösung zur Ermordung in die Tötungsanstalten deportiert wurden.[193] War das der "Dank des Vaterlandes"?


"Rechtfertigung für die Massenmorde" durch die Nazis

Die Nazis fanden unterschiedliche Rechtfertigungen für die Massenmorde. Hitler bezeichnete sie einmal als "Gnadenakt" oder auch als "Akt der Erlösung". Oftmals propagierten die Nazis in diesem Zusammenhang auch eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Wer nicht arbeitsfähig war, war im volkswirtschaftlichen Sinne nutzlos. Auf einem Propagandaplakat der NSDAP hieß es (s. Deckblatt):
"60.000 RM (Reichsmark) kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit. Volksgenosse, das ist auch dein Geld"[194]


Die Erwachseneneuthanasie in Bedburg-Hau und Grafenberg

Ab 1939 wurde die Durchführung der Erwachseneneuthanasie energisch angepackt: psychisch Kranke, Behinderte und einfach Abgeschobene fielen in Deutschland dem "Gnadentod" zum Opfer. Auch über die bekannten Anstalten/Psychiatrien wie Bedburg-Hau und Düsseldorf/Grafenberg (im Rheinland) führte der Weg der "Lebensunwerten" in die Vernichtungslager [195], wenn sie nicht in den Aufnahmeanstalten oft schon nach kurzer Zeit starben. Das lag vor allem daran, dass ab August 1935 Dr. Arthur Trapet Anstaltsdirektor in Bedburg-Hau wurde, der sich zunehmend in den Dienst der NS-Rassenideologie stellte.[196]

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges (1. September 1939) hatte zunächst nur geringe Auswirkungen auf die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt. Im November 1939 wurden 356 Patienten verlegt, um Platz für ein Heereslazarett zu schaffen. Nach der Verlegung in östlicher gelegene Heilanstalten begann die Tötung erster Patienten im Frühjahr 1940. Das Tötungsprogramm [die Zwangseuthanasie] der Nationalsozialisten "Aktion T4" nahm Fahrt auf. Insgesamt kommen 174 Opfer aus dem Altkreis Moers in Betracht.[197]


Der Fall Wenzel M. aus Homberg

Während 34 Betroffene direkt aus Moers kamen, handelte es sich bei den restlichen 144 Personen um Menschen, die überwiegend in Rheinhausen, Homberg, Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn beheimatet waren. Nur von fünf Personen gibt es präzise Ortsdaten. Eine Recherche zur Person Wenzel M. aus Homberg brachte folgende Tatbestände ans Licht:
Wenzel M. soll mit weiteren 10 Männern am 22. 11. 1939 von Bedburg-Hau nach Hildesheim [Zwischenanstalt] gebracht worden sei. Im Aufnahmebuch ist weiter vermerkt, dass die gesamte Gruppe von dort am 14. 3. 1941 nach Waldheim/[Sachsen] verlegt worden sein soll. Drei dieser Männer starben in Waldheim selber, die restlichen wurden in die Vernichtungsanstalt "D", Pirna-Sonnenstein/[Sachsen] gebracht und dort vergast.

Aus den Unterlagen konnte nicht bestimmt werden, ob Wenzel M. in Waldheim oder in Pirna-Sonnenstein starb. Eine Krankenakte zu seiner Person mit einer Beschreibung der Behinderung konnte ebenfalls nicht gefunden werden. Das NS-Prinzip der Vertuschung ist auch in diesem Fall aufgegangen. [198]

Was die Krankenakte einer behinderten Person an Informationen okumentierte, kann am Beispiel der Sophie H. aus Moers dargestellt werden:
"Sophie H. war am 10. 05. 1886 geboren worden und in Moers verheiratet mit ihrem Ehemann Friedrich. In der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau wurde sie am 31. 3. 1924 aufgenommen. Die Diagnose lautete Schizophrenie. Sie wurde als erbkrank eingestuft und letztlich auch deswegen angezeigt. Eine Sterilisation hingegen wurde nicht beantragt, unter anderem, da sie als zu alt eingestuft wurde. Zu ihrer Zeit in Bedburg-Hau wurde Sophie als wenig zugänglich, autistisch und mit negativer Haltung wahrgenommen. Sie habe ein zerfahrenes Wesen, sei laut, gereizt, erregt, wüst und lärmend. Im Allgemeinen sei sie "Tag und Nacht störend" gewesen. Auch äußerlich soll sie nur sehr wenig geordnet gewesen sein. Mehrfach wurde notiert, dass sie keinen Sinn für Ordnung oder Redlichkeit habe. Zudem soll sie sehr lebhaft halluziniert haben und "dann gar nicht mehr ansprechbar" gewesen sein. Auch Stimmen soll sie gehört haben. Sie führe oft Selbstgespräche oder rede und schimpfe in verworrener Weise vor sich hin. Dabei würde sie läppisch lachen, grimassieren und oft in eine Richtung gestikulieren. Man ging daher davon aus, dass sie auch unter Wahnideen litt. Immer wieder musste Sophie H. zum Essen angehalten werde. Oft ist vermerkt, dass sie wegen mangelnder Nahrungsaufnahme an Gewicht verlor oder körperlich schwach war. Gleichzeitig soll sie dazu geneigt haben, ihre Mitkranken die Lebensmittel wegzunehmen. Allerdings war ihr Verhältnis zu ihren Mitkranken eher unstet. Neben des Nahrungsklaues soll sie auch dazu geneigt haben, sich fremdes Eigentum anzueignen, da sie sich selber als benachteiligt angesehen haben soll. Darüber hinaus küsste sie ihre Mitkranken ungewollt ab, oder versuchte sie zu schlagen. Diese "impulsiven Gewalthandlungen" richteten sich nicht nur gegen ihre Mitkranken. Auch einen Arzt soll sie versucht haben zu schlagen, "da er nicht(dort)hin gehöre". Immer wieder ist in ihrer Krankenakte von Drohgebärden und unvermittelten Angriffen auch gegenüber den Pflegern die Rede. Insgesamt neun Mal wurde Sophie H. innerhalb der Anstalt Bedburg-Hau verlegt. Meistens wird als Begründung "Platzmangel" genannt aber auch ihre dauerhafte als störend empfundene Art wurde als Grund genannt. Am 22. 11. 1939 wurde Sophie H. "zur weiteren Behandlung und Pflege der Heilanstalt zu Hildesheim zugeführt."[199]

In der Krankenakte heißt es dann weiter:
"In Hildesheim änderte sich die Wahrnehmung über sie nicht. Dort heißt es ebenfalls, dass sie eine unruhige und aggressive Kranke sei. Gänzlich unzugänglich, mürrisch, zerfahren und unruhig. Sie sei "eine der unruhigsten und widerstrebendsten Kranken", die weder ansprechbar, noch beeinflussbar sei. Zudem würde sie sich überhaupt nicht beschäftigen.
Am 8. 4. 1941 wird Sophie H. von Hildesheim aus nach Eichberg [in Hessen] verlegt. Der einzige Eintrag in jener Zeit lautete: "Zustand unverändert. Siehe Rapportbogen. Verlegt in eine andere Anstalt."
Damit endet Sophies Krankenakte, ohne einen Vermerk oder einen Hinweis auf den Tod. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass Sophie H. ein Opfer der "Aktion T4" wurde. Sehr wahrscheinlich wurde sie, wie 27 weitere Frauen aus ihrem ursprünglichen Transport aus Bedburg-Hau, von Eichberg aus in die Tötungsanstalt Hadamar [in Hessen] gebracht."[200]

Anm.: Im folgenden Text der Masterarbeit wird von Hanna Stucki an zahlreichen Beispielen von Transporten behinderter Anstaltspatienten aus Bedburg-Hau und Grafenberg zu Zwischenanstalten berichtet. Von allen Patienten, die durch die Zwangseuthanasie zum Opfer wurden, ist der Ort der Tötung nicht benannt, da Angaben dazu (fast) nie schriftlich festgehalten wurden.

Elisabeth Janzen aus Homberg wurde in Wien getötet Elisabeth Janzen wurde am 23. Februar 1919 in Homberg geboren. Sie litt an Rachitis. Ende 1944 wurde sie im Alter von 25 Jahren in einer Pflegeanstalt in Fischbach/Weierbach [Rheinland-Pfalz] untergebracht. Noch im selben Jahr verlegte man sie in die "Wagner-von-Jauregg-Pflegeanstalt" der Stadt Wien/Österreich. Dort starb sie am 1. Januar 1945.

Das Telegramm an die Familie hatte folgenden Wortlaut:
"Herrn Heinrich Janzen Homberg/ Rhein, Bruchstrasse 308

Auf ihr am 29. v. [vorigen] M. [Monat] hier eingelangtes Schreiben vom 12. v. M [Dez. 1944]. wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihre Tochter Elisabeth am 1. Jänner d. J. [1945] an einer schnell verlaufenden Lungenentzündung verstorben ist. Infolge des schnellen Krankheitsverlaufes konnten Sie von dem bedrohlichen Zustand nicht mehr verständigt werden.
Die Leiche wurde am Wiener Zentralfriedhof beerdigt und ist die Grabstelle [Massengrab] bei der Friedhofsverwaltung zu erfragen. Bezüglich der Sterbeurkunde bitte sich an das … zu senden."
Der ärztliche Direktor:
gez. Dozent Dr. H. Bertha

Anm: Von der Dokumentationsstelle Hartheim in Alkoven/Österreich teilte man mir mit, dass "die Anstalt Am Steinhof 1941 umbenannt wurde in LNK Wagner-Jauregg. Das ist aber nicht allgemein bekannt."[201]

50 NS-Euthanasie-Opfer aus Homberg belegt

Nicht nur die Ermordung des Kindes Karl Heinz Kempken aus Homberg fand an der Wiener Anstalt "Am Steinhof" statt. Auch die Erwachsene, Frau Elisabeth Janzen, wurde in Wien Opfer der NS-Rassenideologie. Die beiden dokumentierten Beispiele sind eine Ergänzung zu den untersuchten Personen aus dem Altkreis Moers durch Hanna Stucki in ihrer Masterarbeit "Die Opfer der nationalsozialistischen Zwangseuthanasie aus Moers" (Juli 2019).

In ihrem "Fazit" (S. 62ff) wird dargelegt, dass von 305 betrachteten Patienten[*innen] im Altkreis Moers sich etwa dreimal so viele "Fälle" in der Heil- und Pflegeanstalt in Bedburg-Hau befanden im Verhältnis zu Düsseldorf- Grafenberg (genau 224 : 81).

Die Patienten kamen größtenteils aus Rheinhausen, Homberg, Neukirchen-Vluyn und Moers und grundsätzlich eher aus Arbeitervierteln (z. B. Homberg-Hochheide, Moers-Meerbeck). Trotz der schwierigen Beweisführung durch Belege konnte der Tod von 168 Psychiatriepatienten (Altkreis Moers) aus den beiden Anstalten nachgewiesen werden.[202]

Über die Anstalten Bedburg-Hau und Grafenberg wurden behinderte und psychisch kranke Menschen ab März 1940 in Tötungslager nach Osten verbracht, wo sie im Rahmen der "Aktion T4" ermordet wurden. Nach dem Stopp der "Aktion T4" wurde in der Zeitspanne bis 1945 durch "wilde Euthanasie" in den Anstalten selbst getötet.[203]

Auf der Grundlage der augenblicklich zur Verfügung stehenden Quellenlage zu Euthanasie-Opfern aus Homberg kann bei namentlicher Kenntnis der Personen von 50 Personen ausgegangen werden. Davon waren 48 betroffene Personen Patienten der Heilanstalten Bedburg-Hau und Grafenberg, zwei Fälle sind aus Wien aktenkundig.


Auch Opfer in Baerl/Binsheim

Mit der kommunalen Gebietsreform in NRW im Jahr 1975 wurden die Stadt Homberg/Rhein und der Gemeindeteil Baerl/Binsheim der Gemeinde Rheinkamp mit der Stadt Duisburg "zusammengelegt".
Aus diesem Grund sollen auch die Fallzahlen der Moerser Studien zur Euthanasie für Baerl benannt werden: In Baerl waren es sechs Personen und in Binsheim eine Person.

Weitere Untersuchungen werden die Zahl der Opfer erhöhen. Damit aber würde die Trauer um die Schicksale der gedemütigten, gequälten, verstorbenen oder ermordeten Menschen durch den Nationalsozialismus nicht gesteigert werden können. Die NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden für immer unbegreiflich bleiben.

Den Opfern bleibt ein ehrendes Andenken

Verfolgung von Homosexuellen

in Bearbeitung

Zwangsarbeit

Hitlers rassistisches Kriegsziel

In seinem von 1924 bis 1926 verfassten politischen Bekenntnis Mein Kampf entwickelte Adolf Hitler seine Lebensraumpläne für die arische Rasse. Er rief dazu auf, dem deutschen Volk den "ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern". Maßgebend für diese Idee war Hitlers Glaube an eine überlegene Herrenrasse und an "Untermenschen", zu denen er auch die Slawen zählte.

Mit der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 hielt er konsequent an seiner Kriegszielvorstellung fest, dass eine germanische Besiedlung von Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches gerechtfertigt ist. Er folgerte: Solange die Sicherung und der Erhalt der Volksmasse und deren Vermehrung vorrangig verfolgt wird, liegt es im Interesse des Volkes, die Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis anzustreben. Diesen Lebensraum sah Hitler für die deutsche Volksgemeinschaft im Osten Europas, wo eine slawische, also eine rassisch minderwertige Bevölkerung lebte, deren Siedlungsraum erobert und wirtschaftlich ausgebeutet werden konnte. [204]

Hitler stellte die deutsche Volkswirtschaft bereits im Frieden zu Kriegszwecken um. Das System der "Wehrwirtschaft" sollte das gesamte Wirtschaftsleben den Aufrüstungszielen und dem Streben nach wirtschaftlicher Autarkie untergeordnet werden. Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935, unter offenem Bruch des Versailler Vertrages, verfügte die Wehrmacht zu Beginn des Zweiten Weltkrieges über 4,5 Millionen Soldaten. [205]

Nach den Recherchen des Wirtschaftswissenschaftlers und Militärhistorikers Rüdiger Overmans "dienten in der Wehrmacht in Heer, Luftwaffe und Marine 17, 3 Millionen Soldaten, zusammen mit der Waffen-SS waren es 18,2 Millionen Soldaten, die im Verlauf des Krieges eingezogen wurden und nicht gleichzeitig Dienst taten". [206]

Nach den anfänglich schnellen Siegen zu Beginn des Krieges ab 1. September 1939 und im Jahr 1940 (sog. "Blitzkriege" gegen Polen, Niederlande, Belgien und Frankreich) wurde der weitere zügige Vormarsch der deutschen Wehrmacht durch die Alliierten Truppenverbände verhindert; und so gingen die militärischen Kampfhandlungen zwangsläufig in einen Abnutzungskrieg über.

Der deutschen Bevölkerung wurde mit dieser Entwicklung des Kriegsverlaufes zunehmend bewusst, dass ihnen eine Zeit der Entbehrung und Not bevorstand.

Es fehlte sehr bald an notwendigen Ressourcen für die Rüstungsindustrie und für die Versorgung der Soldaten und der Zivilbevölkerung. Aber vor allem fehlten Arbeitskräfte. (Anm.: Im nachfolgenden Text sind immer Männer und Frauen gemeint.) Der Ruf nach "Ersatz aus den eroberten Gebieten" wurde immer lauter: Kriegsgefangene und sonstige aus dem Ausland angeworbene und arbeitsverpflichtete Männer und Frauen sollten einfache bis körperlich sehr anstrengende Tätigkeiten (z.B. im Bergbau) verrichten, und zwar unter dem Diktat der Zwangsarbeit.

"Über 12 Millionen Menschen leisteten im Verlauf des Zweiten Weltkriegs in Deutschland Zwangsarbeit", [207] um für industrielle Unternehmen in der Bauwirtschaft, im Handwerk, in der Landwirtschaft, für Bahn und Post, für kommunale Dienste (Städte und Gemeinden) und für kirchliche Einrichtungen zu arbeiten. [208]

Etwa zweieinhalb Millionen kamen dabei zwischen 1939 und 1945 im Deutschen Reich ums Leben. [209]

Zwangsarbeit – ein Tabu-Thema

"Kaum ein Thema aus der Geschichte der NS-Zeit und des Krieges wurde im Altkreis Moers so gründlich verdrängt, ja tabuisiert, wie das Schicksal der – zumeist sowjetischen – Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen. Dabei bilden diese mit mehr als 900 standesamtlich beurkundeten Todesopfern zahlenmäßig … die größte Opfergruppe überhaupt, noch weit vor der Zahl der von hier stammenden ermordeten Juden." [210]

Für die Lokalforschung wäre es grundsätzlich ein Idealzustand, wenn für jede Gemeinde Dokumente all dieser Teilbereiche der Nazi-Diktatur, wie z. B. das Thema der Zwangsarbeit, zur Verfügung stünden; die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Nicht allein der Befehls Himmlers, (Anm.: Reichsführer SS (Schutzstaffel) und Chef der dt. Polizei) vom Oktober 1944, alle schriftlichen Zeugnisse der Repressionen durch die GESTAPO und des Terrors gegen Regimegegner zu vernichten, erschwert bis heute die Forschungsarbeit über den Nationalsozialismus; auch bei den Behörden der Nachkriegszeit sind wichtige Dokumente "verloren" gegangen. [211]

"Besonders auffällig ist das Totschweigen der Schicksale der Arbeitssklaven in den Publikationen des Bergbaus und über den Bergbau: Rheinpreußen-Schachtanlagen, Friedrich Heinrich, Diergardt-Mevissen und Niederberg. Die Veröffentlichungen wurden in der Regel vom Stolz auf den vollbrachten technischen Fortschritt und die unternehmerische Leistung getragen.

Wenn in schriftlichen Veröffentlichungen ausländische Arbeitskräfte gemeint waren, dann sprach man von "bergfremden Hilfskräften", "fremden Arbeitskräften" oder "Zivilgefangenen", die für bestimmte Arbeiten eingesetzt wurden. [212]


Der Fall Rheinpreußen

Dieser Tatbestand wird auch am Beispiel der Festschrift von 1957 "Hundert Jahre Bergbau am linken Niederrhein" - Eine geschichtliche Entwicklung der Rheinpreußen AG für Bergbau und Chemie, Homberg" belegt. Ausführlich wird die Gründung des Bergbaus in Homberg-Hochheide durch den Ruhrorter "Industriebaron" Franz Haniel gewürdigt. Der Beitrag der ausländischen Arbeitskräfte an der Produktionsleistung Rheinpreußens während der Kriegszeit findet in der Festschrift allerdings keine Erwähnung. [213]

"Auf der linken Rheinseite mögen zwei Gründe für die besonders lange Verdrängung und Tabuisierung des Themas eine Rolle gespielt haben. Zum einen waren die Arbeits- und Lebensbedingungen auf der linken Rheinseite für die vielen Zwangsarbeiter im Bergbau – dem bei weitem dominierenden Wirtschaftszweig – besonders brutal.

Und zum anderen herrschte im Kreis Moerser Bergbau auch eine besondere personelle Kontinuität über die NS-Zeit hinaus. So bestimmte der frühere "Wehrwirtschaftsführer" und Leiter des "Russeneinsatzes" im gesamten Ruhrkohlebergbau, Heinrich Kost, noch nach dem Krieg die Geschicke des Bergbaus." [214]

Das Gremium "Russeneinsatz" ("Russenausschuss"), dem Heinrich Kost vorsaß, befasste sich mit der Frage der Leistungssteigerung des Bergbaus durch Einsatz von Russen im gesamten Ruhrkohlebergbau.

"Heinrich Kost, Generaldirektor der Gewerkschaft Rheinpreußen in Homberg, forderte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses für Leistungssteigerung des westdeutschen Kohlebergbaus alle Anstrengungen zu unternehmen, um bei den verantwortlichen Stellen die beschleunigte Zuführung von 20.000 "Ostarbeitern" durchzusetzen." [215]

Heinrich Kost war demnach über das unsagbare Elend russischer Kriegs- und Zivilgefangener informiert. Darüber hinaus trug er die Verantwortung für diese Personengruppe bei der Zeche Rheinpreußen für den Haniel-Konzern. Als Homberger Bürger und Mitglied der NSDAP gehörte er seit Oktober 1934 bis 1937 dem Homberger Rat an. (1937 zog er nach Kapellen/Moers um.)

Seine Verstrickung mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat in der Frage der Zwangsarbeit wurde nach dem Krieg in der Beurteilung seiner Gesamtpersönlichkeit offensichtlich verdrängt. Stattdessen erfuhr er für seine unternehmerischen Leistungen eine Vielzahl von Ehrungen.


Im Jahr 1960, anlässlich seines 70. Geburtstags, wurde Heinrich Kost die Ehrenbürgerschaft der Stadt Homberg verliehen. "Der Ratsbeschluss, die Urkunde und auch die Laudatoren bezeichneten ihn als großen Förderer der Stadt, besonders in der Nachkriegszeit.", [216]

Mit dem Rückblick auf sein Leben - aufgezeichnet auf einer Transkription vom Bochumer Bergbauarchiv - nimmt er auf 98 Seiten Text mit wenigen Zeilen Stellung zum Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Seine Rolle im "Russenausschuss" erwähnt er dabei nicht. [217]


Der Fall Sachtleben

Im Jahr 1997 wandte sich der Moerser Geschichtsverein " Erinnern für die Zukunft" an die Firma Sachtleben AG, um Unterlagen über die Zwangsarbeit bei der Homberger Chemiefirma während des Zweiten Weltkrieges für Forschungszwecke zu erhalten. (Anm.: Ziel des Vereins ist die Aufarbeitung der NS-Zeit im früheren Kreis Moers. Dabei ist die Thematik der Zwangsarbeit eines der Forschungsprojekte.)

Der damalige Pressesprecher der Firma, A. M. (Datenschutz), teilte in einem Telefongespräch am 17. 12. 1997 dem Verein mit, "dass die Firma der Thematik offen gegenüberstehe und bei der Aufarbeitung behilflich sein wolle." Er bestätigte auch, dass die vom Moerser Geschichtsverein genannten Nationalitäten der Fremdarbeiter stimmen würden und bei Sachtleben beschäftigt gewesen waren. Er führte aus: "Unterlagen oder Karteikarten hierüber existieren nicht mehr. Viele Unterlagen sind bei dem schweren Bombenangriff Ende 1944 verlorengegangen. Bauzeichnungen von Baracken oder div. Werksfotos von Zivil- oder Kriegsgefangenen aus dieser Zeit sind nicht vorhanden."

Über die Aufarbeitung aus der Kriegszeit durch die Fa. Sachtleben konnte er nichts sagen, dazu schickt er uns (Anm.: dem Verein) zwei verschiedene Jubiläumsschriften zu. [218]


Alle übrigen Homberger Unternehmen

Überwiegend in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts würdigten eine Reihe Homberger Unternehmen ihre unternehmerischen und wirtschaftlichen Leistungen durch Jubiläumsfestschriften. Die Thematik der Zwangsarbeit spielte dabei nie eine Rolle. Dem Freundeskreis Historisches Homberg liegen diesbezüglich folgende Festschriften von Firmen vor: Bauunternehmung Wilhelm Maas, Stielfabrik Peter Maaßen, Maschinenfabrik Schmitz Söhne, Mühlenwerke Küppers und Stock & Hausmann, Fleischfabrikanten Dietrich Hörnemann und Carl Heidtmann, Holzfabrik Gebr. Cloos sowie Textilfabrik H. Schulte.

Der Wandel

Erst in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts begannen bundesweit die ersten Großunternehmen und einzelne Betriebe ihre Dokumente zur Zwangsarbeiterbeschäftigung der Forschung zugänglich zu machen. [219]

Diese Informationen aber reichten in keiner Weise aus, um der Nachwelt einen realistischen Einblick zu verschaffen über die unwürdige Härte der Zwangsarbeit und über die Existenznöte der Menschen, die darunter zu leiden hatten.

Aufgrund dieser Tatsache war die Forschung zur Zwangsarbeit daher immer genötigt, stärker, als es bei anderen Themen erforderlich ist, auf Erinnerungsberichte von Augenzeugen - nicht nur von ehemaligen Zwangsarbeitern - zurückzugreifen. Leider haben in Homberg die Interviews (oral history 2014 - 2016) von Zeitzeugen oder von jüngeren Zweitzeugen, die noch vom Hörensagen z. B. in ihren Familien über Begegnungen mit Zwangsarbeitern hätten berichten können, kaum brauchbare Informationen gebracht.

Niemand aus der Vorkriegsgeneration schien die zivilen Fremdarbeiter wahrgenommen zu haben, die sie in Gaststätten, Einzelhandelsgeschäften, in Bergbau und Industrie antreffen konnten. Eine Reihe der Homberger Bürger lebte mit diesen Menschen hautnah zusammen, insbesondere dann, wenn die Fremdarbeiter als zivile Ausländer zur Untermiete wohnten. Aber auch im Straßenbild waren doch letztendlich Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu erkennen gewesen, wenn sie z. B. im Straßenbau oder beim Bunkerbau arbeiteten oder nach Bombenangriffen die Schäden reparierten.

Die Aussagen der befragten Zeitzeugen/Zweitzeugen endeten fast immer mit den Stereotypen: " Wir waren zu jung; wir haben darüber in der Familie nie gesprochen und vor allem: "Lasst doch endlich die Vergangenheit ruhen."

Der Durchbruch

Nach der Zusammenlegung der Stadt Homberg mit der Stadt Duisburg zum 1. Januar 1975 wurde der Aktenbestand "Bürgermeisterei und Stadt Homberg"… durch das Stadtarchiv Duisburg übernommen - unter der Bestandsnummer 22 Homberg - und seit 1983 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Bestand umfasst etwa 3.100 Akten, die überwiegend in der Zeit zwischen 1880 und 1955 entstanden sind. Aus dem Fundus dieser Akten lassen sich auch Daten und Fakten zur Zwangsarbeiter-Thematik herausfiltern. Dieser Aufgabe hat sich Dr. Michael A. Kanther vom Stadtarchiv Duisburg gestellt. Ihm ist in besonderem Maße zu danken, dass er im Rahmen seiner Forschungen über die "Zwangsarbeit in Duisburg 1940 – 1945", unter Einbeziehung des Homberger Bestandes 22, den Band 49 der Duisburger Forschungen 2004 publizierte.

Mit dieser wertvollen Grundinformation konnten weitere Publikationen als Quellen herangezogen werden, die halfen, das Profil der Geschichte der Zwangsarbeit in Homberg zu schärfen.

Der Zweite Weltkrieg: Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften in Homberg

"In der ersten Kriegsphase (1. September 1939 bis 1940/41) sind offenbar weder Kriegsgefangene noch zivile ausländische Arbeitskräfte nach Homberg gekommen, obwohl einige mittelständische Betriebe seit August 1940 mehrfach großes Interesse an Kriegsgefangenen bekundet hatten." [220]Ebd., S. 62, Anlage A

Dieses Ansinnen Homberger Unternehmer geht aus einem Brief hervor, der am 17. August 1940 vom Stielfabrikanten Peter Maaßen, Hochfeldstr. 5, an den Homberger NS-Bürgermeister Friedrich Sonnen gerichtet war. Es heißt dort:

"Nach meinen Erkundigungen würden folgende Firmen schnellsten Kriegsgefangene einstellen, wenn die Frage der Unterbringung und Verpflegung geklärt wäre.

Fa. J. H. Schmitz Söhne (Anm.: Maschinenbau) ..etwa 20 Mann

Fa. Gebr. Cloos, Sägewerk, Gerdt (Anm.: heute Haesen) etwa 10 Mann

Fa. Gertges & Co, (Anm.: Maschinenfabrik) ........etwa 12 Mann

Fa. Dietrich Hörnemann, Wurstfabrik ..................etwa 8 Mann

Fa. Peter Maaßen, Stielfabrik .............................etwa 10 Mann"

Ich nehme an, dass es auch sonst noch einige Betriebe in Homberg gibt, die ebenfalls Kriegsgefangene beschäftigen würden. Wie mir z. B. die Fa. Carl Heidtmann (Anm.: Wurst- und Fleischwarenfabrik) mitteilte, hat sie vielleicht auch Interesse daran.

Ist es möglich, dass die Stadtverwaltung einmal durch Rundfrage bei den Homberger Mittel- und Kleinbetrieben feststellen lässt, wie viele Kriegsgefangene untergebracht werden müssten.

Ich bitte Sie höflich, diese Angelegenheit doch schnellstens einmal zu bearbeiten. Die Beschäftigung von Kriegsgefangenen ist, wie mir von mehreren Betrieben gesagt wurde, tatsächlich dringend geworden, da es an Arbeitskräften mangelt.

Heil Hitler! (gez. Peter Maaßen)"

(Anlage A)

Der Brief war ein deutlicher Hinweis, was die Homberger Unternehmerschaft von ihrem Bürgermeister Friedrich Sonnen erwartete. Dass dieser Hinweis und zugleich auch Vorschlag von Peter Maaßen kam, war nicht von ungefähr.

Peter Maaßen war Mitglied der NSDAP und war bei den Kommunalwahlen 1938 zum Ratsherrn "berufen" worden. Aber er war nicht der einzige Parteigenosse im Stadtrat, der in Homberg unternehmerisch tätig war. Neben Peter Maaßen waren auch die Ratsherren Hugo Heidtmann, Kaufmännischer Leiter im Familienbetrieb Carl Heidtmann, und Ratsherr Dr. Walter Klingelhöfer, kaufmännischer Direktor der Sachtleben AG, einflussreiche Berater des Bürgermeisters.

Anm.: Die 14 Ratsherren des Homberger Gemeinderates wurden vom Bürgermeister laut Verfassung der Stadt "berufen". Sie hatten lediglich beratende Funktion gegenüber dem Bürgermeister.

Der Bürgermeister wiederum wurde von der NSDAP als "Beauftragter" eingesetzt. Nach dem in der Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 verankerte "Führerprinzip" entschied allein und in voller Verantwortung nur der Bürgermeister. [221] Die Zuführung von Zwangsarbeitern für die Stadt wurde vom Bürgermeister beim Arbeitsamt und Landratsamt in Moers beantragt.

Der Einsatzplan und die Verteilung der Arbeiter auf einzelne Betriebe geschah dann durch die Fachämter der Stadtverwaltung in Abstimmung mit den Kreishandwerkerschaften und den Bataillons- und Kompanieführern der Kriegsgefangenen-Einheiten, den so genannten Arbeitskommandos. [222]

"Bereits am 28. August 1940 trafen sich im Homberger Ratskeller (Anm.: Augustastr. 48) Vertreter der Stadtverwaltung und des Arbeitsamtes sowie Bauunternehmer und ein Schaufelstielfabrikant, die sich für den Einsatz von Kriegsgefangenen interessierten. Die Vertreter des Arbeitsamtes erläuterten dabei die arbeitsrechtlichen Aspekte. Die Unternehmer beantragten gleich die Zuweisung von 50 Gefangenen, und man faßte den Beschluß, die Bauunternehmung Maas mit dem Bau von Unterkünften zu beauftragen. Die Lager sollten von der Stadt verwaltet, jedoch nicht auch finanziert werden, wie es anderorts geschah." [223] und (Anlage B)

"Aber das Vorhaben scheiterte zunächst; Homberg wurden keine Kriegsgefangenen zugeteilt. Die mittelständischen Betriebe hielten jedoch ihre Anträge aufrecht und fragten 1941 und 1942 mehrfach bei der Stadtverwaltung nach dem Stand der Dinge.

Zu den Bittstellern nach billigen ausländischen Arbeitskräften gehörten nahezu alle wichtigen Industrie- und mittelständischen Unternehmen Hombergs:

  • Rheinpreußen AG für Bergbau und Chemie: Steinkohlenbergwerk und Chemie
  • Sachtleben AG für Bergbau und chem. Industrie: Lithopone-Fabrik
  • Rhenania: Rheinschiffahrts-Gesellschaft, Königstraße
  • Joh. Küppers Söhne, Mühlenwerk, Königstraße
  • Stock & Hausmann, Mühlenwerk, Moerser Straße
  • Wilhelm Maas o.H.G., Bauunternehmung, Schillerstraße
  • Johann Heckes, Putzwollfabrik, Duisburger Str. (Haesen)
  • Wilhelm Klapdahr, Schmiede, Autoreparaturwerkstadt, Friedrichstraße
  • Johann Leven, Schlosserei, Mittelstraße
  • Fritz von Werne, Holzhandel, Königstraße
  • Heinrich Hoff, Kohlen, Holz, Baumaterial, Friedrichstraße und weitere.

[224] und (Anlage C)


Die Lager in Homberg

"Die Stadtverwaltungen von Alt-Duisburg, Rheinhausen und Homberg beschäftigten nicht nur "eigene" Fremdarbeiter, sondern übernahmen auch die Unterbringung und Verpflegung von Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitskräften, die für kleine Unternehmen, besonders für Betriebe des Bauhandwerks, tätig waren." [225]

"Der Stadtverwaltung Homberg fehlten spätestens seit der Jahreswende 1941/42 Arbeitskräfte für die Wege- und Kanalunterhaltung, die Müllabfuhr und die Friedhofsarbeiten. Sie beantragten daher Kriegsgefangene, erhielten aber zunächst keine Zuweisung.

Im Verwaltungsbericht der Stadt Homberg 1938 – 1958 hält der damalige Stadtdirektor fest, dass bereits im Jahr 1940 (Anm.: wohl vorsichtshalber) ein Kriegsgefangenenlager in der Wirtschaft Möller in Essenberg (Wilhelmallee 14) eingerichtet worden war, aber nicht belegt wurde. Gleiches gilt für die Wirtschaft Gilbers in Essenberg, wo evtl. ein Kriegsgefangenenlager für 100 – 150 Personen eingerichtet werden könnte (Homberger Akte 22, 722). Auch hierüber gibt es keine weiteren Erwähnungen.

"Im Juni 1942 teilte das Arbeitsamt der Stadtverwaltung Homberg mit, daß weniger Kriegsgefangene als (vielmehr) zivile Ausländer als Arbeitskräfte für die Handwerks- und kleineren Industriebetriebe in Frage kämen." Und so kam es auch:

Im August 1942 wies das Arbeitsamt der Stadt Homberg 150 sowjetische Zivilarbeiter (Ostarbeiter), 110 Männer und 40 Frauen, zu, die in zwei Lagern, und zwar in der Wirtschaft Rheinblick (Anm.: am Hebeturm) und in einer von der Stadt gebauten Baracke auf dem Jahnsportplatz (Anm.: Rheinpreußenstr.) untergebracht wurden. Wie üblich kam die Stadt für Heizung, Beleuchtung und Wasserverbrauch der Lager auf, holte aber die Unkosten von den Einsatzunternehmen wieder herein. Auch die Wachmannschaften mußten von der Stadt gestellt werden." [226]

Auch das Krankenhaus "St. Johannes-Stift" in Homberg beschäftigte von September 1942 bis zum Kriegsende einige Ostarbeiterinnen (Anm.: Zivile Ausländerinnen aus Polen und/oder Russland) als Hausgehilfinnen oder als "Spülmädchen" in der Küche." [227]

In Homberg waren Kriegs- und Zivilgefangene überwiegend in Lagern untergebracht. "Die Zeche Rheinpreußen verfügte spätestens seit Mai 1942 über ein solches Lager auf dem Gelände der stillgelegten Schachtanlage III in Homberg-Hochheide, wo das Arbeitskommando 107 aus Krefeld- Fichtenhain "zuhause" war. Der Arbeitseinsatz war also nicht in Homberg. Die Nationalitäten des Arbeitskommandos sind unbekannt. Für den 31.7.1944 weist die Zentrale in Homberg für die linksrheinischen Rheinpreußenschächte IV und V, die beiden Pattbergschächte und das Treibstoffwerk Meerbeck gegenüber dem Krefeld-Moerser Bergamt 1.162 "sonstige Ausländer" und 2.186 sowjetische Zivilgefangene und Kriegsgefangene aus. [228]

"Erst zu Weihnachten 1942 kam die gewünschte Abhilfe in Gestalt von 25 sowjetischen Kriegsgefangenen, die von Ende Dezember 1942 bis zum 2. November 1944 von der Stadt Homberg "in eigener Regie" beschäftigt wurden. Das heißt, sie wurden für kommunale Arbeiten eingesetzt wie auch an Bauunternehmer überwiesen, wenn z. B. Bombenschäden zu beseitigen waren." [229]

Am 23. Januar 1943 trafen 140 französische Kriegsgefangene einer Arbeitskompanie ein, und zwar Bauhandwerker, die ebenfalls verschiedenen Bau- und Handwerksunternehmen zugeteilt wurden und u. a. Bombenschäden reparierten.

Ihre Quartiere waren zunächst die Säle des katholischen (Viktoriastr.) und des evangelischen Gemeindehauses (Kreuzstr.), danach zogen sie in die mittlerweile leeren Baracken auf dem Jahnsportplatz. Sie blieben dort, bis sie am 3. November 1943 nach Rheydt verlegt wurden. Wenige Tage später - am 10. November - erhielt Homberg Ersatz für die abgezogenen Arbeitskräfte, indem 187 französische Kriegsgefangene eines Arbeits- und Baubataillons aus Duisburg-Laar nach Homberg verlegt wurden. Die Aufgaben der Baukompanie gehörten sämtlich zum Bereich des Luftschutzes (z.B. Splitterschutzgräben, Kellerausbau, Feuerlöschteiche, Erdbunker). Die Stadtverwaltung teilte die Gefangenen zur Zwangsarbeit ein, und zwar auf sieben Betriebe in Homberg. [230]

Ab März 1943 arbeiteten die in der Baracke auf dem Jahnsportplatz wohnenden Ostarbeiter (Russen) unter anderem bei der Stielfabrik Peter Maaßen 14, ab Nov. 23 Leute, und bei der Maschinenfabrik J. H. Schmitz Söhne 12, ab Nov. 13 Leute.

Im April 1943 sind die Ostarbeiter aus dem Lager Jahnsportplatz in ein neues Quartier, in die "Schulbaracken" an der Ottostraße, verlegt worden." [231]

Im Februar 1944 hat eine Kompanie französischer Kriegsgefangener, beschäftigt bei "Luftschutzmaßnahmen der Stadtverwaltung, im Lager auf dem Jahnsportplatz in Hochheide gewohnt, das gleichzeitig – und wohl hauptsächlich – auch ein Ostarbeiter-Lager gewesen war." (s. April 1943)

Der Landrat in Moers (Anm.: Vorgesetzter aller Bürgermeister im Kreis) teilte dem Bürgermeister in Homberg am 26. 8. 1944 fernmündlich mit, dass mit der Zuteilung von 200 polnischen Kriegsgefangenen gerechnet werden kann. Die Unterbringung dieser Kriegsgefangenen müsse im Kriegsgefangenenlager Homberg auf dem Jahnsportplatz erfolgen, da das Lager in Moers zerstört sei. [232]

(Anm.: Über die Umsetzung dieses Vorgangs liegen keine weiteren Informationen vor.)

In einem für französische Kriegsgefangene geplanten Barackenlager neben der Schule am Kaiserplatz (heute BM-Wendel-Platz), das im Mai 1944 fertiggestellt wurde, lebten seit August 1944 italienische Militärinternierte. Sie waren Kriegsgefangene mit einem privilegierten Status. Demnach war das Barackenlager am Kaiserplatz in Konsequenz ein Kriegsgefangenenlager.

Allerdings nur von kurzer Dauer. Die italienischen Militärinternierten bekamen nämlich bereits nach vier Wochen den Status von zivilen ausländischen Arbeitskräften, und verfügten damit über viele Vergünstigungen bei der Arbeit und im Freizeitbereich. [233]

Die Überführung von Kriegsgefangenen aus anderen Ländern in den Status der Militärinternierten wurde von den Nationalsozialisten insbesondere bei Kriegsgefangenen der westlichen Länder (Belgien, Niederlande) sowie der alliierten Kriegsgegner (Frankreich, England, USA) öfter durchgeführt. Durch diese Statusänderung fielen sie nicht mehr unter den Schutz der Genfer Konvention für Kriegsgefangene. Bei sowjetischen/russischen Kriegsgefangenen wurde die Genfer Konvention einfach nicht beachtet. Sie waren als Slawen im Sinne der nationalsozialistischen Rassentheorie "Untermenschen".

"Die "zivilen Italiener" waren nach Disposition durch die Stadtverwaltung bei Handwerks-, Handels- und Speditionsbetrieben tätig. Zeitweilig wohnten 207 Italiener, die ebenfalls von der Stadtverwaltung auf Handwerksbetriebe verteilt wurden, im Lager der Schachtanlage III der Zeche Rheinpreußen, das sie sich mit 185 eigenen Arbeitskräften der Zeche teilen mußten." [234]

Anfang 1945 arbeiteten 213 "italienische Arbeiter", die der Stadtverwaltung "zur Beseitigung von Fliegerschäden… zugewiesen wurden und in einem "Gemeinschaftslager auf der Rheinpreußen Schachtanlage III untergebracht" waren. Wahrscheinlich waren auch diese Italiener ehemalige Militärinternierte." [235]

(Anm.: Mit der Absetzung und Inhaftierung des italienischen Diktators Benito Mussolini durch König Viktor Emanuel III. am 25. Juli 1943 wurde auch das Kriegsbündnis Berlin-Rom (Achse) beendet. Marschall Pietro Badoglio übernahm die Regierung und verkündete die Kapitulation. Auf Druck der Alliierten erklärte die Regierung Badoglio Deutschland am 13. Oktober 1943 den Krieg. Die deutsche Wehrmacht besetzte daraufhin Nord- und Mittelitalien und nahm etwa 800.000 Soldaten als Militärinternierte gefangen.)


Das Lager Sachtleben

Das Chemiewerk Sachtleben AG hatte bereits im Dezember 1941 zivile Fremdarbeiter und franz. Kriegsgefangene für die Kriegswirtschaft auf dem Werksgelände. "Die Sachtleben AG unterhielt im Herbst 1944 ein Lager für zivile Fremdarbeiter mit 102 Bewohnern (79 Franzosen, 12 Italiener und 11 Niederländer. [236]

Ein weiteres Lager von Sachtleben, belegt mit nur "wenigen Holländern", befand sich zur gleichen Zeit in der Schule an der Rheinstraße. [237]


Das Lager des Bauunternehmers Wilhelm Maas

Der Bauunternehmer Wilhelm Maas hatte seitens der Stadt Homberg den Auftrag erhalten, Lagerbaracken für die Stadt zu errichten. (Anlage D und E)

Für diese Arbeiten hatte er Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter angefordert. Das Besondere im Fall Wilhelm Maas war, dass er seine Arbeitskräfte nicht aus dem Kontingent der zugewiesenen sowjetischen Zivilarbeiter für Homberg rekrutierte, sondern er ließ sowjetische Kriegsgefangene aus einem Lager in Rheinhausen-Hochemmerich seit Ende 1942 für sein Unternehmen arbeiten. Das waren bis zu 150 Kriegsgefangene. Auch hatte er auf seinem eigenen Betriebsgelände einige Lager-Baracken aufgestellt. [238]

Die Homberger Juden

Mit Beginn des Krieges 1939 war die politische Zielsetzung der Nationalsozialisten, auch jüdische Arbeitskräfte als Zwangsarbeiter einzusetzen. "Für die Stadtverwaltung Duisburg war auch mindestens eine "Arbeitskolonie" aus jüdischen Zwangsarbeitern tätig, nachweislich in der Trümmerbeseitigung und im Fuhrpark." [239]

Den Homberger Juden war ein schlimmeres Schicksal beschieden. Am 11. Dezember 1941 kam es zur Deportation von 16 Homberger Bürgern mit jüdischem Glauben nach Riga/Lettland, die noch in Homberg verblieben waren (Anm.: 1925 lebten 85 Juden in Homberg).

Damit war Homberg - wie es im Jargon der Nazis lautete - "judenfrei" bzw. "judenrein".

In Riga wurden sie in Arbeitslagern zu Schwerstarbeiten gezwungen, die zum Tode führen sollten: "Vernichtung durch Arbeit." Lediglich Helene Karten aus Hochheide hatte dieses Martyrium überlebt. Befreit durch die Rote Armee, lebte sie ab Juli 1945 wieder in Homberg-Hochheide.


Chronologischer Überblick

Seit Okt. 1940 wurden den Rheinpreußen-Schächten Arbeitskräfte aus Belgien und Polen zugewiesen. In Homberg hat die Unterbringung von Zwangsarbeitern der Stadt auf dem Areal der Rheinpreußen-Schachtanlage III erst im Mai 1942 begonnen.

[Tabelle]


Zusammenfassung:

In Homberg gab es eine Vielzahl von Lagern für Kriegs- und Zivilgefangene. Die größten waren:

  • "Steinkohlenbergwerk Rheinpreußen, Firmensitz Homberg (Anm.: 2.640 Arbeiter für alle 4 Schächte außerhalb Hombergs). Verteilung nicht bekannt.
  • Sachtleben AG (410 Arbeiter); Konzerneigen existierte außerdem das Lager in Lennestadt-Meggen, hier Schacht Sicilis mit bis zu 4.000 Arbeitern
  • Maschinenfabrik Schmitz & Söhne, Homberg, unterstellt dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (55 Arbeiter)
  • Rhenania Rheinschifffahrtsgesellschaft (420 Arbeiter) (Anm.) Auf Anfrage wurde vom Justiziar der Firma in einem Brief vom 22. 03. 2001 festgestellt, "dass die Rhenania Homberg weder ein Lager für Zwangsarbeiter unterhalten noch Zwangsarbeiter beschäftigt hat". Archiv FHH
  • Organisation Todt: Lager Schule an der Ottostraße (86 Arbeiter und Lager Schule an der Kirchstraße (366 Arbeiter)" [240]

Anm.: Die Organisation Todt (OT, Namensgeber Fritz Todt) war eine paramilitärische Bautruppe der NSDAP. Sie wurde während des Zweiten Weltkrieges für Baumaßnahmen eingesetzt, wie: Ausbau des Westwalls, der U-Bootstützpunkte an der franz. Küste sowie des Atlantikwalls. Ab 1943 Bau von Luftschutzanlagen für die Zivilbevölkerung. In der Organisation kamen seit Kriegsbeginn vielfach Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zum Einsatz. [241]

Neben den Lagern bei Unternehmen unterhielt die Stadt eigene Lager. Die Nutzung von Gebäuden (Schulen, Gemeindehäuser, Wirtschaften) und der Bau von Bracken (besonders auf dem Jahnsportplatz) wurde dem laufenden Bedarf über die Kriegsjahre angepasst. Vor allem die verstärkten Luftangriffe ab 1943 mit ihrem zunehmenden Zerstörungspotential erhöhte die Nachfrage nach Arbeitskräften in erheblichem Maße. Manche Belegung eines Gebäudes wurde aus der Platznot heraus als Provisorium betrachtet. Dabei blieb es oft bis Kriegsende. Nur äußerst wenige Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter hatten das Glück, als Untermieter in einer richtigen Wohnung zu leben.

Anm.: Nachfolgende Angaben haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Quellen sind unterschiedlich in ihrer Zuverlässigkeit und die Belegzahlen differieren je nach Fundstelle und Jahresangabe. [242]

Lager der Stadtverwaltung (für mittel- und Kleinunternehmen):

Kriegsgefangenlager Rheinpreußen, Schacht III 79 (StAEssen), 200 KA Kgf.-Lager Kaiserplatz/BM-Wendel-Platz 25 (Ka=M. A. Kanther) Ostarbeiter-Lager Jahnsportplatz, Rheinpreußenstr. 36 (Ka) Ev. Gemeindehaus Kreuzstr., Franzosen 20 (Ka) Kath. Vereinshaus, Viktoriastr., Franz. Kgf. (Ka) Kath. Gemeindehaus St. Joh.-Stift, franz. Kgf. (KV), Ostarbeiterinnen (Ka) Schule Rheinstr. , Niederländer (Ka) Bezirk Homberg /Baerl (Ortsteil seit 1975) Wirtschaft Liesen, Ostarbeiterlager 150 (M. Weinmann) Ev. Gemeindehaus 70 (Landesarchiv NRW) Baerl-Binsheim Kgf.-Lager, Orsoyer Str.34 22 (StAEssen)

Die Lager - Orte des Leidens

Die weitaus größte Zahl an Kriegs- und Zivilgefangenen wurde in Barackenlagern untergebracht. Lagerkomplexe von Kriegsgefangenen und (bis zum Frühjahr 1943) Lager für Ostarbeiter (zivile Russen) und Polen waren umzäunt und ständig bewacht. Bei zivilen ausländischen Arbeitskräften war das nicht so, und sie konnten das Lager ohne Bewachung verlassen, vor allem Westarbeiter und zivile Italiener.

Durch die Errichtung von Barackenlagern in Homberg profitierte die Homberger Bauunternehmung Wilhelm Maas am meisten, hatte sie doch von der Stadt durch BM Sonnen den Auftrag dazu erhalten. (s. o.)

Anm.: Da keine Fotos oder Beschreibungen über die Ausstattung der Lager in Homberg verfügbar sind, muss auf belegte Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die in der lokalhistorischen Literatur für den Raum Duisburg und Kreis Moers veröffentlicht worden sind. (Die Fa. Maas war nur für die Errichtung der Baracken zuständig.)

Die Standard-Einrichtung war wohl überall spartanisch: Sie bestand im Regelfall aus 2-3er Etagenbetten, Spinden, Tischen und Stühlen einfachster Machart. Die Betten waren fast überall mit Strohsäcken ausgestattet, wobei die Hülle manchmal aus starkem Papier bestand. Das Stroh wurde - unterschiedlich - nach Monaten ausgetauscht. Die Beheizung der Räume war im Winter nicht immer gewährleistet.

Jeder Lagerbewohner erhielt zwei bis drei Woll- und Grobgarndecken und sonst allenfalls noch einige Handtücher. Spätestens nach der Jahreswende 1943/44 war die Standard-Belegung von 12 Mann pro Stube höher.

Auch die seit 1941 von der nationalsozialistischen Rassendoktrin geforderte getrennte Unterbringung von "germanischen" und "fremdvölkischen" Ausländern stand sehr bald auf dem Prüfstein. Das Regime wünschte bei den fremdvölkischen Ethnien eine "Apartheid", nach der jedes Lager nur von Angehörigen einer Nation bewohnt werden sollte. Doch dieses Prinzip ließ sich mangels Raumkapazität immer weniger verwirklichen. Bereits im Oktober 1942 bestanden "nationale Lager nur in geringem Umfang". [243]

Das Lager war das normale "Zuhause" der ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Lebensumstände außerhalb der Arbeitsstätten war individuell oft sehr unterschiedlich. So konnten z. B. bezüglich der Lebensmittelversorgung, der Versorgung mit Konsumgütern und der medizinischen Versorgung der Ausländer große Unterschiede bei den jeweiligen Arbeitgebern festgestellt werden.

Im Idealfall - den es mitunter wohl auch gab - hätte es so sein können: Es gab ein sauberes und nicht überfülltes Lager, saubere sanitäre Anlagen, ausreichend zu essen, Bekleidung und Schuhe bei Notwendigkeit, freie Arztauswahl, Korrespondenzmöglichkeiten mit der Familie zuhause, regelmäßige Kinobesuche, Kirchgang, eine Arbeit im erlernten Beruf, Entfaltung eigener Kreativität, einen human eingestellten deutschen Vorgesetzten etc.[244]


War "Sachtleben" eine Ausnahme?

Ein solcher Idealfall scheint nahezu bei der Firma Sachtleben AG realisiert worden zu sein. In der Jubiläumsschrift "1878 - 1953 75 Jahre Lithopone der "Sachtleben" AG schreibt der Verfasser folgende Zeilen über zivile nicht deutsche Arbeitskräfte: "Beschäftigt wurden in jenen Kriegszeiten im Werk Homberg neben deutschen Arbeitskräften zivile Bulgaren, Italiener, Ukrainerinnen und kriegsgefangene Franzosen, welche letztere sich durch Anstelligkeit (Anm.: Lernfähigkeit) und gute Haltung auszeichneten, so daß sie bald in das zivile Arbeitsverhältnis überführt wurden, d. h. sie hatten Ausgang und Urlaub. Die Ukrainerinnen waren wegen ihrer Anständigkeit und Sauberkeit gerne gesehen und geachtet. Sämtliche ausländischen Arbeitskräfte wurden wie die deutschen Arbeiter mit vollem Lohn, Akkordzuschlägen usw. bezahlt und erhielten dieselben Ernährungsrationen und Schwerarbeiterzulagen. Da nur Handarbeiter Zulagen erhielten, standen sich, was wohl nur in Deutschland möglich ist, die Fremdarbeiter ernährungsmäßig besser als jeder Arbeiter eines Werkes einschließlich der leitenden Herren." [245]

Französische Kriegsgefangene waren bereits im Dezember 1941 der Firma Sachtleben zugewiesen worden - also nicht der Stadt Homberg -, da im Chemiewerk kriegsrelevante Produkte hergestellt wurden.

Diese Kriegsgefangenen erhielten sehr schnell den Zivilstatus, der wiederum mit mehr persönlichen Freiräumen verbunden war. In einem Brief mit Sachtleben-Firmenkopf wird einem ehemaligen Mitarbeiter von Sachtleben mit Datum 20. Dezember 1941 u.a. folgendes mitgeteilt: "Hier im Betrieb arbeiten wir jetzt an der Weisstarnung des Ostens, Flugzeuge, Panzer etc. und das Weiss an Euren Stahlhelmen stammt vielleicht von Sachtleben Homberg und kann Ihnen eine Erinnerung sein an Ihren heimatlichen Betrieb. Heute arbeiten zum erstenmal französische Kriegsgefangene bei uns." [246]

Feststellung: Bei der Firma Sachtleben AG muss es seitens der Firmenleitung offensichtlich eine respektvolle und wohlwollende Verhaltensweise gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern gegeben haben. Es hat demnach ein gutes Betriebsklima geherrscht.

Diese positiven Umstände haben später, in den beiden nachfolgenden Jubiläumsschriften 1978 (100 Jahre) und 2003 (125 Jahre), keinerlei Erwähnung mehr gefunden, obgleich das Thema der "Zwangsarbeit in Industrie und Bergbau" zum aktuellen Thema der Geschichtsforschung ab den Siebzigerjahren geworden war.

Anm.: Während der Bearbeitung des Themas "Zwangsarbeit in Homberg" hat sich unerwartet ein Zweitzeuge (Jg. 1951) aus Essenberg gemeldet, der zwar seit Jahrzehnten in München wohnt, aber seine Jugend in seinem Elternhaus am Denkmalsplatz 3 verbracht hatte, sozusagen im Schatten der Firma Sachtleben.

In einer E-Mail teilte er mit: "Der Vater meiner Mutter, Gerhard Leven, hatte eine Bäckerei in unserem Haus. Es müssen Häftlinge unter erbärmlichen Bedingungen bei Sachtleben gearbeitet haben. Meine Mutter hatte nach ihrer Erzählung in den Kriegsjahren wohl immer mal wieder Brot über den damaligen Zaun von Sachtleben in der Duisburger Straße geworfen. Ihr und ihren Eltern konnte nichts passieren, weil sie ja in der NSDAP waren." "Mein Großvater war Ortsgruppenleiter und Betriebsrat der NSDAP bei Sachtleben." [247]

Welche der beiden sich widersprechenden Aussagen zur Thematik "Zwangsarbeit bei Sachtleben" hat eher den Anspruch auf Wahrhaftigkeit?Es kann natürlich sein, dass bei der Publizierung einer Jubiläumsschrift (hier: 1953), der Verfasser die vielleicht harte Realität der Zwangsarbeit wegen des Firmenimages eher schönfärbte.

Auf der anderen Seite könnte es aber auch so gewesen sein, dass der Sachtleben-Vorstand während der NS-Zeit einkalkulierte, dass eine positive Arbeitsleistung nur dann von ausländischen Arbeitskräfte auf Dauer abverlangt werden konnte, wenn man seitens der Firma bereit war, Leistungsbereitschaft bei der Arbeit mit besserer Ernährung und mit angenehmeren und freizügigeren Lebensumständen im Freizeitbereich zu entgelten.

Um die wahren Umstände der Zwangsarbeit bei Sachtleben sachlich abklären zu können, wären weitere überprüfbare Informationen notwendig.


Die Realität im Lager der Zeche Rheinpreußen

Ein Protokoll von Zeugenaussagen bei der Homberger Kriminalpolizei vom Dezember 1944 gibt, wie bei einer Momentaufnahme, einen realen Einblick in die Situation der Zwangsarbeit bei der Zeche Rheinpreußen.

In das Lager der Zeche Rheinpreußen, Schacht III, waren am 23 Nov. 1944 - aus Berlin kommend - 185 (200?) Arbeiter aus mindestens sechs Nationen eingetroffen. Eigentlich waren sie bei der Organisation Todt beschäftigt, um ein OT-Lager für die Zeche zu errichten. Sie wurden von einem Bauführer der Zeche in ungewöhnlicher Weise drangsaliert.

Französische, belgische, italienische und serbische Arbeiter und ein belgischer Dolmetscher gaben vor der Homberger Kriminalpolizei am 8. und 9. Dez. 1944 folgendes zu Protokoll:

" Ein Bauführer der Zeche, der vielleicht geistesgestört war, bedrohte am 26. November, einem Sonntag, die Arbeiter mit einer geladenen Schußwaffe, weil sie sich weigerten, das Lager zu verlassen und zu arbeiten. Über den Kopf eines in seinem Bett sitzenden, kranken Franzosen hinweg schoß der Bauführer in die Wand. Der Kranke wurde zur Arbeit gezwungen.

Etwa zwei Wochen später schlug derselbe, wieder mit einer Pistole bewaffnete und von einem Vorarbeiter sowie einem Meister begleitete Mann mehrere Arbeiter wegen vermeintlicher Arbeitsverweigerung und Aufsässigkeit (womit vor allem Beschwerden über die schlechte Qualität des Lageressens gemeint waren) mit einem Stück dicken Drahtes und trat zwei Arbeitern gegen die Schienenbeine, bis sie bluteten. Ein anwesender Sanitäter konnte eben noch verhindern, daß der amoklaufende Deutsche einen Tuberkulosekranken im Bett verprügelte, woraufhin der Sanitäter selbst Schläge von dem Vorarbeiter bezog. Auch der belgische Dolmetscher wurde malträtiert. Das "Vergehen" des mißhandelten italienischen Arbeiters Francesco Poli hatte in der Feststellung bestanden, daß die Arbeiter in Berlin (von der OT) mit Geld, in Homberg jedoch (von der Zeche) mit Schlägen bezahlt worden seien – eine Anspielung auf wiederholte Prügel durch den Bauführer und anderen deutschen Gefolgschaftsmitgliedern von Rheinpreußen. [248]


Freizügigkeit

"Hinsichtlich der Freizügigkeit wurden die ausländischen Arbeitskräfte von Kriegsbeginn an unterschiedlich behandelt. Nicht nur die tatsächlich freien Arbeiter aus den west- und nordeuropäischen "Feindstaaten" (also Menschen, die schon vor Kriegsbeginn in Deutschland gelebt oder nach Kriegsbeginn freiwillig Arbeit im Reich aufgenommen hatten), sondern auch West- und Nordeuropäer, die gegen ihren Willen in Deutschland arbeiteten, konnten sich auch außerhalb der Wohnlager völlig frei bewegen und die öffentlichen Verkehrsmittel in Anspruch nehmen.

Für polnische, später auch für sowjetische zivile Arbeitskräfte jedoch galten rassistisch motivierte Sonderregelungen.

Danach durften Polen "während bestimmter Nachtstunden ihre Unterkünfte nicht verlassen" und mussten sich wöchentlich einmal persönlich bei der zuständigen Ortspolizeibehörde melden. Öffentliche Verkehrsmittel durften Polen nur mit einer Genehmigung durch die örtliche Polizei benutzen. Der Besuch von Gaststätten war erheblich eingeschränkt, und zwar nur dann wenn ein Gastwirt freiwillig sein Lokal exklusiv für polnische Gäste öffnete; das betreffende Lokal durfte "während der Benutzung durch Polen von deutschen Gästen nicht benützt werden."

Von kulturellen Veranstaltungen wurden Polen durch die behördlichen Bestimmungen ebenso ferngehalten wie von allgemeinen Gottesdiensten." Als 1942 der massenhafte Einsatz von Arbeitskräften aus der Sowjetunion begann, wurden für diese Bestimmungen erlassen, die noch über die Polen-Diskriminierung hinausgingen: [249]

Zum Beispiel die Unterbringung in umzäunten, vom Werkschutz des Arbeitgebers bewachten Lagern und das Verbot, die Lager außer für den Gang zur Arbeitsstätte zu verlassen.

Im November 1942 verfügte der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, eine Vergünstigung bei der Ausgangsregelung. Von nun an mussten die Einsatzbetriebe den Ostarbeitern "mindestens wöchentlich einmal Ausgang" gewähren, allerdings nicht individuell, sondern "in Gruppen von 10 bis 20 Mann (bei Ostarbeiterinnen auch in Gruppen von 5 Personen an)"; jede Gruppe musste von einem "Angehörigen des Lagerdienstes, d. h. also einem Ostarbeiter" (Anm.: Vertrauensmann) beaufsichtigt und geführt werden. Es blieb allerdings dabei, dass eine "Berührung mit der deutschen Bevölkerung" nicht stattfinden durfte.

Die "Lockerung" der Ausgangsregelung gehörte zu den Maßnahmen, die im Stalingrad-Winter (allerdings drei Monate vor dem Verlust der Schlacht) "im Interesse der Leistungssteigerung" der Ostarbeiter getroffen wurden.

Spätestens seit dem Frühjahr 1943 genossen die Ostarbeiter beiderlei Geschlechts außerhalb der Arbeitszeit eine größere Freizügigkeit als noch 1942; faktisch war vielfach die Gleichbehandlung mit den Westarbeitern und zivilen Italienern hergestellt. Es war nun erlaubt, dass sich Arbeiter und Arbeiterinnen verschiedener Betriebe und Bewohner verschiedener Lager besuchten. Dadurch entstanden wohl neben Freundschaften nicht wenige Liebesbeziehungen. [250]


Lockerung auch bei Kriegsgefangenen

Auch bei den Kriegsgefangenen wandte das Regime unterschiedliche Bestimmungen an. Kriegsgefangene, gleich welcher Nationalität, hatten keinen Anspruch auf Freizügigkeit. Im Prinzip durften sie ihre Lager und Unterkünfte nur für den Weg zur Arbeitsstätte verlassen und mussten rund um die Uhr von Soldaten oder vereidigten Hilfswachleuten der Einsatzbetriebe bewacht werden. Die Wachleute trugen Gewehre und waren verpflichtet, Fluchten von Gefangenen notfalls durch Gebrauch der Waffe zu verhindern.

Im Frühjahr 1942 wurde allerdings die Bewachung der französischen und belgischen Kriegsgefangenen gelockert. Fortan bewegten sich die Gefangenen zwischen Lager und Arbeitsstätte ohne Bewachung durch bewaffnete Deutsche, und sie erhielten in der arbeitsfreien Zeit auch "Ausgang" in kleineren Gruppen. Darüber hinaus durften die westeuropäischen Gefangenen die Straßenbahn benutzen und sogar Gaststätten besuchen.

Den sowjetischen Kriegsgefangenen wurde während des ganzen Krieges keine der genannten Vergünstigungen gewährt." [251]

Wie schon festgestellt wurde, sind über das Steinkohlenbergwerk Rheinpreußen mit seinen vier Schächten im Kreisgebiet keine fundierten Kenntnisse mangels Quellen möglich. Deshalb soll ein Blick auf die Verhältnisse der Zwangsarbeit bei der Zeche Niederberg in Neukirchen-Vluyn geworfen werden, wo auf einer Informationstafel in knapper Form berichtet wird:

"In den Kriegsjahren 1939 – 1945 kamen in Neukirchen-Vluyn ca. 1.500 Fremdarbeiter zum Zwangsarbeitereinsatz. Den landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben wurden etwa 350 Personen zugeteilt, die Mehrheit wurde im Steinkohlenbergbau auf der Schachtanlage Niederberg eingesetzt. Von den Zwangsarbeitern, sowohl Zivil- als auch Kriegsgefangene, waren die meisten Russen, Ukrainer und Polen. Sie stellten zeitweise bis zu 50% der Gesamtbelegschaft, um die fehlenden deutschen Arbeiter zu ersetzen und die Kriegsproduktion aufrecht zu erhalten. Nicht selten wurden sie noch als Jugendliche (Foto, Anlage F) aus ihrer Heimat verschleppt und hier in einem von der Zeche Niederberg gebauten Lagersystem unter demütigenden Bedingungen gefangen gehalten. Bei schlechter Ernährung und Behandlung sollte ihre Arbeitskraft aufs Äußerste ausgenutzt werden. 37 Gräber befinden sich auf dem Kommunalfriedhof in Neukirchen."


Die Zahl der umgekommenen Zwangsarbeiter

Die Moerser Lokalhistoriker haben sich akribisch auf die Suche gemacht, um eine Größenordnung für die Zahl der verstorbenen Zwangsarbeiter im Alt-Kreis Moers zu belegen. Die Zahl der offiziellen Grabstätten auf den Friedhöfen der einzelnen Kommunen war dabei eine hilfreiche Richtschnur:

"In Neukirchen-Vluyn gibt es 37 (s. o.), in Rheinberg, Borth und Budberg 15 und in Moers auf dem Friedhof Lohmannsheide 141 Gräber von hier umgekommenen Zwangsarbeitern." [252]

Es ist sicher, dass eine weit größere Zahl von ihnen zu Tode kam. "Für den Kreis Moers sind allein 558 umgekommene russische Zwangsarbeiter urkundlich belegt. Die Zahlen geben allerdings ein vollkommen unzutreffendes Bild wieder. Wenn für Repelen-Baerl 146, Trompet 107, Meerbeck 52 und für Lintfort 50 tote russische Staatsangehörige angegeben werden, so liegt das sicherlich an den meist in der Zahl identischen noch vorhandenen Grabstätten, die nicht zuließen, dass nach dem Krieg Zahlen weiter nach unten gedrückt wurden.

Für Homberg etwa werden nur drei (!) Tote angegeben.

Und dies sind nur die Toten mit sowjetrussischer Nationalität." [253]

Die ärztlich festgestellten Todesursachen kaschieren nur mühsam die entsetzliche Lage der Zwangsarbeiter. Lungenentzündung wird weit häufiger angegeben als etwa "Entkräftung" oder "lebensmüde" (mehr als 10 Nennungen für Repelen-Baerl). Die Toten, bei denen "Herzschwäche" notiert wird, sind 31 bis 35 Jahre alt. Knochen- und Schädelbrüche sind immer "Unglücksfälle". In Meerbeck sterben 15 Gefangene an Schussverletzungen, 4 davon sind "auf der Flucht erschossen" worden. Es konnte nicht nachvollzogen werden, wie viele Zwangsarbeiter insgesamt in Moers starben, doch dürfte die Zahl allein für Moers weit höher liegen, als die mehr als 200 hier nachgewiesenen Fälle. Hinzu kommen viele weitere, die in ihrem geschwächten Zustand die Verlegung in rechtsrheinische Gebiete Anfang 1945 nicht überstanden haben." [254] (Anlage G)


Sammel-Grabstätte für Zwangsarbeiter in Homberg

Schon während des Ersten Weltkrieges (1914 – 1918) gab es Zwangsarbeit in Deutschland (Weimarer Republik). Während der ausgeübte Zwang auf belgische Arbeiter auch innerhalb von Deutschland heftige Kritik erregte und den Behörden die Überwindung massiver Skrupel abverlangte, wurden Zwangsmaßnahmen gegenüber der russisch-polnischen Bevölkerung nahezu als Selbstverständlichkeit hin- oder gar überhaupt nicht als Unrecht wahrgenommen. Deshalb wird der Einsatz von zivilen Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg häufig als ein Probelauf für die Organisation der Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg bezeichnet.

Die Kriegsgefangenen machten den größten Teil der ausländischen Arbeitskräfte während des Ersten Weltkrieges aus. Von 2.520.983 Gefangenen waren 1.434.529 aus dem Zarenreich Russland. [255]

"In Homberg existieren auf dem ehemaligen, jetzt als Park genutzten Alten Friedhof an der Schillerstraße 22 Grabstätten von zivilen Zwangsarbeitern, weit überwiegend aus der Sowjetunion (eventuell zwei davon aus Polen). Diese 22 Zwangsarbeiter wurden neben 15 russischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges beerdigt, die wahrscheinlich bei der Zeche Rheinpreußen gearbeitet haben." [256]


Schlussfolgerung: "Wie (negativ oder) positiv auch immer die äußeren Lebensumstände bei einem deutschen Arbeitgeber sein mochten, alles wurde mehr oder weniger überschattet durch das seelische Leid, das zumindest alle Verschleppten ertragen mussten: Heimweh, Sorgen um die Angehörigen in der Heimat, Kummer und Zorn über die Erniedrigung durch den fremden Eingriff in das eigene Schicksal und die rassische Diskriminierung in Deutschland, schließlich die Belastung durch die Monotonie des Alltags. Wie furchtbar das Dasein erst gewesen sein muss, wenn zu diesen "unvermeidlichen" psychischen Belastungen noch widrige äußere Umstände im Hinblick auf Lagerleben und Luftschutz, Freizügigkeit, Ernährung, Versorgung und medizinische Betreuung, dazu Arbeitshetze oder gar Misshandlungen kamen, kann wohl niemand ermessen, der es nicht selbst erlebt hat." [257]

Feststellung: Wer sich im Rahmen der Organisation der Kriegswirtschaft in dieser menschenverachtenden Weise der Zwangsarbeit gegenüber ausländischen Arbeitskräften verhielt oder sie zu verantworten hatte, erfüllte den Tatbestand des Verbrechens gegen die persönliche Menschenwürde und gegen die international gültigen Menschenrechte.

Ausländer in Homberg – eine Tradition

Die Gründung des Kohlebergwerks Rheinpreußen durch den Großindustriellen Franz Haniel aus Ruhrort war in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts der Anstoß zu einem wirtschaftlichen Strukturwandel der Dorfgemeinden Homberg, Essenberg und Hochheide (Anm.: seit 1907 Landgemeinde Homberg, seit 1921 Stadt Homber/Niederrhein).

Mit der Wirtschaftskraft der Zeche Rheinpreußen als Basis und im Verbund mit der gemischten Unternehmensstruktur in Homberg (z. B. Chemie, Schifffahrt, Maschinenbau, Getreidemühlen) hatte sich ein kontinuierlich wachsender, stabiler Industriestandort entwickelt, der seine Attraktivität bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 ausbaute. In dieser Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden zusätzliche ausländische Arbeitskräfte europaweit angeworben, um das Defizit an heimischen Arbeitskräften aufzufüllen. Und sie kamen zu Tausenden: aus den Niederlanden, Belgien, Schweiz, Italien, Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, Tschechei, Slowakei und Polen. [258]

Im Laufe von Jahrzehnten der Zusammenarbeit zeigten sich deutliche Anzeichen der Integration von diesen ehemaligen Fremdarbeitern in die deutsche Gesellschaft. Insbesondere dort, wo der Bergbau fremde und deutsche Arbeitnehmer zusammenführte und wo man gemeinsam einer schweren und gefahrvollen Arbeit "unter Tage" nachkam und wo man sich auf den Anderen unbedingt verlassen musste, dort wurden die Menschen zu Kameraden, zu "Kumpels". Dieses Gemeinschaftsgefühl wurde auch "über Tage" z. B. in der Rheinpreußensiedlung durch nachbarschaftliche Verbundenheit weitergelebt.

Während des Ersten Weltkrieges (1914 – 1918) kamen diese assimilierten Homberger überwiegend ihren Arbeitsverpflichtungen weiterhin nach und gingen nach so vielen Jahren der Abwesenheit nicht zurück in ihre Heimatländer. Sie blieben in Homberg, weil sie sich akzeptiert und respektiert, einfach heimisch fühlten.


Der Erste Weltkrieg

Spätestens mit Beginn des Ersten Weltkrieges forderte die Rüstungs- und Kriegswirtschaft im deutschen Kaiserreich (Kaiser Wilhelm II., 1888 – 1918) Ersatz- Arbeitskräfte, weil durch den euphorischen Hurra-Patriotismus jener Zeit zu viele arbeitsfähige Männer nicht nur freiwillig zu den Fahnen eilten, sondern auch für die Kampftruppen notwendigerweise rekrutiert wurden.

Die Folge war ein eklatanter Mangel an Arbeitskräften, vor allem auch in Industrie und Bergbau. Durch die Siege an der Ostfront und mit der Besetzung Polens und von Teilen Russlands wurden polnische und russische Arbeitskräfte angeworben oder zwangsdeportiert. Am 3. März 1918 kam es bereits zum Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit (jetzt) Sowjetrussland. Über den Verbleib der deportierten russischen Kriegsgefangenen in Homberg liegt keine Quellenangabe vor. Es kann nur vermutet werden, dass sie in einem Lager auf der Zeche Rheinpreußen untergebracht waren und für die Zeche arbeiteten. Einige der Verstorbenen sind auf dem Alten Friedhof an der Schillerstraße beerdigt worden (s. o.). Eine besondere Episode mit Ausländern erfuhr Homberg nach der Kapitulation der Wehrmacht des Deutschen Reiches am 11. November 1918. Bereits einen Monat später rückten 1.500 belgische Soldaten als Besatzungstruppen im Rahmen der alliierten Rheinlandbesetzung in Homberg ein. Sie blieben bis Januar 1926. Die Besatzer kontrollierten die Förderung von Steinkohle, die als Reparationskosten an die Siegermächte zu zahlen waren. Das heißt, die Bergwerke mit ihren überwiegend deutschen Belegschaften wurden zwangsverpflichtet, für die Alliierten zu arbeiten. Die Homberger Bevölkerung war in dieser Zeit der Siegermentalität der belgischen Besatzer ausgeliefert. Das Elend, das sie durch Bedrohung, Gewalt, Vergewaltigung und Mord erlitt, hat sich später nicht negativ auf das ausgeglichene Verhältnis zu ihren ausländischen Mitbürgern in der Stadt ausgewirkt.


Ausländische Arbeitskräfte in der NS-Zeit

Die Homberger Bevölkerung hatte über viele Jahrzehnte positive Erfahrungen mit ausländischen Arbeitskräften (Fremdarbeitern) gemacht. Der Homberger Verwaltungsbericht von 1932 bis 1938 spricht im Jahr 1937 bei einer Gesamtbevölkerung von 26.833 Einwohnern in Homberg von 1.871 Ausländern, also von einem Verhältnis von 93 zu 7 Prozent. Neben den statistisch ausgewiesenen Ausländern hatten über die Jahrzehnte viele ehemalige ausländische Zuwanderer die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt, oft durch die Gründung einer Familie mit einem deutschen Ehepartner.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wurde der Rassengedanke als politisches Unterscheidungsmerkmal zwischen der arischen Herrenrasse und den übrigen minderwertigen Rassentypen zur staatstragenden Ideologie. Die Perversion dieser Rassenpolitik führte Juden, Sinti und Roma ("Zigeuner") psychisch Kranke, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und andere in den Tod.

Die Rassenideologie der Nazis prägte ebenso den Umgang mit ausländischen Arbeitskräften in vielfacher Weise.

Die Zwangsarbeiter aus dem Osten Europas, soweit sie slawischer Abstammung waren, wurden - laut NS-Terminologie - als "Untermenschen" klassifiziert und zur "Sklavenarbeit" verurteilt. Deshalb wurde der Grundsatz der Überlegenheit der Herrenrasse konsequent durch Maßnahmen der Abgrenzung und dem Verbot von Kontakten instrumentalisiert.

"An den industriellen Arbeitsstätten wurde gegenüber Polen und Ostarbeitern (Russen, Ukrainer) von Anfang an eine "Apartheid" praktiziert, die sich im Bergbau z. B. in der Herstellung getrennter Waschkauen äußerte. … Von entscheidender Bedeutung für den betrieblichen Alltag der Zwangsarbeiter war die prinzipielle unbedingte Überordnung jedes Deutschen, auch des einfachsten, angelernten und kaum gebildeten Arbeiters, über die am jeweiligen Arbeitsort tätigen Ausländer, sofern diese nach Kriegsbeginn aus "Feindstaaten" gekommen war." [259]

Die Abgrenzung zu ausländischen Arbeitskräften und das Kontaktverbot zu ihnen galt förmlich für jeden deutschen Reichsbürger.

"Für das Leben außerhalb der Betriebe galten Bestimmungen, die auf eine noch rigorosere "Apartheid" hinausliefen, als sie den Alltag der zivilen und kriegsgefangenen Zwangsarbeiter in den Betrieben prägte. Die NSDAP und die Gauleiter, das Reichspropagandaministerium, die Deutsche Arbeitsfront, die Polizei und andere Institutionen schärften der Bevölkerung durch Zeitungen, durch Instruktionen in den Betrieben, über Merkblätter immer wieder Verhaltensmaßregeln ein. Verstöße wurden streng bestraft. [260]

Mit einem "Merkblatt über die Behandlung von Kriegsgefangenen" verfügte "Der Landrat" des Kreises Moers, Ernst Bollmann (NSDAP), am 2. April 1940 folgende Anordnung: [261]

(vollständiger Wortlaut s. Anlage HH

"Wer gegen eine zur Regelung des Umgangs mit Kriegsgefangenen erlassene Vorschrift verstößt, oder sonst mit einem Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegt, die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt, wird bestraft." [262]

Ein solcher Verstoß gegen den Umgang mit Kriegsgefangenen ereignete sich im März 1942 bei der Firma Sachtleben in Essenberg.

Ein gewisser Parteigenosse Schlösser berichtete am 25. März 1942 dem Sachtleben-Vorstand (Dr. Volquartz, Dr. Flor, Dr Müller) unter Beteiligung des Ortsgruppenleiters Bacher von Informationen, die er in der Rheinpreußensiedlung erhalten hatte.


Er gab zu Protokoll: [263] "Es ist Tagesgespräch, dass in unserem "Sachtolithbetrieb" unhaltbare Zustände zwischen den dort beschäftigten Frauen und kriegsgefangenen Franzosen bestehen würden, u. a. habe eine Geburtstagsfeier auf der Nachtschicht in der Frauenwaschkaue des Sachtolithbetriebes in der Woche vom 9. – 15. 3. stattgefunden, an der folgende Personen teilgenommen haben sollen: Ein Franzose Jaques … (Anm.: Gunneline), Frl. Weiss, Frau Langhoff, ein Mann namens Paul von der Glühtrommel und noch eine Frau. Weiterhin wird erzählt, dass der Aufseher Augstein kurz dagewesen sei, aber die Feier nicht unterbunden habe. Von Frl. Weiss wird behauptet, dass sie grössere Mengen Schokolade und Zigaretten erhalten und an Verwandte und Bekannte abgegeben bezw. eingetauscht habe. Ein Frl. Käte Braunstein hätte auch Zigaretten angenommen, weiterhin sei gesehen worden, dass ein Franzose ihr einen Brief zugesteckt habe.

Es sollen auch folgende Frauen ebenfalls Schokolade und Zigaretten von den Franzosen angenommen haben: Frau van Wershofen, Frau Kaschmann, Frau Walter, Frau Witkowsky. Damit ist die Vorbesprechung beendet, und es wurde zur Vernehmung der Belasteten ohne Herrn Schlösser geschritten. Wir wurden uns darüber einig, dass in erster Linie Frl. Braunstein, anschließend Aufseher Augstein, Frau Kaschmann, Frl. Weiss und als letzter Filipiak (Paul von der Glühtrommel) zu vernehmen waren."

Alle Betroffenen gaben in den Verhören ihr Verhalten zu. Auch wenn der Aufseher Augstein zu Protokoll gab, "dass die Geburtstagsfeier nur ganz kurze Zeit, höchstens 10 Minuten, gedauert habe, weil er ja sonst die Leute bei der Arbeit vermisst hätte". Bürgermeister Friedrich Sonnen, als Ortspolizeibehörde auch Kriminalpolizei, sah sich veranlasst eine Anzeige gegen alle Teilnehmer an der Geburtstagsfeier zu schreiben, weil sie sich "gegen die Bestimmungen über den Verkehr mit Kriegsgefangenen vergangen haben".

Das Urteil des Moerser Amtsgerichts vom 12. Juni 1942 verurteilte drei Personen wegen Vergehens gegen die Verordnung zum Schutze der Wehrkraft des deutschen Volkes und gegen die Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen. Die Hilfsarbeiterin Frl. Erna Weiss musste für zwei Monate ins Gefängnis, der Fabrikarbeiter Paul Filipiak und die Hilfsarbeiterin Käthe Braunstein wurden zu geringen Geldstrafen verurteil. [264] Der Verein Erinnern für die Zukunft e.V. teilte nachrichtlich mit, dass beim Moerser Amtsgericht 59 Verurteilungen wegen Verstoßes gegen die Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen stattgefunden haben.


Ende der Zwangsarbeit

Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad (Kapitulation 2. Februar 1943) trat die Kriegswende im Osten ein. Die Rote Armee der Sowjetunion konnte Sieg um Sieg erringen und stieß kontinuierlich nach Westen vor und drängte, bei selbst verlustreichen Kämpfen, die deutsche Wehrmacht immer weiter zurück.

An der Westfront entwickelte sich die militärische Situation nicht anders:

Am 6. Juni 1944 (D-Day) waren amerikanische, britische und kanadische Truppen an der Küste der Normandie gelandet und hatten mehrere Brückenköpfe gebildet. Die deutsche Wehrmacht geriet in die Defensive und musste sich zurückziehen. Die Kampfhandlungen sollten 9 Monate dauern, bis Anfang März 1945 die alliierten Truppen den Rhein erreicht hatten. Mit zunehmender Luftüberlegenheit der englisch-amerikanischen Air Force -Kräfte kamen die Alliierten ihrem strategischen Ziel immer näher, die Schlüsselindustrie der Kriegsrüstung durch Flächenbombardierung zunehmend stärker zu zerstören, da die deutsche Luftwaffe so gut wie ausgeschaltet worden war. Der Großraum Duisburg und seine Randgebiete mit Rheinhausen, Homberg und Teile des Kreises Moers (z. B. Meerbeck: Rheinpreußen-Treibstoffwerk) wurden zu einem Schwerpunkt der großflächigen Vernichtungsangriffe. Leidtragend wurde dabei mehr und mehr die Zivilbevölkerung, die teilweise versuchte, sich durch Flucht in ländliche Gebiete zu retten. Am 14./15. Oktober 1944 warfen in drei Angriffswellen weit über 1.000 Flugzeuge ihre Bomben ab. Die Bombenteppiche schlugen in erster Linie in Duisburg-Mitte, Ruhrort (Hafengebiet) sowie Homberg und Rheinhausen ein.

(Homberg hatte 62 Tote, Duisburg ca. 2500 Tote zu beklagen.) [265]

In Homberg gab es erhebliche Bombenschäden in den Betrieben (Sachtleben und Mühlenbetriebe) sowie an Wohnhäusern, Straßen und Versorgungsleitungen. Die Schäden wurden - soweit dies möglich war - kurzfristig durch den zusätzlichen Einsatz von Zwangsarbeitern bzw. zivilen Arbeitskräften repariert und funktionsfähig gemacht.

Doch die alliierten Luftstreitkräfte legten nach. "Die Luftangriffe vom 22. Januar und vom 21. Februar 1945 haben die Produktion vieler Industriebetriebe in Duisburg abrupt beendet; das gleiche ereignete sich in Rheinhausen und Homberg." Daraus ergab sich die Notwendigkeit, "daß faktisch arbeitslos gewordene Ausländer in Gebiete gebracht werden sollten, wo kriegswirtschaftliche Produktion noch möglich war." [266]

Nach diesen schweren Luftschlägen waren wohl auch alle ausländischen Arbeitskräfte aus den Lagern in Homberg und andernorts über den Rhein nach Duisburg geschafft worden; denn es konnte sich nur noch um Tage handeln, bis die alliierten Truppenverbände das linke Rheinufer bei Homberg erreichen würden. Am 5. März 1945 marschierten schließlich amerikanische Kampftruppen in Homberg ein. Am Tage zuvor waren die Brücken zwischen Duisburg und seinem linken Rheinufer auf Befehl aus Berlin gesprengt worden. (Darunter war auch die Admiral-Scheer-Brücke zwischen Homberg und Ruhrort.) Duisburg war nun Frontstadt.

Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8./9. Mai 1945 wurde die Diktatur des Nationalsozialismus über das deutsche Volk beendet.


Sühne für die NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Kriegsende

Die juristische Verfolgung von in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen war von den Alliierten im Kriegsverlauf beschlossen worden und begann sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Der einleitende Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher fand vor einem eigens eingerichteten internationalen Militärtribunal (IMT) statt. Bevor es zu Anklagen und Verurteilungen kam, löste das IMT (oder IMG = Internationaler Militärischer Gerichtshof) das "Korps der Politischen Leiter" der NSDAP auf. Zu diesem "Korps" gehörten alle politischen Funktionsträger innerhalb der Partei. Das "Korps" wurde als "Verbrecherische Organisation" eingestuft, weil es gegen internationales Recht verstoßen und im Einzelfall sich als Täter oder Mithelfer schuldig gemacht hatte im Sinne eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.

Für Deutschland, wo man die nicht geflohenen NS-Täter unproblematischer verfolgen und ergreifen konnte, hatten die Alliierten die sogenannte Entnazifizierung beschlossen. Diese sollte ein erster Schritt zur strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit sein.

Das Maßnahmenbündel der Entnazifizierung bedeutete u.a.:

  • die Auflösung der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen,
  • eine totale Entmilitarisierung,
  • eine umfassende Demokratisierung der deutschen Gesellschaft,
  • die Verfolgung von Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs
  • und die Internierung von Personen, die als Sicherheitsrisiko für die Besatzungstruppen galten.

Im Fall einer Strafverfolgung durch einen öffentlichen Kläger nahm das "Spruchgericht/Spruchkammer" eine Einstufung des jeweiligen Angeklagten als "Hauptschuldiger (I), Belasteter (II), Minderbelasteter (III), Mitläufer (IV) und Nichtbelasteter (V)" vor. Nach Einschätzung des Gerichts wurde dann auch eine entsprechende Sühnemaßnahme angeordnet. Gegen die Einstufung des öffentlichen Klägers trug der Betroffene die Beweislast, d.h., er musste den Beweis dafür antreten, in eine günstigere Gruppe eingestuft zu werden. Meist erfolgte dies durch eidesstattliche Erklärungen von Zeugen, die bestätigten, dass der Angeklagte durch seine privaten Aussagen eine moralische Gegnerschaft zum NS-Gewaltregime hat erkennen lassen.

Bereits im Laufe des Jahres 1946 wurden die Gerichtsverfahren den Spruchkammern der einzelnen Besatzungszonen übertragen.

Hier muss das Problem aufgezeigt werden, dass alle Richter während der nationalsozialistischen Diktatur rechtskräftige System-Urteile treffen mussten. [267]

"Ehemalige NS-Richter und Staatsanwälte kehrten sehr bald in ihre Amtsstuben zurück und setzten in der jungen Bundesrepublik erfolgreich ihre Karriere fort."[268]

Sie mussten vor allem aber moralisch in der Lage sein, sich von den Grundsätzen der menschenverachtenden NS-Rechtsprechung radikal abzuwenden, um die neuen Grundwerte einer demokratischen Gesellschaftsordnung zu vertreten, in der die Würde des Menschen unantastbar geworden war.

War die Zwangsarbeit im Nazi-Deutschland auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

Das Justizministerium des Landes NRW hat im Jahr 2001 den 10. Band zum Thema Juristische Zeitgeschichte herausgegeben, in dem Volker Zimmermann den Bereich "Düsseldorf und die Strafprozesse wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen" abhandelt unter dem Titel: "Täter vor Gericht"

In diesem Skriptum wird das Verfahren gegen den Gaupropagandaleiter im Gau Düsseldorf Hermann Brouwers beschrieben und kommentiert.

"Das Gericht in Recklinghausen verurteilte Brouwers im März 1947 zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis und zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Reichsmark. Zwei Jahre der Internierung wurden angerechnet, sodass er de facto nur mit einer Haftstrafe von einem halben Jahr büßen sollte." [269]


Der Fall Hermann Brouwers

Hermann Brouwers war gebürtiger Homberger, Jahrgang 1900.

Sein Vater war Arbeiter. Er hatte noch vier Geschwister. Nach einer kaufmännischen Ausbildung bei der Buchdruckerei Emil Hadtstein in Homberg arbeitete er dort bis zum 31.12 1920 als kaufmännischer Angestellter. In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Zwanzigerjahre war er nie arbeitslos. Durch Fernlehrgänge verbesserte er ständig seine Allgemeinbildung. Brouwers wird als Idealist beschrieben, der über viele Jahre eine ehrenamtliche Funktion im Bildungs- und Wanderverein im Reichsbund der katholischen Jugend bekleidete. Das politische Ziel dieser Vereinigung war u.a. die Erneuerung von Volk und Reich nach dem Schmach-Frieden von Versailles.

Am 1. Mai 1930 trat er der NSDAP bei und wurde "zur gleichen Zeit zum Ortsgruppenleiter" bestellt (Ortsgruppe Homberg). Bereits im Februar 1931 berief ihn der Gauleiter von Düsseldorf zum Ortsgruppenleiter von Groß-Solingen. Brouwers machte als begabter Parteiredner auf sich aufmerksam. Sein sozialer Aufstieg war damit vorprogrammiert.

Am 1. Januar 1933 wurde er zum hauptamtlichen Gaupropagandaleiter im Gau Düsseldorf berufen. 1934 nahm er die Aufgabe des Landeskulturwalters wahr. In dieser Funktion hatte er engen Kontakt zur Kunst- und Kulturszene, insbesondere im Düsseldorfer Künstlermilieu. Er stand künstlerischer Kreativität im Rahmen seiner Möglichkeiten wohlwollend gegenüber. 1936 wurde er aufgrund seines Redetalents zum Reichsredner befördert. Seine Düsseldorfer Amtszeit wurde dann 1940 für drei Jahre unterbrochen. Ab Juli 1940 bis Juli 1943 war er Soldat der Wehrmacht (Propaganda-Abteilung/-kompanie) in Belgien und Finnland.

Am 1. 5.1945 wurde er verhaftet. Vom 1. 7.1945 bis zum 28. April 1948 saß er in Internierungshaft in Recklinghausen. Am 17. März 1948 wurde er vom Spruchgericht Recklinghausen "Im Namen des Rechts!" verurteilt.

In der Begründung des Urteils wird die Rechtsgrundlage seiner Verurteilung deutlich: Brouwers wurde wegen der Zugehörigkeit zum Korps der politischen Leiter der NSDAP, das durch das Nürnberger Urteil zu einer verbrecherischen Organisation erklärt worden war, angeklagt und verurteilt, denn "er hatte

1. Kenntnis von allen Maßnahmen gegen die Juden gehabt, wie die Einführung des Judensterns, die Deportation der Juden, ihr Einsatz zur Zwangsarbeit und ihre Verbringung in Ghettos und Konzentrationslager. Jede Maßnahme für sich allein betrachtet, stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

2. Der Angeklagte hatte Kenntnis von dem verbrecherischen Zwangsarbeiterprogramm, durch das Millionen ausländischer Arbeiter zur Zwangsarbeit in allen Zweigen der deutschen Wirtschaft ins Reich geschafft und hier unmenschlich harten Lebensbedingungen unterworfen wurden. Er wusste, dass mindestens ein Teil der eingesetzten ausländischen Arbeiter gegen ihren Willen ins Reich gekommen war … . Er wusste ferner, dass die restlose Ausnutzung der Arbeitskraft und die grösstmögliche Leistung allein die Behandlung der Arbeiter bestimmte und dass sie im übrigen weitestgehenden Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit unterlagen. Er wusste schließlich, dass die Fremdarbeiter entrechtet waren, sie hatten keine Möglichkeit, ordentliche Gerichte zu ihrem Schutz anzurufen und unterlagen bei irgendwelchen Verfehlungen der Gerichtsbarkeit der Gestapo, die unmenschlich strenge Strafen für die geringsten Vergehen zu verhängen pflegte. So wurde Geschlechtsverkehr eines Polen mit einer Deutschen mit dem Tode bestraft. … Die zwangsweise Verschleppung ausländischer Arbeiter in das Reich zum Einsatz in der deutschen Wirtschaft sowie ihre unmenschliche Behandlung, vor allem ihre Entrechtung, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von denen der der Angeklagte Kenntnis hatte und die er auch als solche erkennen konnte."

Und weiter heißt es: " Dem unheilvollen Wirken der NS-Propaganda ist es zuzuschreiben, dass das deutsche Volk den verbrecherischen Charakter des Regimes nicht eher erkannte, als es geschehen ist." [270]

Die Kenntnis von Verbrechen (gegen die Menschlichkeit) und durch Propaganda diese zu verharmlosen oder zu rechtfertigen, bildete die Grundlage der Verurteilung. In der Schrift des Justizministeriums wird allerdings zurecht gefragt "wie sich beweisen lässt, dass die (damalige) Propaganda der Gewalt Vorschub leistete?" "Nach dem den NS-Verbrechen zugrunde gelegten Prinzip der Individualschuld ließ sich nicht einwandfrei feststellen, dass Brouwers persönlich für bestimmte Ausschreitungen verantwortlich war. Dies konnte die Anklagevertretung auch im Laufe des Prozesses nicht nachweisen." Deshalb dieses milde Urteil. [271]

Nach einem Revisionsverfahren gegen das Recklinghausener Urteil kam es am 15. Januar 1949 abschließend zu einem neuen Urteil durch die III. Spruchkammer in Bielefeld. Auszug:

"Seine Kenntnis ist zweifellos recht umfassend gewesen. Andererseits hat er selbst sich an Verbrechen nicht beteiligt. Nach den zahlreich vorliegenden Leumundszeugnissen hat er sogar manchen Gegner der Partei geholfen. In der Hauptverhandlung hat er sich offen zur Wahrheit bekannt. Es besteht durchaus der Eindruck, dass er von seinen früheren Auffassungen innerlich Abstand genommen hat."

"Der Angeklagte wird zu einer Gefängnisstrafe von - 2 zwei - Jahren und 3 - drei - Monaten und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt. Die Strafe wird auf die Internierungshaft voll angerechnet." [272]

Der Einreihungsbescheid der Kategorie III und IV vom 11. Juli 1950 wurde ihm durch den Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Land NRW zugestellt.

"Nachstehende Beschäftigungsbeschränkungen werden auferlegt:

(Er) Ist von allen Stellen in einem öffentlichen oder halböffentlichen Betrieb auszuschließen; ausserdem ist ihm zu verbieten, eine Stellung leitenden oder aufsichtführenden Charakters zu bekleiden oder eine Tätigkeit auszuüben, welche die Anstellung oder Entlassung von Personal in einem öffentlichen oder halböffentlichen Betrieb oder in einem bedeutenden Privatunternehmen mit sich bringt."

Hermann Brouwers verdiente seinen Lebensunterhalt später als selbständiger Kaufmann der "Brouwers OHG" - Verpackungsmaterialien.


Der Fall Heinrich Kost

Wie bereits aufgezeigt, spielte Heinrich Kost als Generaldirektor bei Rheinpreußen in der Zwangsarbeiterfrage in Homberg und darüber hinaus eine bedeutende Rolle.

Wer aber war Heinrich Kost?

Heinrich Kost wurde 1890 in Betzdorf/Siegerland (heute Rheinland- Pfalz) geboren. Er katte noch fünf Geschwister. Sein Vater leitete als preußischer Bergmeister das dortige Bergrevier. Nach dem Abitur studierte Heinrich Kost das Fach "Bergfach " in München und Berlin. Er trat der studentischen Verbindung, dem Berg- und Hüttenmännischen Verein bei, der als wichtiger Knotenpunkt der personalen Netzwerke der Bergbauelite fungierte. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil. 1921 beendete er seine akademische Ausbildung mit dem Bergassessoren-Examen. In den Zwanzigerjahren übernahm er führende Positionen bei verschiedenen Zechenanlagen, die er allesamt zu modernen Unternehmen entwickelte. [273]

1925 heiratete Kost Martha Pattberg, Tochter von Heinrich Pattberg, dem Generaldirektor der Zeche "Gewerkschaft Rheinpreußen" in Homberg. Am 1. 1. 1932 wurde er Nachfolger seines Schwiegervaters. Er war Homberger Bürger bis 1937.

"Politisch vertrat er - wie die Mehrheit der Bergbauunternehmer - die nationalistischen und antidemokratischen Ziele der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), deren Pateiprogrammatik Nationalismus, Antisemitismus, monarchistischen Konservatismus sowie völkische Elemente enthielt. 1932 schloss er sich dem Stahlhelm an, einem der DNVP nahestehenden, paramilitärischen Sammelbecken rechtsnationaler und republikfeindlicher Kreise. Aussagen von ihm zur NS-Ideologie sind nicht bekannt." [274]

"Im Juni 1933 (aber) nahmen ihn die Nazis sogleich mit in den mächtigen, nur sechs Mitlieder zählenden "Kreisausschuss" (Anm.: Kreis Moers), der den gewählten Kreistag ablöste, und zwar unter dem Vorsitz des NSDAP-Kreisleiters Karl Bubenzer. 1934 trat Heinrich Kost der NSDAP bei und wurde vom Homberger Bürgermeister Friedrich Sonnen in die Riege der vierzehn Ratsherrn berufen, welche die Aufgabe hatten, den Bürgermeister zu beraten. Bereits 1937 schied Kost aus dem Rat aus, da er nach Kapellen/Moers umzog.

Der 1. Mai 1939 war ein unternehmerischer Erfolgstag für Kost und Rheinpreußen: " Mit allem Propagandaaufwand, dessen das Unternehmen und die NS-Verantwortlichen fähig waren, wurde das kriegswichtige große Treibstoffwerk in Moers-Meerbeck eingeweiht. Kost hatte es geschafft mit seinen Chemie-Ingenieuren die Kohle zu veredeln, um daraus nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren Treibstoff herzustellen. Ein Beitrag für die Kriegswirtschaft von eminent wichtiger Bedeutung.

1941 wurde Kost von höchster Stelle zum "Wehrwirtschaftsführer" benannt und im April 1942 übernahm er den Vorsitz im "Russenausschuss" (s.o.). In diesem Gremium wurden u.a. Überlegungen beschlossen, die Leistungsfähigkeit der russischen Kriegsgefangenen unter Tage durch bessere Ernährung zu steigern. Diese Input - Output - Strategie zeigte auf, dass der russische Kriegsgefangene nicht als Mensch, sondern wie ein Sklaven behandelt wurde. [275]

In den Veröffentlichungen über Heinrich Kost findet man so gut wie keinen Beitrag, der ihn als ethisch - moralischem Menschen beschreibt. Die Ausnahme scheint zu sein, dass er gegen Ende des Krieges eine Jüdin in der Jagdhütte in Winnekendonk versteckt gehalten hatte. Aber das konnte er sich - wie im Fall Lewen in Essenberg – "leisten", weil er in der örtlichen und regionalen Hierarchie der Nationalsozialisten maßgeblich Einfluss nehmen konnte. Seine politischen Betätigungen werden bei der Beurteilung von Kost grundsätzlich ausgeblendet.

Doch die Faktenlage ist eindeutig:

Seine politische Gesinnung war stets deutschnational. Er trat der NSDAP bei, wurde Mitglied im Kreis Moerser "Kreisausschuss" und Ratsherr in Homberg (1934 – 1937). Der Kreisausschuss hatte Einfluss auf die Verteilung der Zwangsarbeiter auf Kommunen und Unternehmen im Kreisgebiet. Die Einrichtung eines Gefangenenlagers bzw. Zwangsarbeiterlager auf dem Rheinpreußenschacht III - Gelände muss zwischen BM Sonnen und ihm beschlossen worden sein, da nur Kost über das Betriebsgelände verfügen konnte. Kost hatte nicht nur Kenntnis von Zwangsarbeit, er war Verantwortlicher, also Täter, gegenüber "seinen" Zwangsarbeitern bei Rheinpreußen.

Kost hat auch nachweislich persönlich in das Schicksal eines niederländischen Zivilarbeiters eingegriffen. Mit seinem Brief an die Krefelder Gestapo vom 18. Januar 1943 zeigte er den Niederländer Albertus Kleine an, gegen das Rauchverbot auf dem Treibstoffwerk in Meerbeck verstoßen zu haben, weil der Betroffen in der Abortanlage der Kontaktofenhalle geraucht hatte. (Anlage H)

Der Verurteilte war bis zum Mai 1944 im KZ Sachsenhausen gefangen. Am 17. Mai meldete er sich bei der Gestapo in Krefeld zurück. Im selben Monat wurde eine Anzeige des "Treibstoffwerkes" bei der örtlichen Polizei im Utforter Rathaus gegen den niederländischen Mitarbeiter Johannes Kemperman eingereicht, welcher der Arbeitsunwilligkeit beschuldigt wurde und gegen die Betriebsordnung verstoßen habe.

(Anlage I)

Er wurde dem KZ Buchenwald zugeführt. Johannes Kemperman verstarb im KZ Buchenwald am 9. April 1943. [276]

Heinrich Kost verschwieg seine Beihilfe zur Zwangsarbeit im Russenausschuss nach dem Krieg. Er wusste aus der Praxis seines Unternehmens, wie "seine" Zwangsarbeiter seelisch und körperlich gelitten haben, wie sie bestraft und unmenschlich behandelt wurden und im schlimmsten Fall auch umkamen. Im Sinne der Rechtsprechung nach dem Nürnberger Tribunal hatte sich Kost des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Wie im Fall der Anklage gegen den Gaupropagandaleiter Hermann Brouwers hätte gegen Heinrich Kost damals ein öffentliches Anklageverfahren eingeleitet werden müssen. Das geschah aber nicht.

"Nach Kriegsende galt Kost als politisch unbelastet, auch wegen seiner fachlichen und unternehmerischen Leistungen sahen die Entscheidungsträger der Besatzungsmächte in der Bizone (Anm.: amerikanische und englische Zonen, die französische kam am 8. 4. 1949) in Heinrich Kost eine ideale Besetzung für die Spitze der Deutschen Kohlebergbauleitung (DKBL). [277]


Statt Untersuchungsprozess – Fortsetzung der Karriere

Nach der erfolgreichen Reprivatisierung der Zechen wurde Kost 1953 Präsident der neu geschaffenen "Wirtschaftsvereinigung Bergbau". Darüber hinaus gehörte Kost den Aufsichtsgremien zahlreicher weiterer Unternehmen an und bekleidete in den bergbaulichen und industriellen Verbänden zahlreich Spitzenfunktionen und Ehrenämter. Kost erhielt eine Vielzahl von Würdigungen und Ehrungen für seine Leistung für die deutsche Wirtschaft.


Die Ehrenbürgerschaft der Stadt Homberg für Heinrich Kost

Wer das Leben von Heinrich Kost in biografischen Beschreibungen nachliest, stellt fest, dass wiederholt der Begriff "ambivalente Persönlichkeit" als kritische Formulierung auftaucht. Seine systemkonformen (angepassten) Verhaltensweisen als Mitglied der NSDAP (Zwangsarbeit, Russenausschuss) gegenüber der Parteilinie waren in den Fünfzigerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich noch nicht öffentlich bekannt. Dass er in den letzten Kriegsmonaten die jüdische Ehefrau des wohl befreundeten Bergrats Werner Lieber in seiner Jagdhütte in Winnekendonk versteckt hatte, wird sicherlich nach dem Krieg bekanntgemacht worden sein.

Aufgrund der zahlreichen Ehrungen, die Heinrich Kost für seine unternehmerische Leistung nach dem Krieg erhielt, wollte der Rat der Stadt Homberg wohl nicht nachstehen und verlieh ihm 1960 die Ehrenbürgerschaft. In keinem städtischen Verwaltungsbericht ist nachzulesen, inwieweit sich Kost zum Wohle der Stadt Homberg verdient gemacht hat.

Widerstand und Verfolgung in Homberg während der NS-Zeit 1933 – 1945

Unrecht und Widerstand

Ist es angebracht, sich heute noch mit dem deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu beschäftigen? Also mit einem Widerstand, der erfolglos und deshalb auch offensichtlich bedeutungslos war, denn: - der Lauf der Geschichte konnte nicht im Geringsten beeinflusst werden, - das einzige erfolgversprechende Unternehmen, das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, endete mit einem völligen Fehlschlag.

Auch wenn der Widerstand gegen die Nazi-Diktatur erfolglos blieb, er war moralisch gerechtfertigt, denn Widerstand gegen Unrecht, sprich: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ist immer gerechtfertigt. (1)

Das Bild des deutschen Widerstands nach Hitlers Machtübernahme 1933 ist vielfältig. Zwar unterstützte eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung das Hitler-Regime bis 1945, jedoch leisteten einzelne Gruppen erheblichen Widerstand. Sie bestanden aus Männern und Frauen unterschiedlichster Herkunft, Berufe, und Orientierungen – unter ihnen Arbeiter, Offiziere, Zivilisten, Studenten und Adlige. Der früheste und konsequenteste Widerstand gegen die NS-Diktatur wurde von den Gruppen getragen, gegen die sich das NS-Regime zuerst gewendet hatte: Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Nach der Zerschlagung ihrer Organisationen agierten ihre Mitglieder häufig im Untergrund oder aus dem Exil.

Von Bedeutung waren auch weniger sichtbare Formen des Widerstands: Der Aufbau subversiver Informationsnetze, das Verstecken Verfolgter, die Fälschung von Pässen für jüdische Bürger, Verbreitung von Nachrichten der BBC, das heimliche Verteilen von Brot an ausländische Zwangsarbeiter, die Verweigerung des Hitlergrußes. Am häufigsten wurde wohl die Verteilung von Flugblättern eingesetzt, um zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufzurufen. Bekannt ist heute noch die "Weiße Rose": Die Münchener Studenten um Hans und Sophie Scholl hatten mit Flugblättern ihren Widerstand zum Ausdruck gebracht. Im Jahr 1943 wurde das Geschwisterpaar von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gefasst. Die NS-Richter verurteilten sie wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer "verbrecherischen Organisation" zum Tode. Sie wurden mit dem Fallbeil hingerichtet. (2) Ein spezifisches Merkmal für die Widerständler war die gleichgesinnte, solidarische Zusammenarbeit aller unterschiedlichen Gruppierungen während der Hitler-Diktatur:

Im gemeinsamen Kampf gegen den NS-Terror wurden tradierte politische Meinungs- und Glaubensfragen nivelliert und sogar toleriert. "Unter denen, die "dagegen" waren, herrschten damals durchweg Verständnis, Kameradschaft und Hilfsbereitschaft. Dies galt auch im Verhältnis zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten und verfolgten Christen." (3) Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 wurden die politischen Ziele der Widerständler schließlich erfüllt und in der Fassung des Grundgesetzes festgeschrieben. Unser zweiter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Gustav Heinemann (1969 – 1974) wird mit folgenden Worten zu dieser Thematik zitiert: "Wir haben heute das großartige Angebot einer freiheitlichen, rechtstaatlichen und sozialen Demokratie in unserem Grundgesetz. Für diese Grundrechte ist in unserer Geschichte gekämpft worden. Diese Vorgänge sollen ans Licht gebracht und weit stärker als bisher im Bewußtsein unseres Volkes verankert werden." Diesem Aufruf soll mit den Aufzeichnungen über den Widerstand in Homberg gefolgt werden. Die Datenlage ist auch für Homberg sehr begrenzt. Dennoch ist es den Versuch wert, von den uns bekannten Menschen aus Homberg zu berichten, die in der Zeit des Nationalsozialismus unter Einsatz von Freiheit und Leben für Menschenrechte und Demokratie, für eine bessere Gesellschaft gekämpft haben. Diese Frauen und Männer verdienen es, dass ihre Geschichte im Bewusstsein unserer Gemeinschaft bewahrt bleibt. Und wenn unsere Jugend Vorbilder braucht, dann wäre es gut, wenn sie diese auch in den Reihen des deutschen Widerstands sucht. (4)

Die "Homberger Vorfälle"

Mit dem Tag der Berufung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 festigte sich bei Vertretern der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in der Arbeitersiedlung Rheinpreußen in Homberg – Hochheide der Wille, den zu erwartenden Hausdurchsuchungen und Festnahmen durch die Nazis mit ihrer Schlägertruppe SA (Sturmabteilung: Eine parteieigene Polizei der NSDAP, die gegen politische Gegner mit Gewalt vorgingen) entschlossen entgegenzutreten. Nicht wenige der Arbeiter besaßen Karabiner und Pistolen. (5) "Am Abend des 30. Januar machten die Anhänger der NSDAP als Zeichen der Machtergreifung im Homberger Rathaus einen Fackelzug durch die Straßen der Stadt. Dabei zogen sie auch durch die Zechenkolonie in Hochheide. Die polizeiliche Begleitung, die sich der - offenbar durch diese Provokation - entstehenden Gefahr nicht aussetzen wollte, blieb vor der Kolonie zurück. In der Kolonie wurde der Fackelzug beschossen. Am folgenden Tag herrschte bei den Nationalsozialisten eine erhebliche Nervosität. Diese steigerte sich, als bekannt wurde, dass kommunistische Erwerbslose die Absicht hatten, am 1. Februar vormittags geschlossen zum Homberger Rathaus zu ziehen, um ihre Wohlfahrtsunterstützung abzuholen. Die Nationalsozialisten besetzten ab 10:00 Uhr mit zahlreichen SA- und SS-Mitgliedern (Schutzstaffel als Spezialeinheit), den Bereich Moerser Straße/Augustastraße. Mittlerweile hatten sich auch Hunderte von Homberger Bürgern dort versammelt, um eventuelle Zwischenfälle zu beobachten. Aber der erwartete Zug der kommunistischen Erwerbslosen aus Hochheide blieb aus. Die anwesende kommunale Polizei versuchte daraufhin mit neun Beamten und 16 Landjägern unter der Führung von Landjägermeister Pliehs die Augustastraße wieder zu räumen und drängte die Menge in Richtung Wilhelmstraße. In der Wilhelmstraße Nr. 4 befand sich damals das Homberger SA-Heim. Herauskommende SA- und SS-Männer blockierten den zurücklaufenden Menschenstrom. Es entstand ein Gedränge. Einige Nationalsozialisten nahmen eine drohende Haltung ein. Plötzlich vielen Schüsse. Es wurde von verschiedenen Seiten geschossen. Eine Zuordnung war für Augenzeugen nicht möglich. Vier Nationalsozialisten und ebenso viele Landjäger wurden verletzt. Der SS-Mann Paffrath und der SA-Mann Markus sind an ihren Verletzungen gestorben. Nunmehr zogen sich die Nationalsozialisten in das SA-Heim zurück; die Landjäger und Polizisten flüchteten teils zum Rathaus, teils in die Schillerstraße hinein. SA- und SS-Männer nahmen die Verfolgung auf. Der Landjägermeister Pliehs floh in die Schillerstraße und versuchte sich im Garten des Hause 23 zu verstecken. Er wurde brutal ermordet. Der Obduktionsbericht ergab, dass Pliehs zwei Rückenschüsse, einen Armschuss und vier Kopfschüsse erhalten hatte." Wer die tödlichen Schüsse auf Markus und Paffrath abgegeben hatte, konnte den Nationalsozialisten gleichgültig sein. Sie wurden zu Märtyrern der Bewegung gemacht, und bald darauf wurde die Wilhelmstraße in Markus - Paffrath - Straße umbenannt (bis 1945)". (6) In Berlin reagierten die Nationalsozialisten mit größter Härte: "Der ganze Stadtteil Hochheide mit seinen Zechenkolonien und Arbeiterwohnvierteln wurde durch hunderte schwerbewaffnete Polizisten, unterstützt von SA und SS, völlig abgeriegelt. An allen Straßenkreuzungen standen bewaffnete Polizeiposten. Auf Polizeiwagen waren leichte MGs aufgebaut. Haus für Haus wurde nach Waffen durchsucht, aber bei keinem aktiven Arbeiterfunktionär wurden belastende Materialien oder gar Waffen gefunden. Dennoch wurden viele Arbeiter beschimpft, bedroht, misshandelt und einige verhaftet. Mit terroristischen Großaktionen wie dieser wurde zwar mancher eingeschüchtert, aber der organisierte Widerstand gegen die Nazis ging weiter." (7)

Der Fall Anton Burkeltz, KPD

Die Machtdemonstration der NSDAP, kämpferisch unterstützt durch die Schlägertrupps von SA und SS, führte der Bevölkerung drastisch vor Augen, dass eine neue Zeit angebrochen war. Die Anpassung an den "Zeitgeist" gelang vielen Deutschen offensichtlich mühelos. "Die Nationalsozialisten konnten sicher sein, dass ihnen vom Verwaltungs- und Polizeiapparat keine Gefahr drohte." (8) Der Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933, der den Kommunisten angelastet worden war, in Verbindung mit dem Erlass der Reichsbrandverordnung am Tag danach, führte dazu, dass die Nazis nun offen gegen kommunistische "Terroristen und Waffenbesitzer" vorgehen konnten. Am 1. März 1933 wurden in den Gemeinden des Kreises Moers 65 politische Führer der KPD, davon 6 (später 2 weitere) aus Homberg verhaftet. Grundsätzlich war es üblich, bei Mitgliedern der KPD Hausdurchsuchungen zu veranlassen. (9) Eine solche Hausdurchsuchung fand am 3. März 1933 im Haus 134 in der Hahlenerstraße statt, in dem ein Mitglied der KPD wohnte. In dem Zeitungsartikel des "Grafschafter" vom 6. März, basierend auf dem Bericht der Landeskriminalpolizei Düsseldorf, geht hervor, dass "eine Anzahl von NSDAP-Leuten die Wohnung und den angrenzenden Stall nach Waffen durchsuchten. Nach Angabe der NSDAP-Leute soll ein Schuss in den Stallraum abgegeben worden sein. Darauf wurde das Feuer von den NSDAP-Leuten erwidert. Danach hatte sich der Wohnungsbesitzer mit dem später auf dem Heuboden vorgefundenen Anton Burkeltz nach dort geflüchtet. Durch die Ehefrau wurde die Polizei benachrichtigt, die die Leiche (Anm.: von Burkeltz) dort auf dem Heuhaufen vorfand." (10) Im Bericht der Kriminalpolizei spricht der Wohnbesitzer die Vermutung aus, dass Anton Burkeltz sich selbst getötet habe, weil er schon früher mehrmals die Andeutung gemacht habe, selbst Hand an sich zu legen, falls er sich in Not befände. Diese Sinneshaltung war typisch für Widerständler, die in eine aussichtslose Situation mit den Nazi-Schergen geraten waren. Sie wollten verhindern, dass durch Erpressung und Folter Namen und Fakten erzwungen werden konnten, die zu weiteren Morden an ihren Kameraden geführt hätten. Diese Gesinnung spricht für sich. Parallel zur Verfolgung der Kommunisten wurden auch Mitglieder der SPD verfolgt und in Schutzhaft genommen, was oft Gefängnisstrafen oder gar den Tod zur Folge hatte. Allein in der Zeit zwischen dem 15. und 30. Juni 1933 wurden 19 Homberger Sozialdemokraten in Schutzhaft genommen. In der Schutzhaft wurden die Betroffenen durch Repressalien bis zur Folter zu Denunzierungen gezwungen. Aufgrund des Aufrufs der SPD-Leitung zum Sturz des nationalsozialistischen Regimes verbot Reichsinnenminister Wilhelm Frick die SPD am 22. Juni 1933 als "volks- und staatsfeindliche Organisation": Dies hatte zur Folge, dass sich wenige Tagen später alle anderen Parteien der Weimarer Republik mit Ausnahme der NSDAP selbst auflösten. Am 14. Juli 1933 folgte das "Gesetz gegen die Neubildung von Parteien". Damit war gesetzlich festgeschrieben, dass alle politischen Parteien im Reich außer der NSDAP verboten waren.

Der Fall Alexander Ruland, KPD

Der folgende Bericht ist die gekürzte Wiedergabe von Protokollen und Schriftwechseln zwischen den Polizeibehörden in Homberg, Geheime Staatspolizei (Gestapo) Düsseldorf und Außenstelle Essen. Für Erklärungen und Zusammenfassungen wird die Kursivschrift gewählt. (Wörtliche Wiedergabe!)

Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde

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Im Bericht zu Alexander Ruland wird ausgeführt:

Ruland hat sich durch Beteiligung an vorher verabredeten Treffs, bei denen die Aufbaumöglichkeiten der ill. KPD. besprochen wurden hochverräterisch betätigt. Ferner hat er eingestandenermassen die Funktion eines Sicherheitsmannes übernommen und ausgeübt und hat auch die Zusage gemacht, durch Nachrichtenübermittlung die ill. Arbeit zu unterstützen." (12) Seit dem 12.10.36 konnten in dieser Sache weitere 16 Personen festgenommen werden, die sich ebenfalls an dem Aufbau der ill. KPD. mehr oder weniger beteiligt … und z.T. Versuche unternommen haben, weitere Personen für die ill. Mitarbeit zu gewinnen. (13)

Die Liste der in Schutzhaft genommenen Mitglieder der KPD weist als Beruf zwei Arbeiter und 16 Bergleute aus, die in Moers, Meerbeck, Repelen-Rheim, Neukirchen-Vluyn, Kamp-Lintfort und Homberg wohnten. (14) "Unter dem irreführenden Begriff "Schutzhaft" wurden in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland Regimegegner und andere missliebige Personen allein aufgrund einer polizeilichen Anordnung inhaftiert, ohne dass dies einer richterlichen Kontrolle unterlag. Dies geschah anfänglich überwiegend durch Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen wie SA und SS, später durch die auch aus SS-Angehörigen bestehende Gestapo. Die Gefangenen wurden in - der nationalsozialistischen Partei unterstehenden - Haftstätten und KZ-Lagern festgehalten, misshandelt und auch ermordet." (15)

"Alexander Ruland, der nach dem Krieg ein Grab auf dem Homberger Ehrenfriedhof erhielt, wird unmittelbar nach der Verhaftung von der Gestapo zu Tode gequält. Die erhaltenen Dokumente behaupten, er habe sich, nachdem er einen Freund aus Neukirchen schwer belastet habe, mit einem Taschentuch erhängt. Dies läge schon wegen seines ausgeprägten proletarischen Ehrbegriffs nahe. Die geläufige Gestapo-Legende, jemand habe sich aus Gram darüber den Tod gegeben, dass er Freunde schwer belastet habe, wird im Kapitel über den SPD-Widerstand wiederkehren." (16)


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"Fünf der 18 Personen, die um den 12. Oktober 1936 wegen gemeinsamen Hörens des Moskausenders und anderer Delikte verhaftet wurden, werden ihren Widerstand mit dem Tod bezahlen. Zwei werden freigesprochen, die übrigen werden zu Freiheitsstrafen zwischen zwei und zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Die zahlreichen Verhaftungen und Morde schwächen die KPD und ihre Nebenorganisationen entscheidend. Bereits ab 1935 konnte die KPD reichsweit nicht mehr damit rechnen, dass sich Aktivisten weiter opfern ließen. Zugleich findet ein Umdenken statt: die Genossen von der SPD sind jetzt nicht mehr der "sozialistische" Feind. Vielmehr beschließen die Parteien auf ihrem Brüsseler Exiltreffen im Oktober 1935 die Strategie der gemeinsamen Volksfront." (18)

SPD-Widerstand Brotfabrik "Germania"

Die Brotfabrik Germania des sozialdemokratischen Inhabers August Kordahs gab diesem Widerstandskreis seinen Namen, weil die Brotfahrer der Brotfabrik diesen Kreis aufgebaut hatten. Die Tätigkeit des Widerstandskreises aus Duisburg Hamborn erstreckte sich auf

- die Verteilung illegaler Schriften, die, aus dem Ausland eingeschmuggelt, über den Terror und die Kriegsvorbereitungen der Nazis aufklärten, - einen Nachrichtendienst, der Informationen aus den Betrieben, Wohngebieten und Städten sammelte und an die im Exil befindlichen Widerstandsorganisationen weiterleitete und - die Zusammenarbeit mit allen antifaschistischen Gruppen der verbotenen Arbeiterbewegung. Der von der Brotfabrik "Germania" aus organisierte Widerstand erstreckte sich räumlich von der holländischen Grenze im Westen und Nordwesten bis nach Köln, dem Bergischen und dem Sauerland sowie nahezu über das gesamte Ruhrgebiet. (19)

Damit war der erste Schritt für die – später bedeutendste – sozialdemokratische Widerstandsorganisation am Niederrhein etwa im Juni 1933 getan worden." (20) "Der Widerstandskreis um die Brotfabrik Germania stand in erster Linie zu der Exilorganisation SOPADE (Sozialdemokratische Partei Deutschland) in Verbindung. Die SOPADE war von einem Teil des ehemaligen SPD-Parteivorstandes, der über Saarbrücken nach Prag emigriert war, gegründet worden. Er hatte erkannt, im Gegensatz zur verbliebenen Berliner Parteiführung, daß es, trotz aller selbstverleugnenden Anpassungen, unter der Naziherrschaft keine freie legale Parteiarbeit geben konnte. Deshalb organisierte die SOPADE von sog. Grenzsekretariaten (im Ausland) aus die illegale Widerstandstätigkeit gegen die NS-Terrorherrschaft im Deutschen Reich. Diese taktische Einschätzung erwies sich als richtig: Nach der Ausschaltung der KPD durch die Inhaftierung ihrer nahezu gesamten Führung Anfang März 1933, der Zerschlagung der Freien Gewerkschaften mit ihrem blutigen Höhepunkt in Duisburg am 2. Mai1933 (gewaltsame Zerschlagung der Duisburger Gewerkschaft), erfolgte am 22. Juni 1933 schließlich das Verbot der SPD." (21) Die Nazis interessierte nichts anderes als die uneingeschränkte Macht. Deshalb ging Adolf Hitler mit aller Brutalität gegen seine stärksten Widersacher aus dem Lager der Marxisten (gemeint war die SPD) und Kommunisten vor, um innere Ruhe und Ordnung herzustellen. Hitlers Zitate sind eindeutig: "Innere Ruhe gibt es aber nicht eher, bis der Marxismus erledigt ist. Hier liegt die Entscheidung, der wir entgegengehen müssen und ist der Kampf auch noch so schwer … : Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel. (22)


Die Rolle von Hermann Runge

Hermann Runge gehörte von Anbeginn zur Widerstandsgruppe um die Brotfabrik "Germania". Er wollte sich mit der Nazi-Herrschaft und dem Verbot seiner Partei, der SPD, nicht abfinden. Er wollte weiterhin für den Zusammenhalt seiner Parteigenossen eintreten, denn für ihn war es nur eine Frage der Zeit, bis die Nazis wieder abgewirtschaftet hätten. Er sah sich bei seiner subversiven Arbeit gegen die Nazis immer nur als der "Verbindungsmann" der Brotfahrer für Moers an. Tatsächlich war er jedoch Initiator und treibende Kraft beim Ausbau des Widerstandsnetzes, der Mann, der auch an Kongressen antifaschistischer Gruppen und Organisationen im Exil (z.B. Brüssel) teilnahm; denn dort wurden Aktionspläne gegen Nazi-Deutschland entwickelt. Als später unter den zahlreichen Verhafteten die "Rädelsführer" für einen Prozess des Volksgerichtshofes zusammengefasst wurden, richtete sich dieser gegen "Runge und andere". Den Prozessakten zufolge gewann der Angeschuldigte Sebastian Dani (aus Duisburg) "auf der Zusammenkunft in Antwerpen den Eindruck, daß Runge der leitende Funktionär für die westdeutsche Organisation war." (23) "Die Informationsmaterialien, die Runge vom Ausland einschmuggelte, verteilte er nicht nur an seine Brotfahrerkollegen zum Weiterverteilen sondern auch an die Unterverteiler im Kreis Moers: Bernhard Jung aus Moers, Paul Schneider aus Meerbeck, an den gleichnamigen Paul Schneider in Homberg-Hochheide, Hanna Niederhellmann in Ruhrort, Robert Krause in Rheinhausen, Robert Schmelzinger in Kamp-Lintfort und Josef Hellenbrock in Krefeld. (24)


Die Enttarnung der Gruppe

"Auch beim Auffliegen des Widerstandskreises um die Brotfabrik "Germania" spielt Moers eine entscheidende Rolle. Am 4. Januar 1935 schreibt Otto Suhr dem NS-Kreisleiter in Duisburg:

"Vertraulich.

In meiner Eigenschaft als Ortsgruppenleiter, Beigeordneter und Polizeidezernent der Stadt Moers sehe ich mich veranlaßt, Ihnen nachstehendes mitzuteilen. Es ist festgestellt worden, daß die Gewerkschaftssekretäre der ehemaligen SPD der Ortsgruppe Moers-Meerbeck, und zwar: Bernhard Jung, Walter Leese und Hermann Runge … bei der Firma August Kordass (Kordahs), Brotfabrik Germania in Duisburg-Hamborn … als Brotkutscher eingestellt worden sind und die hiesigen Bergarbeiterkolonien bereisen. Ihre Kundschaft setzt sich hauptsächlich aus ehemaligen Marxisten zusammen und dürfte ihre Beschäftigung mit einer getarnten politischen Tätigkeit verbunden sein. Ich bitte Sie, darüber Feststellungen zu treffen, und den betreffenden Betriebszellenobmann darüber zu hören. Interessant wird es sein, zu erfahren, durch welche Vermittlung die Vorgenannten in den Betrieb gekommen sind. Vielleicht ist der ganze Betrieb nur von Kommunisten durchsetzt. Wer ist der Inhaber der Firma und wie ist dessen politische Einstellung? Ihrer Antwort sehe ich entgegen.

Heil Hitler!

Gez. Suhr, Ortsgruppenleiter" (25)


Am 29. Mai 1935 wurde Hermann Runge verhaftet. Im Fischer-Taschenbuch "Der rote Großvater erzählt" wird Hermann Runge zu seiner Verhaftung zitiert: "Am Vorabend waren Alfred Hitz aus Rheinhausen uns Schumacher aus Moers noch bei mir. Da bekam ich durch unseren Kurier aus Mönchengladbach die Nachricht: Hermann, in Lüdenscheid, Mönchengladbach und Köln sind führende Leute hoch. Der nächste wirst du wahrscheinlich sein. Verschwinde! Was machen wir jetzt, sagte ich zu Hitz. Emigrantenbrot essen, das ist hartes Brot. Und kann ich das, jetzt ausreißen. Ohne schon sicher zu sein, daß sie mich wirklich in den nächsten Stunden holen. Dann heißt es doch, ja, erst hat er uns in die illegale Organisation reingebracht und jetzt hat er sich verdrückt. Die Opfer sind wir. Das muß ich mir gründlich überlegen. Nachts um zwei Uhr wurde ich verhaftet." Und weiter: "Die Dortmunder Gestapo holte mich mit Hilfe der Moerser Polizei aus dem Bett und brachte mich nach Dortmund. Andere Parteigenossen … kamen nach Duisburg. In der Untersuchungshaft wurden dann Alfred Hitz aus Rheinhausen, Alex Nöthen aus Moers, Gustav Grossmann und Reinhold Büttner aus Meerbeck (Vater von Fritz Büttner, MdB 1949) von der Gestapo umgebracht." (26) In Dortmund wird Hermann Runge in das berüchtigte Folterzentrum "Steinwache" eingeliefert. Dort nehmen ihn Verhörspezialisten in Empfang, die schon seit längerem an Kommunisten erprobt hatten, wie man Geständnisse erpressen konnte. "In Dortmund wurde ich sofort verhört und geschlagen … Ich wurde nach unten gebracht, in einen Bunker - Eisenstäbe und Holzpritsche – hier habe ich drei Wochen mit Tag und Nacht auf dem Rücken gefesselten Händen zugebracht." (27)


Homberger Gruppe im Widerstandskreis "Germania"

Hermann Runge wird ins Duisburger Gefängnis verlegt. "Auch im Duisburger Polizeigefängnis wird er wieder geprügelt, kann dort aber auch mal kurz mit Paul Schneider aus Homberg sprechen. Inzwischen wurden aus den zweihundert Verhafteten achtzehn sogenannte Rädelsführer herausgesucht. Zu denen gehörte ich auch. Im Mai 1936 … bekam ich meine Anklageschrift überreicht. Der Polizeibeamte, der sie mir übergab, sagte: "Mensch Hermann, da hängt der Tod dran". "Vierundzwanzig Stunden später mußte ich sie schon wieder abgeben." Grund: Der Prozeß gegen "Runge und andere" … findet erst nach der Berliner (Sommer-) Olympiade statt, am 30. November 1936. Die Anklage lautet auf Hochverrat. Der Staatsanwalt beantragte fünfzehn Jahre Zuchthaus für Hermann Runge, der NSDAP-Gauleiter die Todesstrafe. Das Gericht zeigte "Milde". Am 11. Dezember 1936 wird das Urteil verkündet: Neun Jahre Zuchthaus für Hermann Runge - die er auch absaß. Die übrigen 17 Angeklagten werden von 2 Jahren und 4 Monaten bis zu 7 Jahren verurteilt." (28) Nach dem Krieg baute Hermann Runge seine Partei wieder an erster Stelle auf. Er wurde Mitglied des Parlamentarischen Rates. Dieses Gremium von 65 Frauen und Männern beriet und verabschiedete das Grundgesetz für die am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland. Anschließend war Hermann Runge noch viele Jahre Bundestagsabgeordneter. Die SPD-Männer der Homberger Gruppe im Widerstandskreis "Germania", die als Unterverteiler von Hermann Runge mit Informationen und Antiterrormaterial versorgt worden waren, wurden von der Gestapo ebenfalls aufgegriffen und verurteilt:

- der Bergmann Paul Schneider zu 3 Jahren Zuchthaus

- der Invalide Josef Cigan zu 3 Jahren Zuchthaus

- der Invalide Friedrich Golkowski zu 1 Jahr und 6 Monaten Zuchthaus

- der Reisevertreter Wilhelm Schumacher zu 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis

- der Werkmeister Oskar Wintgen zu 1 Jahr und 4 Monaten Gefängnis

- der Bergmann Roman Ebner zu 1 Jahr und 4 Monaten Gefängnis

- der Steiger a. D. Wilhelm Kleinhorst zu 1 Jahr und 4 Monaten Gefängnis

- der Bergmann Josef Beischl zu 1 Jahr und 2 Monaten Gefängnis

- der Bergmann Heinrich Diecks zu 1 Jahr und 2 Monaten Gefängnis


Josef Cigan und Roman Ebner wurden nach dem Krieg als Vertreter der SPD in den Homberger Stadtrat gewählt. (29) Unter den ersten Stadträten befanden sich ebenfalls eine Reihe von SPD-Leuten aus dem Umkreis des Widerstands oder des alten SPD-Kerns, darunter Else Nöthen, Karl Frießnegg, Helmut Kenn und Ernst Morscheck. (Nachtrag: Widerstand und demokratischer Neubeginn im Altkreis Moers, Bernhard Schmidt, Internationaler Kulturkreis Moers (IKM), 1995, S.70)

Der Kirchenkampf gegen das NS-Regime

Der Anspruch des NS-Regimes, alle Bereiche des öffentlichen wie des privaten Lebens mit nationalsozialistischer Ideologie zu durchdringen, erstreckte sich auch auf das Religiöse. "Eine so große Macht und Einflussnahme auf das öffentliche Leben, wie sie die Kirchen in Deutschland repräsentierten, konnten die nationalsozialistische Diktatur nicht ungehindert neben sich bestehen lassen. (30) Die beiden großen christlichen Kirchen sahen sich ab Frühjahr 1933 daher in Auseinandersetzungen mit dem NS-Regime verstrickt und dem Versuch der Gleichschaltung ausgesetzt. Adolf Hitler war sich durchaus bewusst, dass die Errichtung des NS-Staates nicht gegen massiven Widerstand der Kirchen zu erreichen war. Zu Beginn seiner Machtergreifung verhielt er sich taktisch zurückhaltend, ging dann aber bald zu radikaleren Kampfansagen über und begann schließlich Geistliche und Gläubige beider Konfessionen zu verfolgen, die offen gegen den Unrechtsstaat protestierten. (31) Hunderte von Betroffenen haben für ihren Widerstand ihr Leben lassen müssen. Dennoch gelang es den Nationalsozialisten nicht, das Beharrungsvermögen der Kirchen zu überwinden. Dabei muss man die höchst unterschiedliche Lage beider Kirchen berücksichtigen und kann deren Haltung im Dritten Reich nur getrennt verfolgen. Faktisch kam es in der Zeit der NS-Diktatur zu keiner Zusammenarbeit zwischen den beiden Kirchen. (32) Die beiden christlichen Lager standen sich eher fremd, wenn nicht gar feindlich gegenüber. Selbst im Kleinmilieu von Gemeinden hatten evangelische Familien oft Schwierigkeiten mit katholischen Familien und umgekehrt, was sich auf das Verhalten - wie in Homberg - von Schüler*innen der Katholischen Volksschule an der Gartenstraße/Ecke Schulstraße und von Schüler*innen der Evangelischen Volksschule an der Feldstraße so auswirkte, dass man sich auf dem hinteren Bismarckplatz an der Paßstraße gegenüberstand und Schmährufe äußerte oder sich mit Steinen oder im Winter mit Schneebällen bewarf. Selbst in den ersten Nachkriegsjahren war das noch der Fall.


Der Widerstand der katholischen Kirche

"Die katholische Kirche in Deutschland war in den Jahren 1930 bis 1933 vielfach als Kritikerin des Nationalsozialismus aufgetreten. Nachdem sich jedoch Hitler mehrmals kirchenfreundlich äußerte und in seiner Regierungserklärung am 23. März 1933 die beiden großen christlichen Kirchen als "wichtigste Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums" bezeichnete, relativierte die katholische Kirche ihre bisherige Kritik. Ihr Ziel war nun die rechtliche Sicherung ihrer institutionellen Sonderrechte. Im April 1933 ging von der deutschen Regierung die Initiative zu einem Reichskonkordat (völkerrechtlicher Vertrag) mit dem Vatikan aus. Der Vertrag befindet in 34 Artikeln unter anderem:

- Der katholische Unterricht ist ordentliches Lehrfach an den Schulen.

- Geistliche dürfen in politischen Parteien nicht tätig sein.

- Kath. Vereine werden in ihren Einrichtungen und in ihrer Tätigkeit geschützt.


Durch das Konkordat waren die kirchlichen Institutionen abgesichert und den Kirchenmitgliedern ein Freiraum verschafft worden, sodass sie, auch zu Zeiten politischer Bedrohung, ihre Religion ausüben konnten. Deshalb hat die katholische Kirche schon immer mit den jeweiligen Machthabern zusammengearbeitet – mit Diktatoren und Tyrannen, mit Monarchen und Demokraten. Weitgehend ausgeklammert blieb dabei die moralische Frage, ob sich eine christliche Kirche so in die Politik verstricken darf, dass sie vielleicht an Untaten der Machthaber mitschuldig wird." (33)

Wenn nun eine Antwort auf die Frage gesucht wird, ob die katholische Kirche Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hat oder nicht, ist vor allem zu fragen: Widerstand gegen "was" beziehungsweise gegen "wen"? Widerstand gegen ihre eigene Verfolgung hat die Kirche zweifellos und nicht ohne Erfolg und Verlust geleistet. Die Aufrechterhaltung der kirchlichen Struktur war ihre klare Priorität. Deshalb gerieten oft jene Menschen aus dem kirchlichen Blick, deren Verfolgung ungleich radikaler ausfiel, allen voran die Juden. Zu ihrer Rettung wären deutlich wirkungsvollere Protest- und Hilfsaktionen der katholischen Kirche wünschenswert gewesen. Es blieb zumeist bei verbalen Protest- und Rettungstaten einzelner Katholiken." (34)


Der Widerständler Bischof Graf von Galen

Eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens wurde zur Symbolfigur des katholischen Widerstandes gegen das Nazi-Regime: Clemens August Graf von Galen, Bischof zu Münster. Von Galen war der erste im Dritten Reich gewählte Bischof. Der Erste nach dem 20. Juli 1933 mit dem Heiligen Stuhl unterzeichneten Reichskonkordat, und er war einer der ersten deutschen Bischöfe, der nicht nur die Lügen der Propaganda des Regimes und die Gefahr der nationalsozialistischen Ideologie durchschauen und mit extremer Klarheit und Entschlossenheit entlarven sollte, sondern der auch die Verbrechen und die Barbareien der Nazis scharf und öffentlich anprangern sollte. In seinen berühmten Predigten prangerte er öffentlich auch das Nazi-Projekt der "Aktion T 4" an, das die Vernichtung lebensunwerten Lebens" zum Ziel hatte. Er verurteilte die neuheidnische Weltanschauung des Nationalsozialismus und hob den unreligiösen Charakter dieser Ideologie hervor: Eine ruchlose neue totalitäre Doktrin, "welche die Fundamente der Religion selbst und die heiligen Geheimnisse der Offenbarung leugnet oder fälscht. Offensichtlich wird dadurch die Rasse über die Sittlichkeit gestellt, das Blut über das Gesetz, … Eine Täuschung der Hölle ist im Gange." (35) Die Kanzelpredigten von Galens wurden schon 1934 vom Gauleiter Alfred Meyer als "vom Hass gegen den Nationalsozialismus diktiert" eingeschätzt. Im Jahr 1941 forderte man in Berlin dringend die Verhaftung des Bischofs. Martin Bormann, Stabsleiter bei Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, erwog, von Galen hängen zu lassen. Reichspropagandaminister Josef Goebbels sprach sich dafür aus, keine katholischen Märtyrer während des Krieges zu schaffen und die Beseitigung von Galens auf die Zeit "nach dem Endsieg" zu verschieben, da er Unruhen im Münsterland befürchtete. (36)


Der Widerstand in Homberg

Die Katholiken in Homberg folgten dem Geist ihrer Oberhirten: angepasst, das Wohl der Institution im Auge, wissend, dass das Ermächtigungsgesetz, das den Weg für Hitler frei gemacht hatte, um legal die Macht als Diktator an sich zu reißen, von den Abgeordneten der katholischen Zentrumspartei im deutschen Reichstag unterstützt worden war. So quälte sie nur zu oft ihr moralisches Gewissen, jedoch verhielten sich die meisten Gläubigen gegenüber dem Staat als Ordnungsmacht loyal.

Der Verein der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB)

Am 21. 4. 1961 (!) berichtete der Vorstand der KAB - St. Josef in Homberg-Hochheide ihrem Verbandspräsidenten in Köln über den "Widerstand der KAB Hochheide gegen das NS-Regime. Die fünf Männer der KAB aus jener Zeit wussten noch zu berichten, "daß bei der Wahl 1933 (Reichstagswahl 5. März 1933) der Vorsitzende Spiecker und acht weitere Mitglieder mit 'Nein' gestimmt hatten. Dafür durften sie die Plakate, die der Regierung nicht genehm waren, unter Schimpf und Schande abwaschen." Gerhard Holbeck hatte "das Hissen der Fahne ignoriert". Aufgrund dieses zivilen Ungehorsams wurde Holbeck als Angestellter der Stadt Homberg sofort entlassen. Ein SS-Mann habe ihn mit gezogener Pistole befohlen, nach Hause zu gehen. Erst nach zehn Monaten durfte er wieder eine Arbeit bei der Stadt aufnehmen. Karl Reintges, der bei der Straßenbahn beschäftigt war, wurde am 15. April mit der Begründung gekündigt: "Da infolge Ihrer grundsätzlichen politischen Einstellung zu der glorreichen nationalen Regierung und ihrer Trägerschaft für Sie in dem hiesigen kommunalen Staßenbahnunternehmen kein Raum mehr ist, haben Sie auf Verlangen der nationalsozialistischen Zellenorganisation den von Ihnen besetzten Arbeitsplatz für nationalgesinnte Männer freizugeben." Der eigentliche Grund seiner Entlassung war seine langjährige Mitgliedschaft in der KAB, der Christlichen Gewerkschaft und der Zentrumspartei. Wer beim Grüßen "Guten Morgen" statt "Heil Hitler" sagte, wurde im Wiederholungsfall hart bestraft. "Markus Kraschl bekleidete das Amt des Kassierers beim KAB. An einem Sonntagmorgen fand bei ihm eine Hausdurchsuchung statt. Die SA-Leute fanden kein belastendes Material. Der Verein stand unter dauerhafter Beobachtung. Die Arbeit der KAB ist im Geheimen weitergegangen. Von Mund zu Mund hat man sich verständigt, so daß ein Stamm von Getreuen nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die Arbeit in der KAB wieder weiterführen konnte." Der Bericht schließt mit der mahnenden Feststellung: "Die junge Generation, die diese Zeit nicht mehr bewußt miterlebt hat, kann sich ein Beispiel an der aufrechten Haltung der Männer der KAB jener Zeit nehmen."


Der Widerstand der evangelischen Kirche

Seit der "Machtergreifung" am 30. Januar 1933 änderten die Nationalsozialisten ihre Religionspolitik in grundlegender Weise: Hitler gab seine bis dahin gezeigte Neutralität auf und begann, vor allem mit Blick auf die am 5. März 1933 stattfindenden Reichstagswahlen, einen kirchenfreundlichen Propagandafeldzug. Hitler wurde von protestantischer Seite als "gottgesandte kirchenfreundliche" Alternative zum "gottlosen Bolschewismus" begrüßt. Die überwiegende Mehrheit der evangelischen Christen erhoffte sich vom nationalen Aufbruch, dass der Funke übersprang und es dadurch auch zu einer Revitalisierung ihrer Kirche kommen würde. Auch die evangelischen Kirchenleitungen gaben seit Ostern 1933 ihre Reserviertheit auf und stellten sich öffentlich hinter Hitler und den neuen Staat. Die evangelische Christenheit geriet mehrheitlich in den Sog der nationalen Erhebung. Dies machte sie blind gegenüber der Verfolgung von Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden. Auch die Einrichtung von Konzentrationslagern stieß nicht auf Kritik. Einen kirchenpolitischen Schachzug hatte die NSDAP bereits 1932 vollzogen, indem sie die Gründung der kirchlichen Glaubensbewegung der Deutschen Christen (DC) veranlasste. Die deutschen Christen sollten die Ziele der Partei innerhalb der evangelischen Kirche durchsetzen. Die DC vertrat eine "von Gott befohlene völkische Sendung". Die Bewegung der Deutschen Christen entwickelte sich in wenigen Monaten zur führenden Kraft des deutschen Protestantismus. Kirchenpolitisch traten ihre Mitglieder dafür ein, eine nach dem Führerprinzip aufgebaute evangelische Reichskirche zu schaffen. Die Auflösung der DC begann jedoch bereits Ende 1933, da ihr innerer Gegensatz zwischen Radikalen und Gemäßigten nicht mehr zu überbrücken war.

In der Evangelischen Kirche war Pfarrer Martin Niemöller einer der konsequentesten NS-Gegner. Er gründete im September 1933 den Pfarrer-Notbund. Aus diesem Bund ging wenig später die Bekennende Kirche (BK) hervor. Sie berief sich in der Auseinandersetzung mit dem NS-Staat und mit den "Deutschen Christen", die sich als "SA Jesu Christi" verstanden, auf ein "Kirchliches Notrecht", das den religiösen Widerstand legitimierte. Niemöller lehnte auch die Entlassung von evangelischen Geistlichen "jüdischer Herkunft" ab. Seit 1934 unter Beobachtung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), wurde er 1938 zu sieben Monaten Festungshaft verurteilt und anschließend als "persönlicher Gefangener" Hitlers ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Von dort kam er 1941 nach Dachau. Im Frühjahr 1945 wurde er während eines Transports nach Südtirol von den Alliierten befreit. (37) Seit 1935 versuchte das NS-Regime, die Kirchen aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Ziel war es, den Kirchen jeden Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen und ihre Organisation aufzulösen. Von Presse und Rundfunk wurden sie ausgeschlossen. Kircheneigene Publikationsorgane unterlagen massiven Beschränkungen. Die Erziehung von Kindern und Jugendlichen wurde den Kirchen verboten. Gegen diese und weitere Einschränkungen und Verbote protestierte die evangelische Kirche mehrfach. (38)

Evangelischen Pastoren in Homberg während der NS-Zeit

Im Rahmen seiner Dissertation hat der Kieler Historiker Dr. Helge-Fabian Hertz herausgefunden: "Die meisten Pastoren im Dritten Reich waren Nazis." (39) Dass diese Pastoren zwischen 1933 und 1945 ganz unterschiedlich in ihrem Verhalten agierten, zeigte er an Beispielen auf. Er berichtet von Pastoren, die schon vor 1933 aktiv an Saalschlachten und blutigen Straßenkämpfen beteiligt waren oder bei NSDAP-Veranstaltungen "Saalschutz" betrieben hatten.

Von einem weniger radikalen Fall unter den Pastoren in Homberg berichtet Helmut Ackermann, Sohn von Pastor Walter Ackermann, Rheinkirche, in seiner Familien- und Lebensgeschichte "Blumen auf dem Feld". Der Vorgänger seines Vaters war Pastor Martin Wagner gewesen. Dieser war ein Nazi, Pfarrer Pg. (Parteigenosse) Wagner, wie er in der Öffentlichkeit, z.B. in der Presse, genannt wurde, ein exponierter Führer der "Deutschen Christen", der die Nazi-Weltanschauung unterstützte und sich nicht scheute, mit ihrer Blut- und Bodentheologie die gesamte Bibel- und Bekenntnistradition über den Haufen zu werfen. Martin Wagner war Gauobmann der DC im Gau Düsseldorf. Er hielt seinem Amtsbruder Henrichs allen Ernstes seinen und seiner Frau jüdische Vornamen vor, "Samuel" und "Ruth", worauf dieser konterte: Und "Josef" und "Magda" Goebbels? - Ein anderer Disput endete mit Wagners Auftrumpfen: "Ich habe in Homberg alle deutschen Christen hinter mir!" Henrichs: "Und ich habe am Sonntag die Gemeinde vor mir!" Wagner war 1935 als Probst nach Lübeck gegangen. Pastor Walter Ackermann wurde sein Nachfolger. "Auch mein Vater hat den Deutschen Christen eine Zeitlang angehört, wie er in seinem Fragebogen nach dem Krieg bekannte. … Aber nach wenigen Monaten trat mein Vater wieder aus – "da ich den Weg der DC als einen Irrweg erkannt hatte" – wie er schrieb. So machten es Ende 1933 die allermeisten, weil die DC-Führung Thesen vertrat wie: "Beseitigung des Alten Testamentes, "dieses Buch von Viehjuden und Zuhältern", "grundsätzlicher Verzicht auf die ganze Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus" waren die Forderungen. "Unsere Religion ist die Ehre der Nation im Sinne eines kämpfenden, heldischen Christentums." Daraufhin ging ein elementares Entsetzen durch die Kirche, und die Deutschen Christen verloren den weitaus größten Teil ihrer Mitglieder. Trotzdem ist mein Vater nie der Bekennenden Kirche beigetreten, dem Gegenpol der DC. Seine Distanz zur BK spiegelte sich u. a. in einer gewissen Aversion gegen Martin Niemöller wider. Dieser Mann des entschiedenen Widerstands ging Pastor Ackermann, wie vielen anderen auch, mit seiner Protesthaltung zu weit. Sohn Helmut äußert sich zur politischen Haltung seines Vaters so: "Meines Vaters Stellung zum Dritten Reich kann ich nicht mit letzter Klarheit definieren."

Der Stahlhelm wurde am 1. April 1934 in die SA (Sturmabteilung der NSDAP) überführt. So wurde mein Vater automatisch ihr Mitglied und blieb es mindestens bis 1939." Pfarrer Ackermann folgte 1938 einem Ruf der Kirche der Altpreußischen Union und leistete wie andere Geistliche einen Treueid auf den Führer. Mit dem Homberger NS-Bürgermeister Friedrich Sonnen und anderen NS-Parteigrößen in Homberg stand er in gutem Einvernehmen. (40) Ganz anders reagierten die Pfarrer Emil Böttcher der Gemeinden Hochemmerich/ Rheinhausen/Essenberg und Karl Denkhaus, zuständig für Homberg-Hochheide. Sie wandten sich als Vertreter der Bekennenden Kirche vehement in Wort und Schrift gegen die Zentralisierungsabsichten der Deutschen Christen. Beide mutigen Pfarrer sind einer staatspolitischen Festsetzung nur knapp entgangen. Ab Ende 1935 wurde die Bekennende Kirche verstärkt beobachtet und verfolgt. Man wurde vorsichtiger. Im Jahr 1938 sah das Verteilernetz der Bekenntnissynode Moers so aus, daß die Pfarrer sich Nachrichten nur persönlich überbrachten. Die Propaganda der Nazis hatte 1937 den Schafspelz abgeworfen und zeigte sich offen kirchenfeindlich. Eine Welle von Austritten, oft genug um der politischen Konformität willen, war die Folge.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 wurden viele Pfarrer der Bekennenden Kirche eingezogen. Das religiöse Leben erlahmte. Die evangelische Kirche hat sich nach dem Krieg früh auch zu eigener Schuld bekannt. Auf der ordentlichen Tagung der Kreissynode in Moers am 8. Dezember 1947 führte Pfarrer Stähler aus:

"Was unsere Kirche in Stuttgart gegenüber der Ökumene als ihre Schuld an der Welt bekannt hat, das gilt es auch an Schuld im Blick auf die innerkirchlichen Verhältnisse zu bezeugen, nämlich daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Und wenn ich hier von unserer Schuld rede, dann meine ich damit in erster Linie die Schuld der offiziellen Diener am Wort, denen die Verkündung in besonderer Weise aufgetragen ist. Ohne die Größe dieser Schuld unter dem Kreuze Christi erkannt und bekannt zu haben, werden wir nicht frei zu einem gesegneten Dienst in der Zukunft." (41)


Die Position von Pastor Heinrich Ingerfurth

Zum Dokument Pastor-Heinrich_Ingerfurth


Die Brutalität eines Verbrecherstaates:

Der Fall Emma Hölterhoff

Das Urteil und seine Begründung zeigen in erschütternder Weise auf, welche menschenfeindliche Ideologie von den nationalsozialistischen Machthabern praktiziert wurde: Todesurteil des Volksgerichtshofes In der Strafsache gegen die Kranführersfrau Emma Hölterhoff, geb. Maass, aus Ekheim über Memmingen, geb. am 28. Mai 1904 in Homberg (Niederrhein), zur Zeit dieser Sache in gerichtlicher Untersuchungshaft, wegen Wehrkraftzersetzung, hat der Volksgerichtshof auf Grund der Hauptverhandlung vom 8. November 1944, an welcher teilgenommen haben als Richter:


Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Freisler, Vorsitzender,Volksgerichtsrat etc. …

für Recht erkannt:


Frau Emma Hölterhoff sagte im vierten Kriegsjahr zu Soldaten, sie sollten an der Front das Gewehr wegschmeißen und sich totstellen. Sie hat also unsere Wehrmacht zu zersetzen gewagt, ist damit für immer ehrlose Magd unserer Feinde geworden und wird dafür mit dem Tode bestraft. Gründe: Frau Emma Hölterhoff ist eine etwa 40jährige Frau, Mutter von vier Kindern, die ihren Mann, wie sie sagt, auch schon seit vier Jahren draußen hat. Bei einem Bombenangriff auf Homberg am Niederrhein, ihrem Wohnort, konnte sie zwar all ihr Hab und Gut, nämlich die Einrichtung, Wäsche und anderes retten, mußte aber doch in die Gegend von Memmingen evakuiert werden, weil das Haus, in dem sie wohnte, beschädigt und nicht mehr bewohnbar war. Im Januar des vierten Kriegsjahres saß sie in der Wohnküche der Familie Goll, bei der sie als Evakuierte wohnte, mit Frau Goll beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel. Im Zimmer war der Sohn der Frau Goll, der gerade vom Reichsarbeitsdienst entlassen war, und außerdem außer zwei anderen jungen Burschen auch der Grenadier Vg. ("Volksgenosse") Arnold Häring, der gerade auf seinem ersten Urlaub zu Hause war. Das Gespräch kam auf den Krieg, und Frau Hölterhoff sagte nun, wie die Vgn. Arnold Häring und Hans Goll übereinstimmend bekundeten, dem Sinne nach: Ihr seid dumm; wenn ich hinauskäme, ich würde das Gewehr wegwerfen und mich totstellen. Beide Zeugen haben im Vorverfahren weiter bekundet, daß sie außerdem unseren Führer schwer beschimpfte und daß sie ihrer Aufforderung an die jungen Burschen, darunter den Soldaten, den Satz hinzugefügt habe: "Wenn mein Mann hinauskommen würde, würde er es genauso machen." Diese Beschimpfung des Führers und diesen letzten Satz bestreitet Frau Hölterhoff. Es ist zwar bestimmt anzunehmen, daß sie das auch gesagt hat, denn sonst würden es beide Volksgenossen nicht bekunden. Aber es war nicht notwendig, um dieser Feststellung willen, die beiden Volksgenossen die weite Reise hierher machen zu lassen und die Bahn damit zu belasten, weil ja Frau Hölterhoff den Kern ihrer Aussagen selbst eingesteht. Und dieser Kern enthält auch bereits eine Aufforderung an den Soldaten und an den, der bald Soldat werden mußte, so zu handeln. Frau Hölterhoff hat auch am Schluß der Hauptverhandlung zwar noch bestritten, daß sie auf ihren Mann hingewiesen habe, hat jedoch nicht mehr bestritten, daß sie irgendwie in Form einer Aufforderung an den Soldaten ihre Ausführungen machte. Die Frau Verteidigerin legte Wert darauf, hervorzuheben, die Angeklagte sei doch primitiv. Die Frage, ob man so etwas tun darf, ist aber nicht eine Frage der Einfachheit oder Geschultheit des Wissens, sondern ist die Frage nach der Anständigkeit der Gesinnung und der Treue. Und die hat mit Wissen oder Primitivität nichts zu tun. Wer so wie die Angeklagte redet, selbst wenn sie es nur ein einziges Mal getan haben sollte, der hat sich damit würdelos und für immer ehrlos zur Magd unserer Kriegsfeinde degradiert, die noch immer darauf hoffen, daß sich durch solche und ähnliche Reden eine Zersetzung von Front und Heimat bei uns vollziehen möge und wieder ein Jahr 1917, ein Jahr 1918 herbeiführe!!! Wer aber derart zersetzend Agent unserer Kriegsfeinde wird, den müssen wir aus unserer Mitte entfernen. Denn sein Verhalten ist eine ungeheure Gefahr für unser kämpfendes Volk und damit für unseren Sieg, also für unser Leben und unsere Freiheit. In solchem Falle gilt es, nachdem die Tat einwandfrei feststeht, bei der Bemessung der erforderlichen Strafe ganz auf das Schutzbedürfnis Deutschlands zu sehen. Und dieses fordert, um eine Entwicklung wie im Ersten Weltkrieg nicht wieder aufkommen zu lassen, die Todesstrafe. Weil Frau Hölterhoff verurteilt ist, muß sie auch die Kosten tragen.


gez.: Dr. Freisler / Dr. Greulich


Anm.: Die Vollstreckung dauerte von der Vorführung bis zur Vollstreckung 8 Sekunden. (42) Frau Emma Hölterhoff ist als Widerstandskämpferin bereits 2006 von einem Oberstufenkurs Geschichte des Franz-Haniel-Gymnasiums mit der Verlegung eines Stolpersteins geehrt worden. Im Jahr 2020 wurde eine Straße in Homberg nach ihr benannt. (Anregung durch den Freundeskreis Historisches Homberg)

Auswirkungen des 2. WK auf Homberg

in Bearbeitung

Nachkriegszeit

Verurteilung von Homberger Nationalsozialisten

in Bearbeitung

Gedenken der Nazi-Opfer

Verlegung von 11 Stolpersteinen in Homberg am 20. Sept. 2006:

  • Emma Hölterhoff, Eisenbahnstr. 52
  • Julianne Krämer, geb. Emanuel, Poststr. 75
  • Peter Kämer
  • Gudula Coppel, geb. Jonas (war nicht die Frau von Julius Coppel), wohnte in Moers, Rheinstr. 27
  • Dr. Julius Coppel wohnte in Moers seit 1908
  • Otto Gutmann
  • Paul Gutmann
  • Betty Gutmann, geb. Coppel
  • Israel Karten
  • Fanny Karten
  • Max Karten


Aufgrund von ersten Untersuchungsergebnissen (Okt. 2014) sollten folgende Nazi-Morde an Homberger Bürgern auf Würdigung durch Stolpersteine geprüft werden:

  • Anton Burkelz, s. Ermordung von Anton Burkelz: (03.03. 33)
  • Karl-Heins Kersken, s. Ermordung von K.-H. Kersken: (16. Juni 43)
  • Alexander Ruland, s. Ermordung von Alex. Ruland: (15. Okt. 36)

Dasselbe gilt für weitere 9 (neun) Homberger Bürger/innen mit jüdischem Glauben. i.B.

Chronologie der Nazi-Diktatur

Hier finden Sie die Chronologie der Nazi-Diktatur.

Stichwortkatalog

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Anhang

Liste der Juden, die nach dem 1. Weltkrieg in Homberg gelebt haben

Hier gelangen Sie zu der Liste der Juden, die nach dem ersten Weltkrieg in Homberg gelebt haben.

(nach den Quellen des Stadtarchives Duisburg)

Biografien Homberger Nationalsozialisten

Homberger Nazis: Heinrich Bacher, Edmund Bellingkrodt, Hermann Brouwers, Ludwig Eschholdt, Hugo Heidtmann, Friedrich Sonnen (s.u.), die 1950 vom Schwurgericht in Kleve verurteilten sechs SA-Männer (Homberger SA-Prozess)

Evangelische Kirche (Helmut Ackermann, Blumen auf dem Felde)

Katholische Kirche

BM Friedrich Sonnen (s. Bez.-Vorlage DS-Nr: 13-0149 vom 05.02.2013) (Dietmar Beckmann)

Generaldirektor Heinrich Kost (B. Schmidt, Tatort Moers)

Homberger Geschäftsleute (Textilfabrikant Heinz Schulte: von Uwe Berger)

Lehrer an Homberger Schulen (Volksschulen, Gymnasium, Kaufm. Berufliche Schulen)

Woher kamen die Anhänger der NSDAP?

Auszug aus einem Gespräch zwischen Mitarbeitern der „Spiegel – Redaktion“ und dem Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta. Quelle: Spiegel Geschichte 5, 2015, S. 26/27

Spiegel: In der Krise sahen sich vor allem junge Leute nicht mehr politisch vertreten. Forscher nennen die um 1900 Geborenen auch eine „Generation der Überflüssigen“. Viele von ihnen fanden keine Arbeit. Ist es Zufall, dass es in dieser Gruppe besonders viele fanatische Nationalsozialisten gab?

Pyta: Nein. Die Generation derer, die den Krieg als Kinder und Jugendliche erlebt haben, fühlte sich der unmittelbaren Kriegsgeneration verbunden. Viele von denen hätten gerne mitgekämpft. Der Krieg wurde schnell zu einem Mythos. Davon profitierten die Nationalisten und die Nationalsozialisten, die dem Krieg einen Sinn verleihen wollten. Sozialdemokraten und bürgerliche Parteien waren zudem überaltert. So gelang es den Nazis, ihre Bewegung (1) als Aufbruch der Jungen gegen ein verkalktes „System“ von „Bonzen“ darzustellen. Der Krieg hatte die politischen Fronten und die Klassengegensätze verschärft. Davon profitierten KPD und NSDAP. Denn in diesen neuen Parteien gab es Aufstiegschancen für junge Leute.

Spiegel: Woher kamen die Anhänger der NSDAP? Waren das vor allem Arbeitslose und Überläufer von den Kommunisten, wie viele Menschen heute glauben?

PYTA. Die NSDAP hatte ihre Hochburgen vor allem auf dem Land in protestantischen Gemeinden. Und dort war die Arbeitslosigkeit relativ gering. Die Partei der Arbeitslosen, das waren die Kommunisten. Deren Bastionen lagen in den Großstadtrevieren mit hoher Erwerbslosigkeit. Hitler gewann dagegen viele enttäuschte Wähler bürgerlicher Parteien. Relativ stabil hielt sich in diesem Milieu nur die katholische Zentrumspartei. Spiegel:

Die NSDAP war die erste deutsche Volkspartei?

Pyta: Ja, denn ihr gelang es, Menschen aus allen sozialen Schichten anzusprechen. Sie war zwar überrepräsentiert im Mittelstand, bei Bauern und Beamten, gewann aber auch einen Teil der Arbeiterschaft und jener Katholiken, die nicht auf die Wahlempfehlung des Pfarrers hörten.

Spiegel: Warum waren junge Akademiker für die Nazis besonders zugänglich?

Pyta: Ein wesentlicher Grund waren die schlechten Berufsaussichten. Wer um 1910 geboren war, hatte ab 1929 zur Zeit der Weltwirtschaftskrise schlechte Chancen. Der öffentliche Dienst baute Stellen ab, die Privatwirtschaft schrumpfte. Die NSDAP verstand es, das akademische Proletariat anzusprechen.

Spiegel: Lag das Erfolgsrezept der NSDAP darin, dass sie sich zugleich als konservativ und als revolutionär darstellen konnte?

Pyta: Dieser Spagat ist ein ganz wichtiger Aspekt. Die NSDAP empfahl sich der konservativen Landbevölkerung als Retter des deutschen Bauern-tums. In den industriellen Ballungszentren aber präsentierten sie sich als eine Kraft der sozialen Revolution.

Spiegel: Welche Rolle spielte der Antisemitismus beim Aufstieg der NSDAP?

Pyta: Die NSDAP der frühen Zwanzigerjahre erging sich demonstrativ in grober antisemitischer Propaganda. Der Antisemitismus verband und sozialisierte die Anhängerschaft der Partei. Ab 1930 stellte die NSDAP den Antisemitismus nicht mehr so in den Vordergrund, versteckte ihn aber auch nicht. Wer aufmerksam las oder zuhörte, konnte sehen, dass die Partei eindeutig Judenhass propagierte. Die NSDAP profilierte sich jedoch vor allem als Partei gegen den Versailler Vertrag. Sie versprach, die Nation in der Volksgemeinschaft zu einen. (1) nationalsozialistische Bewegung

Schulprojekte zum Thema „Homberg unterm Hakenkreuz“

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Pressespiegel

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Impressum

Quellennachweis

  1. Homberg, s. Erläuterung, Vgl. Theodor Mohr (Th. Mohr), Geschichte der Stadt Homberg
  2. Grafschaft Moers, s. Erläuterung, Vgl. Ottsen, Stamm und Otto, Der Kreis Mörs, 1911
  3. Duisburger Forschungen, Band 56, 2009, Rita Vogedes: Juden in Duisburger Stadtteilen,S. 131 bis 145
  4. Archivrat Dr. Lau am Königlichen Staatsarchiv in Düsseldorf in VB Homberg – N’rhein, „Geschichtliches“, S. 2, Anm. 25 – Handschrift A 43, Fabricius, Erläuterungen zum Geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, Bd. II, S. 342.
  5. Brigitte Wirsbitzki, Geschichte der Moerser Juden nach 1933, S. 13, 1991, Brendow Verlag Moers hier: Vgl. Stadtrechnungen, Karton 334, Akte 108, 5, StA Moers
  6. Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17. Jahrhundert, 1972, Verlag L. Schwan Düsseldorf.
  7. Hans-Peter Baum, emer. Prof. für Geschichte, Nürnberg, zum Manuskript „Homberg unterm Hakenkreuz, Oktober 2016: „Was Eingriffe in die private Lebenshaltung angeht, muss man aber in Betracht ziehen, dass auch nicht alle Christen wohnen durften, wo sie wollten, heiraten konnten, wann oder wen sie wollten oder sogar überhaupt (bspw. Knechte auf einem Bauernhof, die meisten Handwerksgesellen usw.) oder Beschränkungen im erwerbsleben unterlagen (Zunftzugehörigkeit im Handwerk u. ä.).“
  8. Vgl. Edelgard Dalbram: Zur Geschichte der Juden in Moers. Vom frühen Vorkommen bis ca.1933. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt Primarstufe, Universität Duisburg – Gesamthochschule, Duisburg 1983. Diese ursprünglich zweibändige Examensarbeit wurde 1984 in einem Band zusammengefasst und in ca. 100 Exemplaren von der Stadt Moers veröffentlicht. Entnommen bei Brigitte Wirsbitzki, ebenda (ebd.), S. 13 (s. (5).
  9. Vgl. Brigitte Wirsbitzki, ebd.
  10. E. Dalbram, ebd., S. 15.
  11. Das alte Herrschafts- und Gesellschaftssystem in Frankreich vor 1789.
  12. Vgl. Klaus H. S. Schulte, ebd., S.13 f
  13. Klaus H.S. Schulte, s. (6), S. 13, und Preußische Gesetzes - Sammlung 1847, S. 263 ff.
  14. Joachim Schulz – Marzin, Missratene Integration über mehr als sechshundert Jahre,Der Niederrhein, 83. Jahrgang, Ausgabe 2. April 1016, S. 1.
  15. Hans-Peter Baum, ebd. „Was die Reformgesetzgebung des Norddt. Bundes betrifft, waren nun zwar die Juden de jure gleichberechtigt geworden, de facto aber noch nicht; im Justizwesen war es bis in die Weimarer Repubblik hinein einem Juden kaum möglich, Richter zu werden; ebenso war es äußerst schwer bis unmöglich, eine volle Professur zu erlangen usw.; das erklärt, warum so viele Juden in die freien Berufe (Arzt, Rechtsanwalt, Journalist) gingen und dort dann oft sehr erfolgreich waren, obwohl sie vielleicht auch den Beamtenstatus vorgezogen hätten. Auch ist mir kein Jude als Minister auf Reichsebene bekannt. Aber als Gemeinderäte und Abgeordnete sind Juden überall bald zu finden gewesen.“
  16. Statistische Darstellung des Kreises Moers, Moers 1863, S. 23 bei Edelgard Dalbram, ebd., S. 118.
  17. ) HVB (Homberger Verwaltungsbericht) 1896 bis 1900, S. 12
  18. Duisburger Forschungen, Bd. 56, S. 144 f, Mercator-Verlag 2009
  19. Duisburger Forschungen, ebd., S. 133 f
  20. Vgl. Hermann Keussen (Hg.): Urkundenbuch der Stadt und Herrlichkeit Krefeld und der Grafschaft Mörs, Bd. V, Krefeld 140, S. 326 ff.
  21. Ebd., S. 327.
  22. Brigitte Wirsbitzki: Information zum frühesten Vorkommen der Familie Coppel von Karl Coppel, Neukirchen-Vluyn, am 12. 9. 1989 mündlich erhalten.
  23. Zeitzeuge Helmut Einbeck, Gespräch 02. 11. 2015.
  24. HBV 1866 bis 1880,1891 bis 1895, S. 96, 1896 bis 1900 (S.108) und 1901 - 1909 (S. 25)
  25. Th. Mohr, II. Teil, S. 4 Roewer, Helmut, Linksrheinische städtische Siedlungen, Remagen 1954
  26. Statistik und Topographie des Regierungsbezirkes Düsseldorf, Düsseldorf 1836, S. 105
  27. Vgl. Wikipedia (Wiki): Franz Haniel & Cie.
  28. Vgl. Th. Mohr, III. Teil, S. 8
  29. ebd., S. 14
  30. Ottsen-Stamm, ebd., S.26
  31. Vgl. Th. Mohr, III, S. 13 ff
  32. Vgl. Th. Mohr, ebd., S. 27
  33. HVB 1901 bis 1 1909, S. 32 f
  34. HVB 1909 bis 1926, S. 30
  35. HVB 1938 bis 1958, Teil I. Stadtgebiet und Bevölkerung
  36. Th. Mohr, ebd., S. 12 HBV 1909 – 1926, ebd.
  37. Aurel Billstein: Judendeportationen, Krefeld, 1. Auflage, S. 63 ff (ohne Jahrgang)
  38. Vgl. Duisburger Forschungen, ebd.
  39. Vgl. HBV 1909 – 1926, S. 66
  40. Brigitte Wirsbitzki, ebd., S. 35
  41. HAB 1925 und 1934, Jüdische Geschäfte in den Branchenverzeichnissen
  42. Zeitzeuge Malermeister Karler4w5 Jansen, ehemals Hafenstr. 17 , Febr. 1915
  43. Zeitzeuge Günter Woch, Januar 1915 (41) Liste der Vereine und Verbände in: HAB 1925 und 1934
  44. Stadtarchiv Duisburg, Ratsprotokolle 1900 – 1940
  45. Brigitte Wirsbitzki, ebd., S. 219
  46. Vgl. E. Dalbram, ebd., VII Das Schulwesen, 6.2. Der Schulbesuch
  47. B. Wirsbitzki, ebd., S. 40
  48. Duisburger Forschungen, ebd., S. 136
  49. Wiki, Weimarer Republik
  50. Vgl. ebd.
  51. HBV 1909 bis 1926, S. 88
  52. HBV 1926 bis 1932, S. 33
  53. Duisburger Forschungen, ebd., s. Namen und Geburtsdaten
  54. Vgl. Wiki, Judenzählung
  55. Joachim Schulz-Marzin, Missratene Integration über mehr als sechshundert Jahre in: Der Niederrhein, 2/2016, S. 1
  56. Hans Mommsen, Das NS-Regime und die Auflösung des Judentums in Europa, Wallenstein Verlag, 4. Auflage 2015, S. 22
  57. Vgl. HVB 1926 – 1932, S. 14f
  58. Bernhard Schmidt / Fritz Burger, Tatort Moers, Widerstand und Nationalismus im südlichen Altkreis Moers, Edition Aragon Verlagsgesellschaft, 2. Auflage 1995, S. 87, Anm. 74
  59. Vgl. Grafschafter (Stadtarchiv Moers), 7. September 1930, ebenso: Tatort Moers, ebd., S. 505f
  60. Vgl. Grafschafter (StA Moers), diverse Artikel im August/September 1930
  61. Vgl. Wiki, Die Dimensionalität der Reichstage der Weimarer Republik von 1920 bis 1932, Politische Vierteljahresschrift 51(1), März 2010
  62. Wiki, Die NSDAP und die Reichstagswahl vom 14. September 1930, S. 2, Anm. 6
  63. Vgl. Hans Mommsen, ebd., S. 3
  64. Ebd., S. 22
  65. Vgl. HVB 1926 – 1932, S. 15 f
  66. Stadtarchiv Duisburg (StA Duisburg), Niederschrift der Stadtverordneten-Sitzung der Stadt Homberg 1933 bis 1944, Vol. I, Akte 22 / 881
  67. Hans Mommsen, ebd., S. 23 f
  68. Vgl. Wiki, Reichstagswahl Juli 1932
  69. Wiki, Präsidialkabinett, Übergang zur nationalsozialistischen Diktatur: Hitler
  70. Vgl. ebd.
  71. Vgl. Wiki, Weimarer Verfassung
  72. Wiki, Reichstagswahl März 1933
  73. Vgl. Wiki, Präsidialkabinett, ebd.
  74. s. Gliederung: Chronik der Nazi-Diktatur
  75. Vgl. Bernhard Schmitt ,Tatort Moers, ebd., S. 114 f
  76. Archiv Freundeskreis Historisches Homberg (FHH): Homberger Prozess
  77. Ebd., S. 4 f
  78. Bernhard Schmitt, Tatort Moers, ebd.
  79. Archiv FHH, ebd.
  80. Vgl. Bernhard Schmit, Tatort Moers, ebd., S. 115
  81. Ebd., S. 110
  82. Ebd., S. 117
  83. Ebd., S. 121
  84. Vgl. ebd., S. 121
  85. Grafschafter (StA Moers), Zu dem politischen Zwischenfall in Homberg, 6. 3. 1933
  86. StA Duisburg, ebd., 4. 2. 1933
  87. Vgl. HBV 1932 bis 1938, S. 7
  88. StA Duisburg, Protokolle der Stadtverordnetenversammlungen 1930 bis 1945, ebd.
  89. StA Duisburg, Protokolle der Stadtverordnetenversammlungen 1930 bis 1945, ebd.
  90. Wiki, Sozialdemokratische Partei Deutschlands, 1933 bis 1945
  91. Wiki, vgl. Präsidialkabinett
  92. HBV 1932 bis 1938, S. 8
  93. Alle Adressen sind dem Homberger Adressbuch (HAB) 1934 entnommen.
  94. Tatort Moers, ebd., S. 127 f
  95. Vgl. ebd., S. 126 f
  96. Ebd., S. 131, Anm. 179
  97. HBV 1932 bis 1938, S. 9 f (s. S. 7a und 7b im laufenden Text)
  98. Brigitte Wirsbitzki, ebd., S. 51 f
  99. Tatort Moers, ebd., S.125, Anm. 160 (Grafschafter, 29. 3. 1933)
  100. Ebd., S. 126
  101. Vgl. Bernhard Schmitt … ,Tatort Moers, ebd., S. 125
  102. StA Duisburg, ebd.
  103. Hans Mommsen, ebd., S. 37
  104. Hans Mommsen, ebd., S. 37
  105. Aussagen von Zeitzeugen (u.a. Helmut Oberreiter über seine Tante Genoveva O., 14. 7. 2016
  106. Wolfgang Scheffler, Judenverfolgung im Dritten Reich, Herausgeber: Landeszentrale für poltische Bildung, Verlag Berlin, 1964, S. 20 f
  107. Wiki, Bonner Geschichtswerkstatt, Stadtgeschichte Bad Godesberg, Erste Verfolgungsmaßnahmen
  108. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Fischer Taschenbuch 1982, Bd. 2, S. 598 ff Vgl. Hans Mommsen, ebd., S. 49
  109. Ebd., S. 53
  110. Wiki, Bundeszentrale für politisache Bildung, 1935: Nürnberger Gesetze treten in Kraft
  111. Vgl. Hans Mommsen, ebd., S. 54 f
  112. Wiki, Vgl. Olympische Spiele 1936 und ARD – Sendung, 23. 7. 2916,Geheimnisvolle Orte: Das Berliner Olympia-Stadion
  113. Hans Mommsen, ebd., S. 63
  114. Ebd.
  115. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 27
  116. Vgl. Hanns Mommsen, ebd., S. 73
  117. Vgl. Hanns Mommsen, ebd., S. 73
  118. Vgl. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 29 f
  119. Vgl. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 29 f
  120. Zitat aus National Zeitung, 12. 11. 1938, in: Brigitte Wisbirtzki, ebd., S. 92
  121. Brigitte Wirsbitzki, ebd., S. 88
  122. Helmut Ackermann, Blumen auf dem Feld, Düsseldorf: Grupello, 1997, S. 52 f
  123. Zeitzeuge Günter Woch, Gespräch Mai 2015
  124. Wolfgang Scheffler, ebd. S. 114 f
  125. Vgl., ebd., S. 80 f
  126. Vgl., ebd., S. 80 f
  127. Vgl. Hans Mommsen, ebd.
  128. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 32
  129. Wiki, Auswanderung in der NS-Zeit
  130. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 32
  131. Wiki, Jawne-Schule
  132. Ergebnis des Schulprojektes der Erich-Kästner-Gesamtschule in Homberg-Hochheide: Biografie der jüdischen Familie Kurt Gerson, Präsentation 08. Nov. 2016 im Ratssaal der Stadt Duisburg
  133. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 32
  134. Zeitzeuge Werner Rubach, 23. 7. 2014
  135. Ergebnis des Schulprojektes…, ebd.
  136. Vgl. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 32 Ebd., S. 32 f
  137. Wiki, Netzwerk Erinnerung + Zukunft in der Region Hannover
  138. Duisburger Forschungen, ebd., S. 145
  139. Aurel Billstein, Judendeportationen aus der Stadt und dem Landkreis Moers in die Vernichtungslager, Krefeld, Eigendruck, 1. Auflage
  140. Wiki, Namensänderungsordnung vom 17. 8. 1938 (s. Chronologie …)
  141. Vgl. Duisburger Forschungen, ebd. und Wiki, Stolpersteine Moers: Die Jüdin Gudula Coppel war mit Carl Coppel verheiratet.
  142. Hermann Göring hatte viele Schlüsselämter im NS-Regime inne und war damit einer der mächtigsten NS-Politiker
  143. Vgl. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 34
  144. Brigitte Wirsbitzki, ebd., S. 107
  145. Bernhard Schmidt … , Tatort Moers, ebd., S. 363
  146. Rita Vogedes, Juden in Duisburger Stadtteilen, in: Duisburger Forschungen, Schriftenreihe für Geschichte und Heimatkunde Duisburgs, Bd. 56, S. 131 bis 145
  147. Auswertung der Namenslisten, in: 1. Bernhard Schmidt …, Tatort Moers, ebd., 2. Aurel Billstein, ebd. und 3. Duisburger Forschungen, ebd.
  148. Peter Emmerich, Brief an die Stadt Duisburg / Stadtarchiv vom 9. Nov. 1986
  149. Peter Emmerich, Brief an die Stadt Duisburg / Stadtarchiv vom 9. Nov. 1986
  150. Zeitzeugenaussage; Hildegard Kerkhoff, Februar 2015
  151. Wiki, Wannseekonferenz
  152. Wolfgang Scheffler, ebd., S. 34
  153. Magnus Gertten, Dokumentarfilm „Malmö – Harbor of Hope“, 2012, Schweden – WDR-Doc Archiv :„Gegen Ende des 2. WK kamen Tausende von Holocaust-Überlebenden ins neutrale Schweden. Sie wurden vom Schwedischen Roten Kreuz gerettet und in den sicheren Hafen Malmö gebracht. Dort begann das Leben für sie neu.“
  154. Vgl. Wikipedia (Wiki): Rassenhygiene, Ideologische Grundlagen
  155. Vgl. ebd., Eugenik
  156. Vgl. ebd., Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
  157. Vgl. ebd., Kinder-Euthanasie
  158. Vgl. ebd., S. 28
  159. Wiki, Geschichte der Euthanasie, S. 6
  160. Vgl. Waltraud Häupl, ebd. S. 29
  161. Vgl. Wiki, Heinrich Gross
  162. Vgl. Waltraud Häupl, ebd., S. 28
  163. Vgl. Wiki, Stellungnahme der Kommission zum wissenschaftlichen Werk des Hygienikers Prof. K.W. Jötten in der NS-Zeit sowie Wiki: Universitätszeitung Münster, Die Schatten der Vergangenheit (o. Datum)
  164. Emil Stenmans, Inauguration-Dissertation, 1935, Druck Wilh. Postberg, Bottrop i. W.
  165. Ebd., S. 14
  166. Dank an OStR Reinhard Mohn
  167. Vgl. Wiki, Am Spiegelgrund
  168. Vgl. Waltraud Häupl, ebd., S. 263f
  169. Vgl. Wiki, Ernst Illing
  170. Archiv Freundeskr. Histor. Homberg e.V., Briefe und Telegramme mit Wien 19 Wiener Journal vom 29. 04. 2002
  171. 19
  172. Vgl. Wiki, Ernst Illing
  173. Vgl. Wiki, Heinrich Gross
  174. Vgl. Wiki, Marianne Türk
  175. Vgl. Wiki, Heinrich Gross
  176. Vgl. Wiki, Zwangssterilisation, FN 14-17
  177. Hanna Stucki, Die Opfer der nationalsozialistischen Zwangseuthanasie aus Moers, Masterarbeit im Studiengang Geschichte der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Vgl. Zitat, S. 15 (135) aus: GESETZ ZUR VERHÜTUNG ERBKRANKEN NACHWUCHSES vom 14. Juli 1933 nebst Ausführungsverordnung, München 1936, ebd.26 Ebd., S. 15 (136), Vgl. Eckart, S. 133
  178. Ebd., S. 15 (136), Vgl. Eckart, S. 133
  179. Ebd., aus: vgl. Werner, Wolfgang Franz: Die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau in der NS-Zeit. In: Schäffer, Wolfgang(Hg.): 100 Jahre LVR-Klinik Bedburg-Hau. Festschrift, Essen 2013, S. 125
  180. Vgl. Burger/Schmidt, Tatort Moers, S. 250 und ebd. FN 453
  181. 29 Vgl. ebd., S. 250 ff
  182. Vgl. ebd., S. 252
  183. Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, Westdeutscher Verlag, Opladen, S. 294
  184. Gisela Bock, ebd., S. 287 Verzeichnis der Tötungsanstalten
  185. Vgl. ebd.
  186. Ebd., S.317
  187. Ebd., S. 248 ff
  188. Ebd., S. 248 f
  189. Vgl. Wiki, Rassenhygiene durch Vernichtung
  190. Vgl. Wiki, Peter Schwarz: Mord durch Hunger
  191. Vgl. Wiki, Planet Wissen, Nationalsozialistische Rassenlehre
  192. Vgl. ebd.
  193. Vgl. Wiki, Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus
  194. Vgl. Wiki, Planet wissen, ebd.
  195. Vgl. Bernhard Schmidt, ebd., S. 252 mit FN 461 (s. Billstein)
  196. Hanna Stucki, ebd., S. 27
  197. Ebd., S. 28 FN 239
  198. Vgl. ebd., S. 28
  199. Ebd., S. 30
  200. Ebd.
  201. Archiv Freundeskreis Historisches Homberg e. V.
  202. Hanna Stucki, ebd.
  203. Vgl. Erinnern für die Zukunft, Text im Pressespiegel NS-"Euthanasie",8 Stadt-Panorama, 12. Oktober 2016
  204. Vgl. Nationalsozialistische Programmatik, Karl Lange: Der Terminus „Lebensraum“ in Hitlers „Mein Kampf“, Vierteljahresheft für Zeitgeschichte, Jg.13, 1965, Heft 4, S. 426 – 437
  205. Vgl. BpB, Der Zweite Weltkrieg, Thomas Vogel, Lizenz: CC-BY-NC-ND 3.0DE
  206. R. Overmans, Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, Oldenburg, München 2004, ISBS 3-486 20028-3, S. 21
  207. Wikipedia, BpB, Zwangsarbeit
  208. Duisburger Forschungen (DU-Fo), Bd. 49, Michael A. Kanther, Zwangsarbeit in Duisburg 1940 -1945, Mercator-Verlag 2004, S. 1
  209. Wikipedia, BpB, ebd.
  210. Wikipedia, BpB, ebd.
  211. Vgl. DU-Fo, ebd. S. 8
  212. Vgl. MoHK, ebd.S. 305
  213. Ebd.
  214. Ebd. S. 306f
  215. Westfälische Zeitung 153, 2003, Hans Christopf Seidel, Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im Ruhrgebiet während des Zweiten Weltkrieges, S. 111
  216. MoHK, ebd., S. 652
  217. Vgl. ebd., S. 306f und S. 679 sowie Verwaltungsbericht Homberg 1932- 1938
  218. Aktenvermerk des Vereins „Erinnern für die Zukunft e. V.“, vom 19. 1. 1998
  219. Vgl. DU-Fo, ebd., S. 6
  220. Vgl. Verw.-bericht Homberg 1938 -1958, S. 3ff
  221. Vgl. ebd., S 137
  222. DU-Fo, ebd. S. 141 Fußnote (Fn) 147: StADU 22/722, Vermerk des Einwohnermeldeamtes über die Besprechung am 28. August 1940 und Tatort Moers, S. 378f
  223. Anlage x, Wochenrapport an die Stadt zur Abrechnung
  224. DU-Fo, ebd., S. 136
  225. Ebd., S. 141, Fn 148
  226. Ebd., S. 144
  227. MoHK, ebd., S. 668 und 680
  228. DU-Fo, ebd., S. 132
  229. Vgl. ebd., S. 142, Fn 149, 150, 151
  230. Vgl. ebd., S. 141, Fn148 und S. 184 StADU 22/722
  231. Aktennotiz des Homberger BM vom 26.8. 1944 (Archiv FHH)
  232. DU-Fo, ebd., S. 181f, Fn 79, 8o, 81, 82
  233. Ebd., S. 184, Fn 89 und 90
  234. Vgl. ebd., S. 133
  235. Vgl. ebd., S. 126f, Fn 107 und 110
  236. Du-Fo, S.184, Fn 90
  237. Vgl. ebd., S. 181, Fn 79 und S. 127, Fn 110 sowie MoHK, ebd., S. 363
  238. Du-Fo, ebd., S. 133
  239. Dietmar Beckmann, DS 13-0149, Bez.-vertretung Homberg/Ruhrort/Baerl vom 5. 2. 2013, S.8f und MoHK, ebd., S.364
  240. vgl. Wikipedia: Organisation Todt
  241. MoHK, ebd., S. 365
  242. Vgl. DU-Fo, ebd., S. 149ff
  243. Ebd.
  244. 75 Jahre Lithopone der „Sachtleben“ Aktienges. Für Bergbau und Chemische Industrie, S. 109
  245. Archiv FHH, Sachtleben AG, Brief vom 20 Dez. 1941 an einen ehemaligen Mitarbeiter
  246. Archiv FHH, E-Mails des Herrn G. Friedl, ehemaliger Essenberger
  247. DU-Fo. Ebd., S. 295, Fn 42
  248. Vgl. DU-Fo, ebd., S, 205ff
  249. Ebd.
  250. Ebd.
  251. Tatort Moers, ebd., S. 374ff
  252. Ebd.
  253. Ebd.
  254. Vgl. Wikipedia, evz-Geschichte: ebd.
  255. DU-Fo, ebd. S. 360
  256. Ebd., S. 204
  257. Vgl. Theo Mohr, ebd.
  258. DU-Fo, ebd., S. 266
  259. Ebd., S.271
  260. Vollständiger Wortlaut s. Anlage G
  261. Anm.: Vgl. Polenerlass vom 8. März 1940
  262. Archiv FHH, s. Ordner Sachtleben
  263. Ebd.
  264. Vgl. Viktor Waamelink, Der Vergessene Krieg 1939 – 1045, S. 136ff
  265. DU-Fo. Ebd., S. 314
  266. Wikipedia: Politische Leiter, Befreiungsgesetz, Entnazifizierung
  267. Wikipedia, Zeitreise/Archiv: Harte Bestrafung und schnelle Begnadigung
  268. Ebd., S 70 – 73
  269. Vgl. Auszüge aus der beglaubigten Abschrift des Urteils, Privatbesitz (Anfrage über FHH)
  270. NRW Justizministerium, Bd. 10, S. 71
  271. Urteil im Spruchgerichtsverfahren der III. Spruchkammer in Bielefeld vom 15. Jan. 1949, Privatbesitz, ebd.
  272. Vgl. Wikipedia, LVR – Portal Rheinische Geschichte, Heinrich Kost – Bergbaumanager und Verbandspolitiker
  273. Ebd.
  274. MoHK, ebd., S. 650
  275. Vgl. MoHK. End. S. 670ff
  276. LVR. ebd.